Unsere Geschichte:
Vor 80 Jahren, die erste Papierbrücke

Unsere Geschichte: Vor 80 Jahren, die erste Papierbrücke
  • VeröffentlichtJuni 11, 2025
Gesprengte Rheinbrücke bei Kehl im Jahre 1945 (Copyright: Wikimedia Commons)
Gesprengte Rheinbrücke bei Kehl im Jahre 1945 (Copyright: Wikimedia Commons)

Vor 80 Jahren erschienen die ersten losen Blätter von Documents und Dokumente – eine Papierbrücke, die sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer Säule der deutsch-französischen Zusammenarbeit verfestigt hat. Die Geschichte der Zeitschrift ist weit mehr als ein Symbol.

 

Wie so oft beginnt die Geschichte mit einer Anekdote – fast schon einer Parabel. Als Jean du Rivau (1903-1970) im Jahr 1944 zum Militärseelsorger der französischen Garnison im badischen Offenburg ernannt wurde, war er bereits ein erfahrener Priester: 1936 geweiht, früh dem Widerstand beigetreten und Überlebender der Konzentrationslager Mauthausen und Dachau. In Offenburg wurde er Zeuge des harten Alltagslebens in einem besiegten, zerstörten und ausgebluteten Deutschland. Der Überlieferung nach begegnete er dort einem kommunistischen französischen Soldaten, der den Rhein von Ludwigshafen nach Mannheim überqueren wollte, um herauszufinden, ob es auf der anderen Seite noch weitere Kommunisten gebe. Eine andere Version erzählt von zwei Soldaten, die sich auf derselben Brücke trafen und sich pfeifend mit der „Internationale“ grüßten. Warum, so soll sich der französische Seelsorger gefragt haben, sollten ausgerechnet Kommunisten das Vorrecht haben, den Dialog zwischen Franzosen und Deutschen wiederherzustellen? Ob die Anekdote wahr ist oder nicht – sie steht sinnbildlich für einen neuen Geist. Mit ihr beginnt ein bemerkenswertes Kapitel: Bereits im Herbst 1945, weniger als vier Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen, erscheinen erste Hefte unter dem Titel Documents und Dokumente. Kurz darauf werden deutsche Flüchtlingskinder zu französischen Gastfamilien geschickt, in Offenburg eine Buchhandlung für französische Literatur eröffnet – und in Straßburg eine für deutsche Werke.

 

Zwei Zeitschriften, eine Mission

Zu Recht ist darauf hinzuweisen, dass Documents und Dokumente von Anfang an keine identischen „Zwillinge“ waren, da sich die Inhalte unterschieden. Die Absicht jedoch war dieselbe: den ehemaligen Gegner aufzusuchen, den Dialog aufzunehmen und die jeweiligen Erfahrungen zu vergleichen – ohne dabei die Leiden zu verschweigen, die Menschen in beiden Ländern als „Erbfeinde“ durchlebt hatten. Für Pater du Rivau musste christliche Vergebung Grundlage eines politischen Versöhnungswillens sein, der 1945 noch alles andere als selbstverständlich war.

Jean du Rivau (Copyright: GüZ)
Jean du Rivau (Copyright: GüZ)

Die erste Einrichtung, die 1945 in Offenburg entstand, hieß Centre d’Information et de Documentation Économiques et Sociales (CIDES) und wurde ein Jahr später in Centre d’Études Culturelles, Économiques et Sociales (CECES) umbenannt. 1949 erhielt das Zentrum einen juristischen Status und wurde zweigeteilt: In Frankreich unter dem Namen Bureau International de Liaison et de Documentation (B.I.L.D.) und in Deutschland als Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GüZ). Bis heute zählen diese Organisationen zu den ältesten Zeugnissen deutsch-französischer Kooperation nach dem Krieg – auch wenn ihre Bezeichnungen keinerlei Hinweis auf diese besondere Mission enthalten. Überraschend ist, dass B.I.L.D. und GüZ von ihrem gemeinsamen Sitz in Offenburg aus kaum etwas unternommen haben, um ihre Ähnlichkeit zu betonen, während ihre Publikationen Documents und Dokumente allein durch ihre Titel den (falschen) Eindruck erweckten, sie seien eine gemeinsame Zeitschrift. Auch lässt sich über die Wortwahl philosophieren: Warum etwa wählten die Deutschen das „ü“ von „übernational“, während die Franzosen bei „international“ blieben? Vielleicht folgte die französische Namenswahl der durchaus nachvollziehbaren Versuchung, die Institution mit einem deutschen Wort (Bild) zu verknüpfen – ein Begriff, der in jener Zeit sinnbildlich für das Aufkommen einer bilddominierten Presse stand (die auflagenstarke Boulevardzeitung Bild-Zeitung wurde im selben Jahr in Deutschland gegründet).

1956 zogen beide Redaktionen von Offenburg nach Köln, wo der Verwaltungsdirektor Max Adenauer hieß – Sohn von Konrad Adenauer, lange bevor dieser und Charles de Gaulle 1963 den Élysée-Vertrag unterzeichneten. Später zog die GüZ mit der Redaktion von Dokumente nach Bonn, während sich B.I.L.D. mit Documents 1976 in Paris niederließ. Zwei Adressen, zwei Zeitschriften – doch die Bemühungen um inhaltliche Angleichung nahmen zu, denn die Verantwortlichen waren überzeugt: Annäherung ist nicht nur Aufgabe der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Nach dem schmerzlichen, einseitigen Rückzug des französischen Außenministeriums beschlossen die beiden Zeitschriften im Jahr 2010 ihre Fusion. Seither erscheint unter dem gemeinsamen Titel Dokumente/Documents eine zweisprachige Ausgabe – mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes, jedoch weiterhin derselben Mission verpflichtet: auf Französisch über Deutschland und auf Deutsch über Frankreich zu informieren.

