Kulturelle Zusammenarbeit
(Noch) ein „Phantom“ der deutsch-französischen Kooperation?
8. Oktober 2024
Der Deutsch-Französische Kulturrat ist in der Kulturlandschaft weitgehend in Vergessenheit geraten, und dies noch mehr in Presse und Öffentlichkeit. Trotz mehrerer Reformversuche wird das Gremium kaum noch wahrgenommen. Die Anwendung von Artikel 25 des Vertrags von Aachen könnte sein Ende einläuten, zumindest in seiner jetzigen Form. Was dann?
Die Gründung des Deutsch-Französische Kulturrat (DFKR) geht auf eine Initiative von Jacques Morizet zurück, Botschafter in Bonn zwischen 1983 und 1986. Der Diplomat überzeugte Präsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl von der Notwendigkeit einer Instanz in Frankreich und Deutschland für den Dialog und die Zusammenarbeit in den Bereichen Kunst und Kultur. Der Vertrag vom 22. Januar 1963 ist in dieser Frage sehr „zurückhaltend“: Zwar wird die Entwicklung der bilateralen Beziehungen im Bereich Bildung und Jugend erwähnt, Kontakte zwischen der Zivilgesellschaft sind jedoch nicht explizit vorgesehen. Die Kultur wird nur in einem einzigen Artikel angesprochen. Aufgrund der Länderzuständigkeiten blieb die Formulierung sehr zurückhaltend: „Ferner trifft sich der französische Erziehungsminister in den gleichen Zeitabständen mit derjenigen Persönlichkeit, die auf deutscher Seite benannt wird, um die Ausführung des Programms der Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet zu verfolgen.“ (Art. I, Abs. 3) So schien die Idee eines DFKR eine sinnvolle Ergänzung der beiden Zusatzprotokolle zur Einrichtung des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates (DFVSR) bzw. des Deutsch-Französischen Wirtschafts- und Finanzrates (DFWFR) am 22. Januar 1988.
Die ersten Schritte des Kulturrats
Der Taufstein des DFKR steht in Frankfurt am Main. In der dort während des 48. Deutsch-Französischen Gipfels (27.-28. Oktober 1986) verabschiedeten Erklärung hatten Mitterrand und Kohl bekräftigt: „Die im politischen, wirtschaftlichen und technologischen Austausch erreichten Fortschritte müssen von einer Verstärkung der kulturellen Zusammenarbeit begleitet werden.“ Beide Staatsmänner meinten: „Indem sie sich besser kennenlernen, vertiefen beide Länder ihr Einvernehmen und ihre Freundschaft, welche Unterpfand des Friedens und der Einheit in Europa sind. Sie werden dies erreichen, wenn sie die ihre Identität bestimmenden Werte anerkennen, ob diese nun der Geschichte zugehören oder Kennzeichen ihrer Modernität sind. Die enge Verbindung beider Kulturen ist also eine grundlegende Notwendigkeit.“
Auf dem 51. Gipfeltreffen am 22. Januar 1988 wurde eine Erklärung verabschiedet, welche die Gründung des gemeinsamen Kulturrats ankündigt. Er erhielt die folgenden Aufgaben: „a) Gemeinsame kulturelle Aktivitäten anzuregen, b) den Regierungen Vorschläge zu unterbreiten, wie diese Aktivitäten gefördert werden können, c) dazu beizutragen, dass für die kulturelle Zusammenarbeit beider Länder wesentliche Informationen gesammelt und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“
Dieser Beschluss wurde in dem „Notenwechsel zur Vereinbarung über den deutsch-französischen Kulturrat“ zwischen den französischen Ministern für Kultur und Auswärtige Angelegenheiten, François Léotard und Jean-Bernard Raimond, und Außenminister Hans-Dietrich Genscher formalisiert. Erster Präsident des DFKR ist der Cellist Siegfried Palm; der Senator Pierre Laffitte wird zum Vizepräsidenten ernannt. Botschafter Morizet wird mit dem Posten des Generalsekretärs betraut. Gleichzeitig werden andere konkrete Projekte entwickelt, angefangen mit ARTE (Berliner Vertrag, 2. Oktober 1990) und der Deutsch-Französischen Hochschule (Weimarer Vertrag, 19. September 1997).
