Der Präsident und seine „concitoyens“
Warum so viel Hass?
6. Juli 2024
„Dégage!“ – hau ab!“ Allen französischen Präsidenten ergeht es ähnlich. Ob Giscard d’Estaing, Mitterrand, Chirac, Sarkozy, Hollande, Macron, die Franzosen bringen ihrem frisch gewählten Präsidenten zunächst großes Vertrauen entgegen, wenig später wendet sich ihre Liebe in Wut um. Wenn nicht gar eindeutig in Hass, wie jetzt im Fall Macrons. Stets schwingt ein Hauch von Revolution mit, der Monarch wird entthront, und selbst das Schafott kommt bildhaft wieder zum Einsatz.
Kurz nach der Auflösung der Nationalversammlung am 30. Juni rutschten die Beliebtheitswerte Macrons auf nur noch 26 % ab (Ifop). Kaum höher als der Tiefpunkt im Dezember 2018 während der Gelbwesten-Bewegung (23 %). Bei seiner Wiederwahl 2022 stiegen sie wieder auf 41 %, sanken danach regelmäßig bis auf die heutigen Werte. Bei seiner ersten Wahl 2017 vertrauten ihm noch zwei Drittel der Wähler, sieben Jahre später nur noch ein Viertel.
Erst Vergötterung, dann Lust auf Königsmord
Macron ist längst nicht der einzige, der solch einen Abstieg erlebt. Selbst François Mitterrand, den drei Viertel der Wähler bei seiner ersten Wahl 1981 regelrecht vergötterten, wurde vierzehn Jahre später geächtet. Doch keiner wurde bisher am Ende so gehasst wie Sarkozy. Und nun eben Macron. Solch eine Stimmungsumkehr ist fester Bestandteil der „republikanischen Monarchie“, wie der Jurist Maurice Duverger die V. Republik genannt hat – mit ihrer hohen Machtkonzentration im Élysée-Palast, die den Präsidenten über (fast) alle anderen Gewalten stellt. Diese Stellung sowie die damit verbundene Personifizierung nährt bei dem Wähler extrem hohe, wirklichkeitsfremde Erwartungen, die, weil sie enttäuscht werden (müssen), schnell in Hassliebe umschlagen.
Besonders deutlich war eine fast schon körperlich spürbare Anwiderung bei Nicolas Sarkozy. Weil er täglich die Agenda besetzte, bekam er den Spitznamen: „Omniprésident“ (allgegenwärtiger Präsident). Die Ablehnung galt weniger seiner Politik oder seiner Chef-Position als seiner Person. Der Journalist Franz-Olivier Giesbert brachte es 2011 in einem Essay (Monsieur le Président: Scènes de la vie politique 2005-2011) auf den Punkt: „Die Franzosen hassen ihn nicht, weil er ihnen ähnlich ist, sondern weil er eine Karikatur ihrer selbst ist. Er ist ein Hypermacho-Gockel“. Mit dazu passendem Vokabular: „Casse-toi, pauv‘ con!“ (Hau ab, du Depp!) rief er zum Beispiel auf der Agrarmesse 2008 erbost einem Mann zu, der seinen Händedruck verweigerte.
Sein Nachfolger Hollande gab sich daraufhin gezielt das Image eines „normalen Präsidenten“ („président normal“). Ohne Erfolg. Weil er sich so weich gerierte, erhielt er den Spitznamen „Flamby“ (Karamellpudding). Und am Ende seiner Amtszeit war der Verdruss enorm – auch in seinem Fall nicht wirklich wegen seiner Politik, sondern weil das Image des Durchschnittsbürgers, das er sich geben wollte, nicht zu seinem hohen Amt passte. Das einzige, was er damit erntete, war „Hollande-Bashing“.
