Präsidentschaftswahl 2027:
Frankreich wartet auf seinen Erlöser


Die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich findet 2027 statt – doch schon jetzt bringen sich potenzielle Kandidaten in Stellung. Wer Erfolg haben will, muss sich als „Retter in der Not“ präsentieren – eine Figur, die tief in der französischen Geschichte verankert ist.
Das französische politische System befindet sich derzeit offenbar in einer Sackgasse. Seit Präsident Macron am 9. Juni 2024 überraschend die Nationalversammlung aufgelöst hat, hat die französische Politik ihren Kompass verloren. Die darauffolgenden Parlamentswahlen bestätigten den bereits bei der Europawahl erkennbaren Aufschwung der extremen Rechten, die im ersten Wahlgang 33 % der Stimmen auf sich vereinen konnte. Im zweiten Wahlgang (7. Juli 2024) formierte sich als Reaktion eine heterogene „republikanische Front“ aus einer linken Koalition – dem Nouveau Front Populaire (NFP) – und der Präsidentschaftskoalition „Ensemble“. Doch das Ergebnis war das genaue Gegenteil jener „Klärung“, die Emmanuel Macron mit der Auflösung angestrebt hatte.
Drei Blöcke, kein Kompromiss
Die neue Nationalversammlung mit ihren 11 Fraktionen ist die fragmentierteste in der gesamten Geschichte der V. Republik. Drei Blöcke streiten um die Macht, ohne eine absolute Mehrheit (289 Sitze) erreichen zu können: der NFP (192 Abgeordnete), der Ensemble-Koalition (164) und der Rassemblement National (143). Keiner dieser Blöcke ist in der Lage, allein zu regieren – ganz zu schweigen von ihrer Unfähigkeit, Bündnisse einzugehen.
Diese Situation hat zu anhaltender politischer Instabilität im Land geführt. Bereits drei Monate nach ihrer Bildung wurde die Regierung von Michel Barnier durch ein Misstrauensvotum gestürzt – unterstützt von RN und NFP. Sein Nachfolger François Bayrou entging demselben Schicksal (3. Februar 2025) dank eines Pakts mit der Sozialistischen Partei (PS). Doch auch er ist schwer angeschlagen: ohne parlamentarische Mehrheit und mit historischen Tiefstwerten in den Umfragen.
In diesem Kontext wäre es dringend nötig, dass politische Akteure aller Parteien neue Wege gehen und eine Kultur des Kompromisses etablieren. Doch diesem Ziel steht der absehbare Präsidentschaftswahlkampf 2027 im Weg. Es sind zwar noch zwei Jahre bis zur Wahl, doch richten sich bereits sämtliche Strategien darauf aus.
Die Rückkehr des Erlösers
Auf der linken Seite bereitet sich Jean‑Luc Mélenchon auf eine vierte Kandidatur vor. In der Mitte macht der ehemalige Premierminister Édouard Philippe bereits Wahlkampf. Was Marine Le Pen betrifft, so gilt sie als natürliche Kandidatin der extremen Rechten – es sei denn, ihr Berufungsprozess, der für März 2026 angesetzt ist, hindert sie daran, erneut zu kandidieren. In diesem Moment taucht die altbekannte Mythologie des „Erlösers“ („homme providentiel“) auf, wie sie die französische Geschichte immer wieder hervorgebracht hat – von Napoleon Bonaparte über General de Gaulle bis hin zu Léon Gambetta (1870) oder Georges Clémenceau (1917). Auch in der Fünften Republik spielten Erlöser-Mythen eine Rolle: zum Beispiel im erfolgreichen Wahlkampf von Nicolas Sarkozy im Jahr 2007, der den Spitznamen „Sarkoléon“ trug. Auch im Wahlkampf von Emmanuel Macron 2017 fand sie sich wieder, als er die Energie, Kampfbereitschaft und Autorität des Bonapartismus und des Gaullismus betonte.