Dank des persönlichen Einsatzes von Mitterrand und Kohl unterstützt der DFKR (auch finanziell) zahlreiche deutsch-französische Veranstaltungen, was bei den traditionellen Ausrichtern, insbesondere dem Goethe-Institut und der Französischen Botschaft in Bonn, zu einer gewissen Verärgerung führte. Ab 2001 verlieren die „Reibereien“ zwischen dem DFKR und den „Altvorderen“ des Kulturbetriebs an Intensität. Den Vorsitz führten damals Nele Hertling, vormalige Intendantin des Berliner Hebbel-Theaters, der Verleger Alain Gründ und schließlich Jacques Toubon (ehemaliger Kulturminister). Zu dieser Zeit versteht sich der DFKR als „Ideenschmiede“, mit dem Ziel, die Kulturpolitik und den künstlerischen Austausch zwischen beiden Ländern beeinflussen. Viele stellen jedoch seine Legitimität in Frage. Gegen das „Abdriften“ des DFKR sprechen sich seine Kritiker sogar für seine Abschaffung aus. Am Ende der Ära Kohl/Mitterrand sind einige der Meinung, dass der Kulturrat überflüssig geworden sei und ohne Schaden für die bilaterale Abstimmung aufgelöst werden kann.
Die Reform von 2010
Angesichts der problematischen Arbeitsweise des DFKR (Budget, Mitgliederbeteiligung, Tätigkeiten) einigen sich beide Seiten mühsam auf eine minimale Reform, denn sie befürchtenein negatives Signal und scharfe Reaktionen seitens der Presse. Die Reform wird auf deutscher Seite vom Staatsminister für Europaangelegenheiten, Günter Gloser, und dem regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit als Bevollmächtigten (der Länder) für die bilateralen Kulturbeziehungen, und auf französischer von Bruno Le Maire, dem (damaligen) Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, beschlossen. Sie hat die Zusammensetzung des DFKR auf zwölf Persönlichkeiten zur Folge, welche die Bereiche Kulturerbe, Literatur, Musik, bildende Kunst, Film, darstellende Kunst und Medien repräsentieren. Eigentlich handelt es sich dabei um einen vergeblichen Versuch, denn die Unklarheiten über die Rolle des DFKR werden nicht beseitigt:
- Für die einen, vor allem den Co-Vorsitzenden Thomas Ostermeier (Leiter der Berliner Schaubühne), sollte die Vergabe von Fördermitteln für „interkulturelle“ Projekte beibehalten und durch die Einrichtung einer Stiftung angepasst werden. Diese könnte Mittel von Mäzenen einwerben und diese in vollständiger Autonomie verwalten;
- Für die anderen, darunter Jacques Toubon, muss der DFKR seinen politischen Zweck durch ein Manifest bekräftigen, das die Entscheidungen der Behörden (öffentliche Kulturförderung, Urheberrecht, Besteuerung von Kulturgütern, Kunst- und Kulturerziehung) begleitet.
Diese Dualität beeinträchtigt den DFKR in hohem Maße, da er sich in seinen Widersprüchen und Rivalitäten zu verfangen scheint.
Der DFKR zieht seinen Kopf aus der Schlinge
Als der 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags näher rückte, gelang es dem DFKR, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. In dieser Phase erwies sich der Bekanntheitsgrad von Jacques Toubon als entscheidend für die Ausstrahlung der DFKR, insbesondere bei den Themen Urheberrecht, Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste“, Besteuerung von digitalen Büchern und Auswirkungen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Deutschland ist jedoch von Toubons Engagement irritiert und hält sich zurück. Die Ankunft der ehemaligen Kulturministerin (1997-2000) Catherine Trautmann im Jahr 2015 verdeutlichte den französischen Willen, eine politische Vorrangstellung im DFKR zu behalten. Sie hinterließ indes auch den Eindruck eines gewissen „Politikerrecyclings“, denn Trautmann hatte eine schwierige Zeit in Straßburg (wo sie von 1989 bis 1997 und von 2000 bis 2001 Bürgermeisterin war). Das Generalsekretariat befindet sich seitdem in Saarbrücken und wird gemeinsam von der Deutsch-französischen Kulturstiftungund dem französischen Generalkonsulat (als Außenstelle des Institut français d’Allemagne – IFA) geführt. Durch den Verlust seiner direkten Tätigkeit „in der Szene“, ist der DFKR nicht länger das, was Werkzeug, was Botschafter Morizet ursprünglich intendiert hatte: ein „Kultur-Koordinator“ für beide Länder.