 

Der Dialog – das Gegenmittel zur Propaganda der Kriegsjahre

Ursprünglich dazu gedacht, französische Leser von ihrer Angst vor Deutschland nach der Nazizeit zu befreien, wandelte sich die französische Zeitschrift im Laufe der Jahre von einer Revue des questions allemandes zu einer Revue des deutsch-französischen Dialogs – wie ihr deutsches Pendant. Dokumente war anfangs eine von Franzosen gemachte Zeitschrift mit übersetzten deutschen Texten, oft aus der Tagespresse. Vor der Gründung der Bundesrepublik 1949 lagen die Entscheidungsbefugnisse allein bei den Alliierten. Es war kein Geheimnis, dass die Aktivitäten des Pater du Rivau nicht immer auf Zustimmung stießen – viele in der französischen Verwaltung wollten Deutschland eher schwächen als es demokratisch neu aufbauen. Angesichts dieser Zurückhaltung war die Kirche eine wichtige Stütze, doch auch dort gab es Spannungen – etwa zwischen deutschen Jesuiten und dem Jesuitenorden insgesamt, was Pater du Rivau zusätzliche Schwierigkeiten bereitete.

Copyright: Gérard Foussier
Copyright: Gérard Foussier

Dies war wohl auch der Grund, warum die zunächst stark kirchlich geprägte Doppelzeitschrift bald den Dialog mit Laien suchte. Bereits 1950 wurde ein Elsässer als Chefredakteur eingesetzt, der die Zeitschrift in einen Prozess der Säkularisierung führte – in der Auswahl der Autoren wie auch der Themen. Mit den Jahren weitete sich der Dialog auf akademische Kreise aus, mit Beiträgen von Wissenschaftlern, Experten und Journalisten, stets mit dem Ziel, das gegenseitige Verständnis zu fördern – und gleichzeitig die Unterschiede zu benennen.

Der Anspruch aber blieb derselbe wie 1945. Jean du Rivau formulierte es so:
„Unser Ziel bei der Veröffentlichung dieser verschiedenen Dokumente ist es einzig und allein, beiden Seiten Informationen über das Tun und Lassen des jeweils anderen zu geben. Wir wollen keine Partei ergreifen, sondern durch Texte zur Aufklärung beitragen – um eines Tages miteinander ins Gespräch zu kommen.“ Der Dialog also – als Gegenmittel zur Propaganda der Kriegsjahre.

 

Den bilateralen Rahmen öffnen

Bald schon überschritt die Mission der beiden Zeitschriften den deutsch-französischen Rahmen und nahm eine europäische Dimension an. „Ist die Versöhnung vollzogen, dann macht das deutsch-französische Gewicht nur Sinn, wenn es Europa vorantreibt“, schrieb Joseph Rovan, B.I.L.D.-Präsident von 1985 bis 2001, in einem Sonderheft mit dem Titel „Ein Erbe im Dienst Europas“. Jean du Rivau bleibt das Symbol dieser Initiative: Er war 1954 der erste Franzose, der das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland erhielt, wurde von Robert Schuman in die Ehrenlegion aufgenommen und zelebrierte 1967 in der Kathedrale Notre-Dame in Paris eine Messe für Konrad Adenauer – ein symbolischer Akt über das Religiöse hinaus.

Seit 2018 ersetzt die Website dokdoc.eu die gedruckte Ausgabe der Zeitschrift (seit 2010 zweisprachig unter dem Titel Dokumente-Documents). Die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen beschränkt sich jedoch nicht auf das Medium. Ein weiterer zentraler Teil der Versöhnung betrifft die Jugendbegegnungen, organisiert von B.I.L.D. und GüZ. Ziel: Information, Austausch, Kooperation, Förderung des Sprachenlernens und gemeinsames Freizeitprogramm – damit junge Menschen beider Länder durch geteilte Erlebnisse die Kultur und Sprache des Partners entdecken und besser verstehen lernen.

 

Copyright: GüZ
Copyright: GüZ

 

An mehreren Standorten in Frankreich und Deutschland bieten die beiden Organisationen 15 Ferienprogramme für Jugendliche zwischen 9 und 18 Jahren sowie zwei Fortbildungsprogramme für junge Erwachsene an – betreut von deutsch-französischen Teams. Diese Aktivitäten sind vom Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) anerkannt und gefördert, das 1963 gegründet wurde. Zu Recht dürfen B.I.L.D. und GüZ von sich behaupten, diesem Werk als Vorreiter den Weg geebnet zu haben. Paris und Berlin wären gut beraten, diese gemeinsame Geschichte nicht zu unterschätzen – denn sie ist alles andere als eine bloße Anekdote.

 

Der Autor

Gérard Foussier (Copyright: privat)

Gérard Foussier schloss 1969 sein Studium der Germanistik an der Universität seiner Heimatstadt Orléans ab und entdeckte seine Leidenschaft für die deutsch-französischen Beziehungen durch die Städtepartnerschaft mit Münster in Westfalen. Nach seiner Ausbildung zum Journalisten bei den Westfälischen Nachrichten arbeitete er drei Jahrzehnte lang für den deutschen Rundfunk Deutsche Welle in Köln und dann in Bonn, bevor er 2005 zum Präsidenten des Bureau International de Liaison et de Documentation (B.I.L.D.) gewählt wurde. Er war 13 Jahre lang Chefredakteur der zweisprachigen Zeitschrift Dokumente/Documents und ist Autor mehrerer Bücher. Sein letztes Buch, Allemanderies, wurde im Januar 2023 veröffentlicht. Er besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes.

 

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