Cocoriki:
French Touch
Die Abschlussfeier der Paralympics am 8. September im Stade de France war eine riesige Party mit einem enormen Aufgebot an französischen DJs. Was haben diese DJs, Renault und eine Unterhose gemeinsam? Cocoriki lüftet das Geheimnis.
„Wow, die Abschlussfeier der Paralympics war einfach fantastisch- die Franzosen haben es wirklich drauf.“ Solche und ähnliche Nachrichten bekam ich Anfang September von Freunden aus dem Ausland. „Bah oui, c’est la french touch ça!“ – „Das ist eben der French Touch.“, dachte ich mir dann immer und ein leichtes, mir eigentlich unbekanntes Gefühl von Nationalstolz beschlich mich. French Touch (und nicht touche française), jetzt benutzte ich sogar auch schon diesen in Frankreich gängigen Begriff, der für alles herhalten muss, was das Besondere, das je ne sais quoi beschreiben soll. Jeder Franzose verwendet ihn, aber wie konnte man ihn einem Ausländer erklären?
In einem Marketingkurs an einer Wirtschaftshochschule hatte ich meinen Studenten als Seminararbeit die Aufgabe gegeben, deutschen Geschäftspartnern in den Bereichen Sommerschuhe, Unterwäsche und Süßigkeiten den French Touch zu verkaufen. Sie sollten französische Produkte deutschen gegenüberstellen: Espadrille versus Birkenstock, le slip français versus Schiesser und Haribo versus Carambar. Die Erkenntnisse waren überraschend.
Ein Dorn im Auge
Bei „French Touch“ denken viele sofort an die französische Kultband Daft Punk, die ab Mitte der 1990er Jahre mit ihren Songs Musikgeschichte geschrieben hat. Das Ganze begann jedoch etwas früher, im Jahre 1987, dem Jahr, in dem die House-Music aus den USA nach London kam. Zu dieser Zeit trat Laurent Garnier, Absolvent einer Hotelfachschule, seinen ersten Job als Hausdiener des französischen Botschafters in London an, wo er sehr schnell das Nachtleben entdeckte und sich auch gelegentlich als DJ versuchte. Als einer der ersten eignete er sich den Musikstil der House-Music an und wurde in den Londoner Clubs zu einer Institution. Den Rest der Geschichte kennen wir: Er hing seinen Job bei dem Botschafter an den Nagel und wurde zu einem der bekanntesten DJ des Genres.
Überall in London und später auch in Manchester wurden House-Partys organisiert, bei denen durch den Konsum der neuen Modedroge Ecstasy bis in die frühen Morgenstunden und dann auf Afterpartys getanzt wurde. Dies war der britischen Premierministerin, Margaret Thatcher, jedoch ein Dorn im Auge, und so wurde beschlossen, die Clubs um 2 Uhr morgens zu schließen, was die Londoner jedoch nicht vom Feiern abhielt. Man organisierte im Untergrund „Free Parties“, die Vorgänger der späteren Rave-Partys. Laurent Garnier aber kehrte nach Frankreich zurück, wo er das Label „We give a French touch to house“ gründete. Die Pariser entdeckten diesen neuen Musikstil zunächst in dem legendären Pariser Club Le Palace, wo Partys unter dem Namen French Touch organisiert wurden, bei denen der künftige DJ-Superstar David Guetta seine ersten Schritte machte. Die französische House-Musik war geboren, die 1990er Jahre sollten zum Jahrzehnt der französischen Electro-House-Musik werden, vor allem dank des phänomenalen Erfolgs von Daft Punk.
Kann Scholz „deutscher Slip“?
In den 2000er Jahren griff dann das Marketing diesen Begriff auf, der das kleine Extra versprach, oft in Bezug auf einen ausgefeilteren, ästhetischeren Aspekt. Renault verwendete ihn in einem Werbespot (« c’est la french touch chez Renault »), in dem direkt die deutsche Konkurrenz angesprochen wird: deutsche Technik und „das Auto“ (kleiner Seitenhieb auf Volkswagen) versus „le petit plus français“, cocorico! La French Touch bekommt schnell viele Ableger wie Le Made in France oder Le consommer français. All diese Begriffe drücken eine Form des Trotzes aus: Wir lassen uns nicht unterkriegen, wir haben etwas Besonderes.
2011 gründet Guillaume Gibault Le Slip Français und schreibt Erfolgsgeschichte. Gerüchten zufolge soll sogar Präsident Macron einige Exemplare besitzen, die Firma verschweigt jedoch diskret in welcher Größe. Man stelle sich mal eine deutsche Firma mit dem Namen „Der deutsche Slip“ vor, getragen von Bundeskanzler Scholz… 2012 ließ sich der ehemalige Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg im blau-weiß gestreiften Pullover fotografieren und startete die Initiative des Made in France, das die Verbraucher dazu aufforderte, bevorzugt französische Produkte zu kaufen, patriotisch zu konsumieren – auch eine Reaktion auf die Konkurrenz des Made in Germany.
Doch zurück zur Musik: Die Songs und Bands des French Touch gehören heute zum französischen patrimoine musicale, dem musikalischen Kulturerbe, auf das man stolz ist. Den besten Beweis dafür gab es bei der Parade des 14. Juli 2017. Dort spielte das Orchester der französischen Nationalgarde vor der Ehrentribüne, vor Emmanuel Macron und Donald Trump, Get Lucky von Daft Punk. Wenn man sich in diesem Moment das Gesicht des französischen Präsidenten ansieht, glaubt man, seine Gedanken lesen zu können: „et oui Donald, c’est ça la french touch!“
Der Autor
Der in Hessen geborene Frank Gröninger wohnt seit 1993 in Paris, wo er als Lehrer für Deutsch und interkulturelle Beziehungen unter anderem für das französische Außenministerium und Sciences Po, dem Institut für politische Wissenschaften arbeitet. 2021 erschien sein Buch „Douce Frankreich: die Abenteuer eines Deutschen in Paris“, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch, 2022 sein zweites Buch, „Dessine-moi un(e) Allemand(e)“.