Requiem für den DFKR?
In den 2020er Jahren weitet der DFKR sein „Portfolio“ zu zahlreichen Themen aus. Diskutiert werden unter anderem die Entwicklung von ARTE, die Einführung eines Kulturpasses in beiden Ländern, die Provenienzforschung (Kolonial- und NS-Zeit) und die Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Damit geht der DFKR das Risiko ein, die Zuständigkeiten des IFA (Botschaft in Berlin) und seiner Ansprechpartner auf Bundes- und Landesebene (Staatsminister für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt) „mit Füßen zu treten“. Sein Interesse an der Arbeit der deutschen und französischen Kulturinstitute und -zentren, die in den wichtigsten Städten beider Länder angesiedelt sind, bleibt sehr begrenzt.
Kapitel 3 des Aachener Vertrags trägt zwar die Überschrift „Kultur, Bildung, Forschung und Mobilität“. Der DFKR wird jedoch nicht erwähnt, ganz im Gegensatz zum Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) und der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH). De jure ist die Gründung beider Institutionen offiziell Gegenstand internationaler Abkommen und nicht nur eines einfachen Briefwechsels. Nur ein Brösel bleibt für die Kultur übrig; in Artikel 9 heißt es lediglich: „Beide Staaten erkennen die entscheidende Rolle an, die die Kultur und die Medien für die Stärkung der deutsch-französischen Freundschaft spielen. Daher sind sie entschlossen, für ihre Völker einen gemeinsamen Raum der Freiheit und der Chancen sowie einen gemeinsamen Kultur- und Medienraum zu schaffen. Sie bauen Mobilität und Austauschprogramme zwischen ihren Staaten aus, vor allem für junge Menschen im Rahmen des Deutsch-Französischen Jugendwerks, und geben messbare Ziele in diesen Bereichen vor. Um immer engere Beziehungen in allen Bereichen des kulturellen Wirkens, auch durch integrierte Kulturinstitute, zu fördern, richten sie spezielle Programme und eine digitale Plattform ein, die sich insbesondere an junge Menschen richten.“ Diese Ziele sind weit entfernt von den Aktivitäten des DFKR, ohne wirklichen konzeptionellen oder operativen Mehrwert in Bezug auf die identifizierten Themen des Abkommens.
Artikel 12 besagt: „Beide Staaten richten einen gemeinsamen Bürgerfonds ein, der Bürgerinitiativen und Städtepartnerschaften fördern und unterstützen soll, um ihre beiden Völker einander noch näher zu bringen.“ Die Verwaltung dieses Fonds wird dem DFJW (und nicht dem DFKR) übertragen, mit dem Risiko, zugunsten der üblichen Empfänger seiner Unterstützung „verschluckt“ zu werden! Bei einem Budget von 6 Millionen Euro im Jahr 2023 ist seine Bedeutung nicht zu unterschätzen. Parallel dazu stehen mehrere „deutsch-französische“ Kulturinstitute auf der in Aachen verabschiedeten Liste von 15 prioritären Projekten: Beide Länder verpflichten sich zur Einrichtung von vier integrierten Kulturinstituten (Rio, Palermo, Erbil, Bischkek) und zur Kolokalisierung von fünf weiteren Instituten (Cordoba, Atlanta, Glasgow, Minsk, Ramallah).
In Aachen wurde nichts über die Annäherung der französischen Kulturinstitute und -zentren in Deutschland an die Goethe-Institute in Frankreich gesagt, obwohl eine solche Synergie besonders fruchtbar sein könnte. Im Gegenteil: 2023 schloss das Goethe-Institut seine Einrichtungen in Lille, Straßburg und Bordeaux; damit löste es heftige Reaktionen in deutsch-französischen Kreisen und bei den betroffenen Gebietskörperschaften aus. Diese Lücke ist unverständlich, könnte doch die „Verknüpfung“ zwischen den Goethe-Instituten und den Instituts français ihre Attraktivität (sowohl für die Öffentlichkeit als auch für Sponsoren) nur steigern. Diese „Jumelages“ könnte auch neue Austauschströme generieren, indem sie regionale Vielfalt und kommunale Erfahrungen aufwerten würde. Die geringe Resonanz auf die deutsch-französischen Preise (Franz-Hessel-Preis, deutsch-französischer Journalistenpreis, prix Rovan) ist ein Scheitern, mit dem Ergebnis einer allgemeinen Gleichgültigkeit für diese „Mikro-Events“.