Le „président des riches“
Der Hass auf seinen Nachfolger Macron erreicht einen bisherigen Höhepunkt der französischen Königsmord-Gelüste. Er stellte sich zu Beginn seiner Amtszeit als „Jupiter“ auf, womit er sich klar – dem Institutionengefüge entsprechend und als Kontrastprogramm zu seinem Vorgänger – die Rolle eines Messias gab. Man denke nur an sein einsames Schreiten erhobenen Kopfes durch den Hof des Louvre am Abend seiner Wahl (7. Mai 2017). Glaubt man dem Politikwissenschaftler Alain Faure, wird der Präsident als „gefühllos, ohne Erdung und ohne Kompass“ empfunden. Was ihm besonders vorgeworfen wird, ist seine Volksverachtung. Dieses Empfinden haben einige seiner herablassenden bis verletzenden Äußerungen zementiert, so etwa „man brauche doch nur die Straße zu überqueren, um Arbeit zu finden“ (15. September 2018).
Im Fall Macrons fällt mehreres zusammen. Einmal eine politische Positionierung, die die Gunst der Stunde nutzte, um ihn an die Macht zu hieven. Zur Zeit seines ersten Wahlkampfs galt der klassische Lagerwechsel in der Politik nicht mehr, das linke wie das rechte Parteienspektrum waren zersplittert. So stellte sich Macron neu auf und entwarf eine Politik des „en même temps“ (gleichzeitig), die soziale Elemente (in Frankreich klassischerweise links) und wirtschaftsfreundliche bzw. liberale (rechts) miteinander verband – für viele irritierend. Da er, zuvor Sozialist, unter Hollande Wirtschaftsminister war und 2016 seine eigene, eher liberale Partei gegründet hatte (En Marche! = Emmanuel Macron), wurde ihm von links nicht nur Verrat an seinem Dienstherrn vorgeworfen, sondern auch noch ein Lagerwechsel zum Kapital. Das handelte ihm umso leichter die Bezeichnung „Präsident der Reichen“ ein, zumal er beruflich geschäftsführender Partner der Geschäftsbank Rotschild gewesen war. Hatte nicht zuvor schon Hollande die Finanzwelt als „Feind“ bezeichnet?
Hinzu kommt, dass Macron als ENA-Abgänger ein typisches Produkt der „Elite“ ist – wie fast alle anderen auch von Geburt aus. Die Sozial-Codes, die damit einhergehen, werden von den normalen Bürgern als Arroganz, wenn nicht gar Verachtung, gewertet. Vor allem aber zeugen sie in ihren Augen von fehlender Erdung. Sein Lebenslauf weist keine Brüche auf, und er scheint die Welt der Metropolen nie verlassen zu haben. Das ist es, was die meisten Menschen in dem Frankreich der „Diagonale der Leere“ Macron vorhalten, und was die Rechtspopulisten gezielt nutzen, um ihn (der Tradition gemäß) zu stürzen.
Es sind nicht nur Wutbürger, die ihm Hass entgegenbringen. Ob rechts oder links, die Populisten nutzen nur die generell aufgeheizte Stimmung im Land aus, um sich eines ihrer bestgehassten Präsidenten zu entledigen – getreu dem allgegenwärtigen Narrativ der Révolution (übrigens der Titel seines 2016 veröffentlichen Wahlprogrammbuches). Als menschenfremder „Jupiter“ eignet sich eben Macron besonders dafür.
Die Autorin
Isabelle Bourgeois ist Mitgründerin und Moderatorin der Dialogplattform www.tandem-europe.eu. Von 1980 bis 1988 war sie Lektorin an der Universität Hannover und Kulturattachée an der französischen Botschaft in Bonn (zuständig für Rundfunk). Von 1988 bis 2017 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre d’Information et de Recherche sur l‘Allemagne Contemporaine. Von 2001 bis 2015 war sie Chefredakteurin der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Regards sur l’économie allemande, von 1989 bis 2001 Dozentin am Institut d’études politiques Paris, von 2002 bis 2017 Dozentin an der Université de Cergy-Pontoise und von 1990 bis 2005 freie Autorin für epd-medien, diverse deutsche Tageszeitungen und den Deutschlandfunk.