Cocoriki:
Im Märzen der Bauer…

Cocoriki: Im Märzen der Bauer…
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  • VeröffentlichtNovember 5, 2024
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Sobald in Frankreich Michael Bublés Haven’t Met You Yet oder You’re Beautiful von James Blunt ertönt, denken viele Franzosen nicht etwa an romantische Abendessen, sondern an die Landwirtschaft. Woran mag das wohl liegen? Cocoriki klärt auf.

 

Während meiner ersten Jahre als Pariser Stadtpflanze war der Marché biologique des Batignolles, ein samstäglicher Outdoor-Bio-Bauernmarkt, mein einziger Kontakt zur französischen Landwirtschaft. Das sollte sich 2011 ändern, denn da bekam ich einen Anruf aus dem französischen Landwirtschaftsministerium: „Der Minister plant ein Treffen mit der deutschen Landwirtschaftsministerin in Berlin. Es geht um die Neuverhandlungen der GAP, der Gemeinsamen Agrarpolitik. Hätten Sie Zeit für ein paar Coachingstunden?“

 

Was der Bauer nicht kennt…

Natürlich hatte ich Zeit. Doch bevor es los ging, hieß das für mich: Eintauchen in das Landwirtschaftsvokabular und einlesen in die Besonderheiten der Agrarpolitik der EU.

 

Dabei wurde mir schnell bewusst, dass es gerade in der französischen Landwirtschaft um viel mehr ging als nur um die Herstellung von Käse und die Aufzucht von Rindern. Die Landwirtschaft war und ist ein Teil der französischen Identität (auch wenn sie heute nur noch 1,6% des BIP ausmacht), sie spiegelt die Vielfalt der Landschaft wider, und auch den kulinarischen Reichtum. Ist sie in Gefahr, droht der Verlust dessen, was Frankreich so einzigartig macht.

 

Wahrscheinlich hatte ich von da an eine selektive Lesart entwickelt, denn plötzlich stieß ich immer häufiger auf Artikel über die schwierige Lage der Bauern, deren Herausforderungen und die hohe Zahl an Suiziden in diesem Berufsbereich. Immer wieder tauchte auch der Titel einer Fernsehsendung auf: L’amour est dans le pré. Bei dieser seit September 2005 in Frankreich sehr erfolgreichen Fernsehsendung, deren Erkennungsmelodie zunächst You’re Beautiful war, die heute aber mit Haven’t Met You Yet anfängt, handelt es sich um eine Dating-Show für einsame Landwirte*innen auf der Suche nach der großen Liebe. Vom Austernzüchter bis zum Salzbauern sind alle vertreten, ganz gleich welches Alter oder welche sexuelle Orientierung sie haben.

 

Im Januar werden zunächst die Portraits der heiratswilligen Kandidaten ausgestrahlt. Im Herbst beginnt dann die spannende Phase: Das Öffnen der Briefe der Interessenten*innen, gefolgt von einem Speed-Dating in Paris und zum näheren Kennenlernen werden dann die zwei „Favoriten*innen“ für eine Woche auf den Hof eingeladen. Es wird gestritten, geflirtet, getanzt, gegessen, getrunken und gemeinsam mit dem Traktor gefahren- die Kameras sind immer dabei und alle hoffen auf ein Happy End. Die Bilanz der Sendung kann sich jedenfalls sehen lassen, denn mittlerweile wurden an die 27 Ehen geschlossen und über 60 Kinder geboren.

 

Croissants auf der Autobahn

Karine Le Marchand (Copyright: Wikimedia Commons)

Moderiert wird die Sendung von dem ehemaligen Model Karine Le Marchand, die für ihre Verdienste für die Bauern mehrere Male ausgezeichnet wurde: Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll machte sie zum Chevalier de l’ordre du mérite agricole und von seinem Nachfolger bekam sie la Croix d’officier du mérite agricole. Wo die Bauern sind, da ist auch Karine und so erschien sie ganz medienwirksam am 29. Januar 2024 auf der von den Bauern gesperrten Autobahn A4, verteilte Croissants und erklärte in Interviews die prekäre Lage der Bauern. Sie dürfte bald wieder zu tun haben, denn der Vorsitzende der FNSEA, dem Nationalen Bauernverband hat für November bereits Proteste gegen das Mercosur-Abkommen angekündigt…

 

Hau ab, du Depp

Ein unumgängliches Bauernereignis in Frankreich ist der Salon de l’agriculture, die Landwirtschaftsmesse. Sie findet im Februar statt und ist ein Happening, bei dem sich Politiker aller Couleur die Klinke in die Hand geben. Sie streicheln Kühe und Kälber und essen und trinken sich durch die Stände, um den Puls der Bevölkerung zu spüren und zu zeigen, dass sie für sie da sind. Viele Präsidenten hinterlassen ihre Spuren in der Geschichte der Landwirtschaftsmesse. So spricht man noch heute von Präsident Chirac, der wie kein anderer essen und trinken konnte. Sein Nachfolger Nicolas Sarkozy machte 2008 allerdings nicht durch seine Esskapazitäten von sich reden: Als ein Besucher der Messe sich weigerte, ihm die Hand zu schütteln, rutschte dem Präsidenten der nicht sehr präsidiale Satz: Casse-toi, pauv‘ con! (Hau ab, du Depp) heraus.

 

Wer suchet, der findet…

Erfahrene deutsche Fernsehzuschauer werden nun sagen: Also in Deutschland gibt es diese Sendung aber auch! Sicher, diese Sendung, die in Großbritannien erfunden wurde, gibt es in vielen Ländern, aber spricht nicht allein die Wahl des Namens schon für sich? Die Deutschen übernahmen den sehr direkten Titel Bauer sucht Frau. Das war den französischen Produzenten zu unromantisch. Un peu de poésie quand même! Und so entschied man sich für Die Liebe ist auf der Wiese, inspiriert von dem Film Le bonheur est dans le pré. Zudem sucht der Bauer ja nicht immer eine Frau; auch Bäuerinnen suchen.

 

Am 25. November wird die letzte Folge der 2024er Staffel ausgestrahlt und alle sind gespannt, ob die Liebe nun wirklich auf der Wiese geblieben ist. Entscheidet sich Gillou aus dem Loiretal nun für die unternehmerische Isabelle oder die schüchterne Marie? Der 69jährige hat beiden jedenfalls schon von seiner blauen Wunderpille vorgeschwärmt, die dann zum Einsatz käme. Hoffentlich finden dann die anderen auch ihr Glück. Und wenn nicht, dann hat Michael Bublé die tröstende Erklärung: I Just Haven’t Met You Yet.

 

Der Autor

Frank Gröninger (Copyright: F. Gröninger)

Der in Hessen geborene Frank Gröninger wohnt seit 1993 in Paris, wo er als Lehrer für Deutsch und interkulturelle Beziehungen unter anderem für das französische Außenministerium und Sciences Po, dem Institut für politische Wissenschaften arbeitet. 2021 erschien sein Buch „Douce Frankreich: die Abenteuer eines Deutschen in Paris“, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch, 2022 sein zweites Buch, „Dessine-moi un(e) Allemand(e)“.

 

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