Neustart, aber wie?
Die Umwandlung des DFKR in einen DFRK, einen Deutsch-französischen Rat für die kulturelle Zusammenarbeit könnte das Ziel beider Staaten im Jahr 2025 sein. Eine strukturelle Erneuerung wäre notwendig, um die Fehlentwicklung der Vergangenheit zu vermeiden; diese Reform erfordert folgende Maßnahmen:
- Verabschiedung eines neuen Mandats und Festlegung klarer Regeln für die Geschäftsführung;
- Einrichtung eines Verfahrens für einen regelmäßigen Dialog mit den beiden Regierungen;
- Annahme von Bewertungskriterien für die Arbeit des DFRK;
- Einrichtung eines gemeinsamen Generalsekretariats.
Der „neue“ Kulturrat sollte eine eigene Rechtspersönlichkeit und einen selbständigen Haushalt haben für die Einstellung von Personal und die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen zur Förderung seiner Ziele.
Die Zusammensetzung des DFRK sollte von derzeit 12 auf 20 Mitglieder erweitert werden. Die folgenden Institutionen sollten als Mitglieder einen größeren Vertretungsanspruch des Rates gewährleisten:
- Abgeordnete der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung (2);
- Goethe-Institut (in Frankreich) und Institut Français (in Deutschland), jeweils 1;
- FAFA/VDFG (2);
- DFJW (1);
- Deutsch-Französische Hochschule/DFH(1).
Diese Querschnittsfunktion würde einen direkten Dialog zwischen den Kulturschaffenden (derzeitiger Kulturrat) und den Verwaltungsbehörden erleichtern, ohne die funktionale Autonomie des DFRK zu beeinträchtigen. Ferner wäre die Einbindung von politischen Mandatsträgern hilfreich zur Erlangung der gewünschten Haushaltsmittel für den DFRK.
Das Mandat des DFRK (das in einem neuen Notenwechsel festgelegt würde) könnte folgende Aufgaben umfassen:
- Beantwortung der Ersuche um Stellungnahme, die von beiden Regierungen sowie von anderen öffentlichen und privaten Akteuren eingereicht wurden;
- Unterstützung der Vernetzung von Bildungseinrichtungen (Schöne Künste, Journalismus, Berufe im Bereich des Kulturerbes usw.);
- Förderung von Partnerschaften zwischen UNESCO-Stätten in beiden Ländern, mit einer möglichen Öffnung zu Nachbarstaaten (Europäische Kulturrouten);
- Unterbreitung von Vorschlägen für nationale Reformen zur Anregung von kulturellen Crossover-Initiativen (steuerliche Abzugsfähigkeit).
Der DFRK wäre darüber hinaus die Verwaltung des durch den Aachener Vertrag (Art. 12) eingerichteten Bürgerfonds beauftragt. Er sollte auch seine Expertise für den Einsatz des Deutsch-Französischen Fonds in Drittländern einbringen; so könnte er beispielsweise an der Auswahl der Empfänger der deutsch-französischen Preise (De Gaulle-Adenauer-Preis usw.) beteiligt werden, um zu deren Ausstrahlung beizutragen. Schließlich würde er, sofern es seine Ressourcen erlauben, sein „Sigel“ (und eine mögliche finanzielle Unterstützung) für öffentliche Großveranstaltungen zur Verfügung stellen (Ausstellungen, Konzerte, Messen usw.).
Der DFRK wäre keine „wurzellose“ Instanz, da er gleichberechtigt kulturelle, wirtschaftliche, öffentliche und private Akteure einbeziehen würde. Sein Mehrwert bestünde darin, die künstlerische Kreativität und den demokratischen Pluralismus in Europa „zu hegen und zu pflegen“.
Übersetzung: Norbert Heikamp