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Botschafterkonferenz

Die Werkstatt der Diplomatie

Hans-Dieter Heumann

Annalena Baerbock und Subrahmanyam Jaishankar am 10. September in Berlin (Copyright: Imago)

17. September 2024

Die Kriege gegen die Ukraine und im Nahen Osten lassen in den europäischen Gesellschaften den Ruf nach Diplomatie immer lauter werden. In Deutschland hat die Forderung nach einem Verhandlungsfrieden in der Ukraine sogar die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen bestimmt, und wird dies wohl auch bei den Wahlen in Brandenburg tun. Erlebt die Diplomatie eine Renaissance?

Was aber kann die Diplomatie zur Lösung der aktuellen Krisen beitragen und wer macht überhaupt Diplomatie, wer sind die Diplomaten? Auf diese Frage sollten die Konferenzen der Botschafter eine Antwort geben, die in Deutschland und Frankreich jedes Jahr zum Ende der Sommerpause, der „rentrée“, stattfinden. Der Ernst der politischen Krise in Frankreich ist vielleicht auch daran zu erkennen, dass diese Konferenz dort erstmals seit 1993 ausfiel, die Corona-Jahre 2020/21 nicht gerechnet.

In Berlin aber trafen sich letzte Woche wieder die Leiter der über 200 Auslandsvertretungen der Bundesrepublik. Vier Tage haben die am Werderschen Markt versammelten Botschafter nicht nur die Möglichkeit gehabt, sich untereinander auszutauschen, sondern auch die Entwicklungen in den Ländern und Organisationen, zu denen sie entsandt sind, direkt mit der Außenministerin, den Staatssekretären und Abteilungsleitern zu besprechen. Die Medien suggerieren, dass Diplomatie nur geschieht, wenn Staatschefs und Außenminister sich treffen. Wer aber bereitet diese Treffen vor und auf der Grundlage welcher Informationen? Die Diplomaten sind „Augen und Ohren“ Deutschlands in der Welt. Sie vertreten vor Ort die deutschen Interessen. Ihre Bedeutung hat zu-, und nicht abgenommen.

Der Präsident und seine „administrateurs“

Offiziell wurde die Absage der Botschafterkonferenz in Paris mit den dort stattfindenden Paraolympischen Spielen begründet. Im Quai vermuten allerdings einige Diplomaten eher das Desinteresse ihres Präsidenten, der traditionell die Hauptrede auf der Konferenz hält. Seit Emmanuel Macron im Amt ist, kann von einer zunehmenden „Scheidung“ zwischen Außenministerium und dem Élysée gesprochen werden. Es muss für die französischen Diplomaten schwer zu ertragen sein, dass der Präsident einige seiner großen Initiativen ohne Abstimmung mit ihnen (und manchmal auch seinen Beratern) lancierte. Die französischen Diplomaten fühlen sich deklassiert. Als im Zuge einer Reform des Beamtensystems im Jahr 2022 sogar das diplomatische Korps als gesonderte Institution abgeschafft werden sollte – infolgedessen wurden die Diplomaten zu „Administrateurs de l’État“ –, gingen einige von ihnen sogar in den Streik. Der große Unterschied zwischen deutscher und französischer Diplomatie liegt darin, dass diese in Frankreich als „domaine réservé“ des Präsidenten gilt. In Deutschland befinden sich Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt an der Stelle eher auf Augenhöhe. Sie stehen in Konkurrenz zueinander, was bisher die immer wieder geforderte Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates verhinderte. Ihr Verhältnis wird noch dadurch verkompliziert, dass Außenminister und Bundeskanzler traditionell verschiedenen Parteien angehören. Deutschland ist im Unterschied zum französischen Präsidialsystem eine Parteiendemokratie. Dies macht die deutsche Außenpolitik oft genug zu einer Funktion der Innenpolitik. Nicht von ungefähr war „Außeninnenpolitik“ erstmals eins der Themen, die auf der diesjährigen „BoKo“ behandelt wurden.

Mit Russland verhandeln?

Copyright: Depositphoto

Gibt es eine Art Arbeitsteilung zwischen Auswärtigem Amt und Bundeskanzleramt bei zentralen Themen der deutschen Außenpolitik? Die Bedrohung der europäischen Sicherheitsordnung durch Russland und seinen Krieg gegen die Ukraine standen zwar im Zentrum der BoKo, die Schlagzeilen aber machte zeitgleich der Bundeskanzler mit seiner Forderung, in der Ukraine „zügiger zu einem Frieden zu kommen“. Er unterließ es aber zu erwähnen, dass eine starke Verhandlungsposition der Ukraine die Voraussetzung für einen gerechten Frieden ist. Genau aus diesem Grund denken die USA und Großbritannien darüber nach, ihre der Ukraine gelieferten Raketen und Marschflugkörper für Ziele auf russischem Territorium freizugeben. Die Bundesregierung hingegen hat sich noch nicht einmal zur Lieferung ihrer Marschflugkörper Taurus entschlossen. Die Opposition sieht ein Ende der „Zeitenwende“. Derweil reden die deutschen Botschafter auf der BoKo mit dem Kollegen in Kiew und dem ukrainischen Botschafter in Berlin nicht nur über die militärische Lage in der Ukraine, sondern mit Vertretern der Wirtschaft bereits über den Wiederaufbau und Investitionen im Land.

Deutschland als Vermittler?

