Template: single.php

Mona Chollet

Sorcières

Louise Fagart

Mona Chollet, © Mathieu Zazzo

02. Oktober 2019

Der Sommer fängt an, die Schule ist bald zu Ende – mein Referendariat damit auch. Ich bummle durch die Stadt, es ist heiß, und schließlich kann ich der Versuchung nicht widerstehen, eine Buchhandlung zu betreten.

Ich war schon lange nicht mehr in einem Buchladen. Ich genieße es besonders, wenn ich mich dort auf einen kleinen, bequemen Sessel hinsetzen kann und einfach die Bücher durchblättern und lesen darf, die mich interessieren, ohne das Gefühl zu haben, dass ich etwas Verbotenes mache und sofort das Buch kaufen sollte.

Hier, in der Fnac in Colmar, gibt es keine solchen Sessel, jedoch scheint es den Verkäufer nicht zu stören, dass ich vor Ort ein bisschen lesen will. Da ich auf dem Boden sitze, weist er mich trotzdem freundlich auf den Hocker hin, der zum Greifen der Bücher dient, die im Regal schwer zu erreichen sind. Ich habe mir mehrere Bücher ausgesucht, unter anderem Une histoire des sexualités (unter der Leitung von Sylvie Steinberg) und Sorcières – La puissance invaincue des femmes, von Mona Chollet. Schließlich kaufe ich die beiden Bücher doch – über Letzteres möchte ich hier berichten.

Mona Chollet

Von Mona Chollet hatte ich davor schon gehört, wusste aber nichts Genaueres über sie. Sie ist um die vierzig und arbeitet als Journalistin für die sehr anspruchsvolle und absolut spannende Monatszeitschrift Le Monde diplomatique. Sie ist auch Publizistin und hat mehrere Essays rund um das Thema Feminismus veröffentlicht. Ihre anderen Bücher habe ich (noch) nicht gelesen, aber soweit ich weiß, geht es ihr um Aspekte des Lebens, die sowohl eine soziale als auch eine private, beziehungsweise intime Dimension haben. Somit aktualisiert sie den feministischen Spruch „Das Persönliche ist politisch“.

Ihre zwei bekanntesten Bücher sind Beauté fatale. Les nouveaux visages d’une aliénation féminine und Chez soi. Une odyssée de l’espace domestique. Im Ersteren prangert sie die gesellschaftlichen Ideale weiblicher Schönheit und den – unter anderem – vom Marketing, der Industrie der Schönheit und den Frauenzeitschriften auf die Frauen ausgeübten Druck an, der sie dazu führt, ihren eigenen Körper zu missachten und abzuwerten, um den Standards der Mode und den angeblichen Ansprüchen der Männer und der Gesellschaft gerecht zu werden.

Im zweiten Buch geht es ihr um das Zuhause, sowohl in intimer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. In einer Gesellschaft, in der das soziale Leben eine so hohe Wertstellung hat, will sie die Stubenhocker rehabilitieren, interessiert sich aber auch für politischere Themen wie die Schwierigkeit, eine dezente Wohnung zu finden. Solche Fragen wie wer sich um den Haushalt kümmert und ob es nicht andere, erfindungsreichere Lebens- und Glücksformen als die Familie gibt, werden auch thematisiert. Somit scheint die Verflechtung politischer und persönlicher Aspekte ein zentrales Thema ihres Werks zu sein.

Hexenjagden

In Sorcières macht sie die Hexenjagden zum Thema, die in Europa hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert stattgefunden haben. Auch wenn die Hexenverbrennungen ein wichtiges Thema in diesem Essay sind, bilden sie aber nicht dessen Kern, sondern eher mehrere Frauenfiguren, die von der Norm abweichen und deswegen in der Gesellschaft weniger angesehen, beziehungsweise mehr oder weniger verpönt sind. Die Ablehnung dieser Frauen ist für sie ein Erbe der Hexenjagden, insofern als diese Frauen die modernen Hexen sind. Dabei handelt es sich für sie um die unabhängige Frau, um die Frauen, die keine Kinder haben wollen und um alternde Frauen, vor allem diejenigen, die nicht versuchen, die sichtbaren Auswirkungen des Alters wie zum Beispiel graue Haare zu verbergen.
Im letzten Kapitel geht es um Eigenschaften, die traditionell als weiblich gelten und nicht so hoch angesehen sind wie vermeintlich männliche Eigenschaften: Sie spricht zum Beispiel den Gegensatz zwischen Rationalität und Irrationalität an und wirft einen anderen, positiveren Blick auf Letzteres, wobei sie zeigt, dass Irrationalität nicht immer da ist, wo man denkt. In diesem Zusammenhang erwähnt sie das Thema des Umgangs von Ärzten mit Frauen, auch in geschichtlicher Hinsicht, sowie Missbrauch im frauenärztlichen Bereich.

Wie sich vielleicht andeuten lässt, sind die Themen so zahlreich, dass mir im Nachhinein der rote Faden nicht immer so ganz klar ist und ich mir für bestimmte Themen vertieft gewünscht hätte. Insgesamt handelt es sich um ein sehr facettenreiches Buch, das sich zudem gut liest, weil der Stil sehr angenehm und unterhaltsam ist.

Tabuthemen, wie zum Beispiel die Frauen, die es bereuen, Kinder geboren zu haben, haben mich besonders angesprochen. Hexenjagden und deren Zeitpunkt zu Beginn des Zeitalters des Humanismus und später der Aufklärung sind ebenfalls ein Tabu ­– zumindest werden sie im Geschichtsunterricht in der Schule eher selten thematisiert: Daher ist es gut, sich damit auseinanderzusetzen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial