Stand-Up-Comedy:
Viel zu merkeln, nichts zu mäkeln

Stand-Up-Comedy: Viel zu merkeln, nichts zu mäkeln
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  • VeröffentlichtOktober 23, 2024
Anna Fournier (Copyright: Marie Charbonnier)

 

„Guten Tag, Madame Merkel“: Bis zum 4. Januar läuft das Stück von und mit Anna Fournier im Théâtre de la Pépinière in Paris. Martina Meister hat es sich für uns angeschaut. Sie berichet.

 

Man mag Angela Merkels politische Karriere und ihr langes Wirken an der Spitze Deutschlands beurteilen, wie man will, bei einem dürften sich die meisten Deutschen einig sein: Zum Lachen hat sie uns nicht oft gebracht. Hin und wieder ließ sie durchblicken, dass sie durchaus Humor hatte, aber er war oft so staubtrocken wie die Mark Brandenburg. Natürlich hat es der Job mit sich gebracht, dass die Bundeskanzlerin nicht die Gutelaune-Königin der Republik war. Man konnte förmlich dabei zuschauen, wie sich Merkles Mundwinkel während ihrer 16 Jahre währenden Amtszeit immer weiter nach unten zogen und sich die Nasolabialfalten tiefer und tiefer in ihr Gesicht eingruben. Es gab vielleicht auch nicht sonderlich viel zu lachen.

 

In Deutschland haben sich immer wieder Kabarettisten an Angela Merkel abgearbeitet. 2017 hat sich der Journalist Konstantin Richter mit seinem Roman „Die Kanzlerin“ die Zähne an ihr ausgebissen. 2019 folgte mit „Angela I.“ ein wohl auch eher missratenes Theaterstück der Bremer Shakespeare Company. Alle waren vermutlich viel zu nah dran an ihrem Objekt, alle wollten viel zu viel hineinpacken in ihre Werke, Bilanz ziehen, abrechnen, einen Schlusspunkt setzen.

 

Angela Merkel spricht Französisch

Dass es ausgerechnet einer Französin gelingt, in Paris und in der französischen Provinz die Zuschauer mit einer Stand-Up-Comedy über Merkel zu begeistern und zum Lachen zu bringen, ist auf den ersten Blick überraschend, auf den zweiten plausibel, insgesamt in jedem Fall eine starke Leistung. Mit ihrem Ein-Frauen-Stück „Guten Tag, Madame Merkel“ hat die Autorin und Schauspielerin Anna Fournier 2022 im Off des Theaterfestivals von Avignon auf sich aufmerksam gemacht und ist seither damit durch Frankreich getourt. Jetzt ist sie mit ihrem Merkel-Stück bis Anfang Dezember wieder im Pariser Theater La Pépinière zu sehen, danach wird sie von ihrer Kollegin Candice Bouchet abgelöst.

 

Für deutsche Zuschauer kann eine kleine Gebrauchsanweisung nicht schaden: Vergessen Sie alles, was Sie je über Angela Merkel gewusst haben. Gehen Sie vorurteilsfrei in diesen Abend. Lehnen Sie sich im Sessel zurück und lassen Sie sich überraschen. Denn Angela Merkel spricht Französisch, mit schwerem deutschem Akzent, sie lässt die Sätze schleifen, die Laute kommen tief aus ihrer Kehle, die ganze Prosodie ist deutsch.

 

Angela Merkel ist auch nicht sonderlich alt, nicht einmal vierzig. Sie ist auch nicht übergewichtig, die rote, kragenlose Jacke ist tailliert und sitzt nicht auf. Es gibt auch keine verblüffende Ähnlichkeit über Generationen hinweg. Dennoch steht vor einem Angela Merkel, wenn die Französin auf der Bühne in die Haut von Deutschlands ehemaliger Bundeskanzlerin schlüpft, fast anderthalb Stunden lang. Fournier hat mit diesem Stück großes schreiberisches Talent bewiesen und hat darüber hinaus auch noch die schauspielerische Gabe, mit Gesten, mit Mimik und mit Körperhaltung die Persönlichkeit der Kanzlerin einfach abzurufen. 

 

Erst das Mädchen, dann die Mutti

Mit „Guten Tag, Madame Merkel“ wagt Fournier das Psychogramm einer Politikerin, die über Jahre die mächtigste Frau der Welt war. Sie ruft Bilder in Erinnerung. Merkel mit Putin. Merkel mit Obama. Merkel meist als einzige Frau inmitten einer Riege von Staatsmännern. Dabei zeichnet sie das Porträt einer Frau, die sich von fast nichts hat beeindrucken lassen, außer von Wladimir Putins Hund, und die, selten uneitel, die Sache immer über die eigene Person gestellt hat.

 

Es hat etwas erfrischend Naives, dass alles noch einmal aufgerollt wird: die DDR, der Pastorenhaushalt, die Wissenschaftlerin, der Mauerfall, der Übervater Helmut Kohl, der Aufstieg in der CDU, der Vatermord, die Wahl zur Bundeskanzlerin, das Kanzleramt, die vier Amtszeiten. Fournier zeichnet auf unterhaltsame und menschliche Weise den Parcours vom „Mädchen“ zur „Mutti“ nach und lässt ihre Zuschauer spüren, dass sie Respekt für ihre Figur hat. „Sie ist eine faszinierende Frau“, sagt Fournier im Interview mit dem Radiosender France Info und fügt hinzu, „sie hat demonstriert, dass Ethik in der Politik möglich ist. Sie war pragmatisch, hat ihre Meinung geändert“.