Die Konflikte im Nahen Osten hat Annalena Baerbock zu ihrer Priorität gemacht. Unmittelbar vor der BoKo bereiste sie die Region bereits zum elften Mal seit Amtsantritt. Mit der Auswahl der Stationen, nämlich Israel, Saudi-Arabien, Jordanien und der Palästinensischen Autonomiebehörde zeigt sie ihren strategischen Ansatz. Die genannten Partner sind zentral für die künftige Ordnung des Nahen Ostens, die nicht nur vom Gegensatz zwischen Israel und Iran geprägt ist, sondern auch von der Annäherung zwischen Riad und Tel Aviv. Wenn Deutschland in Zukunft eine Rolle als Vermittler in der Region haben sollte, dann könnte dies zu einem großen Teil der Außenministerin zu verdanken sein. Sie bekennt sich zur „Ambiguität“ – wie sie sagt – zwischen der Betonung des Selbstverteidigungsrechts Israels einerseits und der Kritik an den Verletzungen von Menschenrechten und Völkerrecht im Gaza-Krieg andererseits. Diese Haltung gibt ihr in der Region Glaubwürdigkeit.

Indiens Hinwendung zum Westen

Der Einbruch der Geopolitik in die Globalisierung macht die Welt multipolarer. Europa ist hierin ein Pol, der sich in der Konkurrenz zwischen den USA und China behaupten muss. Es hat hierbei eigene Interessen, die nicht die gleichen wie die der USA sind. Deutschland und Europa wollen keine Abkoppelung von China, auch wenn bisherige Illusionen über den „chinesischen Traum“ (Xi Jinping) verfliegen. Hierüber bestand bei den in Berlin versammelten Diplomaten Konsens. In der multipolaren Welt braucht Deutschland starke Partner im Süden. Dort könnte vor allem Indien ein Gegengewicht zu China bilden und die deutsche Diplomatie diversifizieren. Der indische Außenminister, Subrahmanyam Jaishankar war Ehrengast der diesjährigen BoKo. Zumindest auf dem Podium waren die deutschen Botschafter in Neu-Delhi und Beijing auf Augenhöhe. Europa sollte Indiens Tradition der Blockfreiheit respektieren. Billige Ölimporte machen das Land noch nicht von Russland abhängig. Mit seinem jüngsten Besuch in der Ukraine stellt sich Premierminister Narendra Modi hinter das im Krieg mit Russland befindliche Land. Indiens Rivalität mit China und sein Bedarf an Modernisierung sind Grund genug für eine Hinwendung zum Westen. Dies sieht auch Präsident Macron, der bei einem Besuch in Neu-Delhi Anfang 2024 die strategische Partnerschaft zwischen beiden Ländern bekräftigte. 

Eröffnungsrede von Außenministerin Baerbock (Copyright: Hans-Dieter Heumann)

Europäische Souveränität als Notwendigkeit

Der rote Faden der BoKo war die Frage, wie Europa gestärkt souveräner werden kann. Der von Macron eingeführte Begriff der Europäischen Souveränität wird in Deutschland vielleicht nicht geliebt, die Idee aber hat sich zumindest im Auswärtigen Amt durchgesetzt. Insofern kam der Bericht über die „Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi gerade rechtzeitig für die BoKo. Die deutschen Diplomaten verstehen die strategische Notwendigkeit, die Handlungsfähigkeit Europas durch massive Investitionen in die Spitzentechnologien, aber auch die Verteidigung zu sichern.

Europa muss im Angesicht der Bedrohung durch Russland auch in der Sicherheitspolitik souverän werden, unabhängig von den „Schicksalswahlen“ in den USA im November d.J., wie die Außenministerin in ihrer Eröffnungsrede betonte. Die Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas insgesamt bedarf der Reformen, vor allem für Entscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik mit qualifizierter Mehrheit. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber die Diplomaten sind immer mehr davon überzeugt, dass es hierfür einer politischen Führung in der EU bedarf.

Die Führungsfrage

Es sind immer noch die Mitgliedstaaten, die in der Europäischen Union die Richtung vorgeben. Das größte Land der EU aber geht der Frage der Führung aus dem Weg. Deutschland verdächtigt gleichzeitig Frankreich, in Europa führen zu wollen. Dabei war Macrons Rede an der Sorbonne (2017) auch als Angebot an die Bundeskanzlerin gemeint, die Führung gemeinsam auszuüben. Angela Merkel aber ist auf dieses Angebot nicht eingegangen. Die Geschichte der europäischen Integration zeigt eindeutig, dass Europa nur vorankommt, wenn Deutschland und Frankreich vorangehen. Der Krieg gegen die Ukraine hat zudem dazu geführt, dass die Gewichte in Europa sich verschieben. Polen ist der Frontstaat geworden, der Deutschland im Kalten Krieg war. Seine Streitkräfte werden bald zu den stärksten in Europa gehören. Seine neue Regierung wendet sich wieder Europa zu. In ihrer Eröffnungsrede nennt Annalena Baerbock ausdrücklich das „Weimarer Dreieck“ als den Akteur, der die Reformen zur Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas auf den Weg bringen kann und soll. Ist dies die Antwort auf die Führungsfrage in Europa?

Der Autor

Der Autor (Copyright: Hans-Dieter Heumann)

Der ehemalige Botschafter Dr. Hans-Dieter Heumann war Diplomat unter anderem in Washington, Moskau und Paris, arbeitete in Leitungsfunktionen im Auswärtigen Amt und im Verteidigungsministerium; bis 2015 leitete er die Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Heute ist er Associate Fellow am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn). Heumann ist zudem Biograph des langjährigen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher

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