 

Anna Fournier (Copyright: Marie Charbonnier)
Fournier will die Zuschauer hinter die Kulissen blicken und in die Gedankenwelt von Merkel eintauchen lassen. Sie schlüpft in die Haut von Joachim Sauer, Wolfgang Schäuble, George W. Bush und sogar in die Otto von Bismarcks. Eine zentrale Rolle spielt Merkels Büroleiterin Beate Baumann, Waltraud Wagner im Stück. Naturgemäß nimmt sich Fournier dabei künstlerische Freiheit. Merkel hat sicher nie das Wort „girly“ benutzt. Dennoch stimmen so viele Beobachtungen, alle Zwischentöne, dass es der Glaubwürdigkeit keinen Abbruch tut.

 

Putin überfällt die Ukraine nach Merkels Abgang

Die Migrationskrise bekommt in diesem Merkel-Porträt überraschend wenig Raum, die brutale Austeritätspolitik gegenüber Griechenland dafür umso mehr. Das Entscheidende an Fourniers Aufarbeitung ist, dass sie keine politische Bilanz zu ziehen versucht, kein letztgültiges Urteil fällen will. Man wohnt Merkels inneren Konflikten bei, man ahnt ihre Verdienste, man riecht ihre Fehler, aber Fournier ist in die Haut und damit in die Seele ihrer Protagonistin geschlüpft. Sie will nicht mit der ehemaligen Bundeskanzlerin ins Gericht gehen und kann nicht selbstkritischer sein als Merkel es in ihrer eigenen Autobiographie war.

 

In „Guten Tag, Madame Merkel“ geht es nur um die Intimität des Politischen. Fournier wendet dabei das Prinzip der Tragödie des 17. Jahrhunderts an: „Alles passiert im Antichambre, im Vorzimmer. Was man sieht und hört, sind die Diskussionen im Off, die Intimität des Politischen, die sich jeder nur vorstellen kann“, so die Autorin und Schauspielerin.

 

Merkel ist keine Fashionista

Copyright: Marie Charbonnier

Was haben sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy auf ihrem Spaziergang am Strand vom Deauville im Oktober 2010 gesagt? Was berichtet sie ihrem Ehemann, Joachim Sauer, nach einem Treffen mit Wladimir Putin, bei dem dieser laut geworden ist? „Wird sie manchmal wütend?“, fragt Fournier, „warum scheint ihr alles, was mit ihrem Aussehen zu tun hat, gleichgültig zu sein? Was geht in ihrem Innersten vor, wenn sie eine Entscheidung trifft, die über das Schicksal von Millionen Menschen entscheidet?“ An einer Stelle im Stück fragt sich Madame Merkel aber, ob Putin nur darauf gewartet hat, dass sie das Amt verlässt, um die Ukraine zu überfallen. „Trage ich Verantwortung“, fragt sie sich? Auch so lassen sie komplexe Verstrickungen auf einen Gedanken zusammenziehen. Davor war der Atomausstieg, die Abhängigkeit von russischen Energiequellen, der Deal mit Nord Stream und natürlich Merkels Nein, als es um einen möglichen Beitritt der Ukraine in die Nato ging.

 

Charmeure, Hektiker, Teddybären und Jeanne d’Arc

Die größten Lacher landet Fournier, wenn ihren französischen Landsleuten Deutschland und Frankreich erklärt, aus der Sicht der Bundeskanzlerin. Die deutsche Kultur der Koalition? Können sie nicht verstehen, wo sie doch alle fünf Jahren für einen autoritären Übervater stimmen, dessen Entscheidungen das Parlament nur abzunicken hat.

 

Mit wenigen Pinselstrichen zeichnet Fournier die Porträts der vier französischen Präsidenten, die Merkel als Kanzlerin kennengelernt hat: Jacques Chirac, der Charmeur, der mit der Politik abgeschlossen hatte. Nicolas Sarkozy, der Hektiker, der sie in der Krise der Subprimes dazu bringen wollte, die französischen Banken zu retten. François Hollande, der Teddybär, der Syrien bombardiert hat. Und schließlich der amtierende Präsident, Emmanuel Macron, die „Inkarnation des romanesken französischen Volksgeists“, über den sein eigene Frau Brigitte sagt: „Manchmal habe ich das Gefühl, mit Jeanne d’Arc zusammenzuleben.“ Für derart überzogene Politik-Eschatologie hat Merkel nicht viel Sinn: Ils sont sur la lune, die haben komplett abgehoben, sagt sie augenrollend.

 

Auch das Verb „merkeln“ erklärt sie den Franzosen: Laisser pourrir une situation en ne prenant pas de décision. Auf gut Deutsch, eine Sache einfach aussitzen. Ihr abschließendes Urteil zur Freundschaft zwischen Paris und Berlin, zum berühmten Motor, zum ungleichen Paar lautet: „Ich habe das sakrosankte deutsch-französische Verhältnis nie verstanden.“ Dieser Verdacht bestand in der Tat immer. Gut, dass es mal jemand so klar sagt.

 

Die Autorin

Martina Meister arbeitet seit über zwanzig Jahren als Korrespondentin aus Frankreich, anfangs schrieb sie vorwiegend über kulturelle, kulturpolitische und gesellschaftliche Themen, seit 2015 ist sie politische Korrespondentin von WELT & WELT AM SONNTAG. Sie hat François Duby aus dem Französischen übersetzt, das Onlinemagazin „Mad about Paris“ gegründet und ist Autorin des Buches „Filou oder glücklich mit Hund“.

 

 

 

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