Heute gibt es viele unterschiedliche Kandidaten, die sich auf diese Tradition berufen könnten – im Zeichen ihrer Andersartigkeit und Entschlossenheit. So hat der siebzigjährige ehemalige Premierminister Dominique de Villepin gerade seine Bewegung „La France Humaniste“ gegründet, um wie Phönix aus der Asche für 2027 zu kandidieren. Durch seine Äußerungen zum Nahen Osten wurde er zur beliebtesten politischen Persönlichkeit der Franzosen, ein Mann der Rechten, der bei linken Wählern Anklang findet, und als weiser Staatsmann gilt. In Erinnerung geblieben ist insbesondere seine berühmte Rede vor der UNO im Februar 2003, in der er den USA öffentlich widersprach und sich weigerte, Frankreich in den Irakkrieg zu führen. In einer zersplitterten und diskreditierten politischen Landschaft kann eine Figur wie Dominique de Villepin, der sich als Erbe der gaullistischen Größe und als Brückenbauer inszeniert, einen bedeutenden Teil der öffentlichen Meinung erreichen. Doch die Popularität des Augenblicks reicht nie aus, um den Élysée-Palast zu erobern – wie Michel Rocard, Édouard Balladur oder Alain Juppé schmerzlich erfahren mussten.
Der ehemalige Präsident François Hollande, der wieder an Beliebtheit gewonnen hat, ebenso wie Michel Barnier, der zwar nur kurzzeitig im Herbst 2024 Premierminister war, aber von den Franzosen für seine Offenheit und sein Staatsverständnis geschätzt wird, könnten auch Anspruch auf dies Rolle erheben.
Attal, Bardella, Gluckmann
Dem gegenüber steht jedoch ein anderer Topos der Erlöser-Mythologie: jener der energiegeladenen Jugend und des Neuanfangs. Hier positionieren sich mehrere Kandidaten, gestützt auf ihre Popularität: Gabriel Attal, der jüngste Premierminister der Fünften Republik, dessen sicherheitspolitische Rhetorik ein konservatives Wählerspektrum ansprechen könnte. Sein „Spiegelbild“ ist Jordan Bardella, die rechte Hand von Marine Le Pen, Vorsitzender des RN und potenziell jüngster Kandidat im Präsidentschaftsrennen. Sollte das Berufungsverfahren gegen die Kandidatin mit einer Bestätigung des ursprünglichen Urteils enden, würde Jordan Bardella in den Wahlkampf einsteigen – mit dem Trumpf seiner Jugend und seiner Kommunikationsstärke. Würden die Wähler über seine Unerfahrenheit und die Enttäuschung des Ausschlusses von Marine Le Pen hinwegsehen? Diese Frage bleibt offen – trotz der Popularität ihres Kronprinzen.

Ähnlich stellt sich die Frage bei der potenziellen Kandidatur von Raphaël Glucksmann, der durch seinen Erfolg bei den Europawahlen hervorsticht – dort lag er nicht nur dicht hinter der Liste der Präsidentschaftskandidaten, sondern überholte vor allem deutlich die Liste von La France Insoumise. Im Gegensatz zur PS-Führung hat der Kandidat von Place Publique eine klare Absage an eine Allianz mit Jean-Luc Mélenchon erteilt. Er kann daher berechtigt als Vertreter der sozialdemokratischen Linken auftreten, die sich den Wiederaufbau bis 2027 zum Ziel gesetzt hat. Doch wird es ihm gelingen, die breite Bevölkerung anzusprechen – er, der intellektuelle Pariser, der sich vor allem auf europäische Themen konzentriert? Die Fähigkeit, seine Überzeugungen authentisch zu verkörpern, ist ein entscheidender Vorteil für einen Präsidentschaftskandidaten.
Dies erklärt auch den heutigen Aufschwung eines weiteren potenziellen Retters, dessen Profil mit seinem Werdegang übereinzustimmen scheint, nämlich Bruno Retailleau. Retailleau stammt aus der Partei der Republikaner, einer Partei, die sich in einer tiefen existenziellen Krise befindet. Er hat es jedoch innerhalb weniger Monate geschafft, sie wieder ins Zentrum des politischen Geschehens zu rücken und sich als Präsidentschaftskandidat zu positionieren. Wird er seinen Aufstieg an die Spitze bis zum Ende durchhalten?
Die Erwartungen der Franzosen
In der Geschichte der Fünften Republik hat wohl nie zuvor eine so große Zahl potenzieller Kandidaten die Mythologie des „Erlösers“ verkörpert. Dies ist eine Folge der Zersplitterung des politischen Spektrums im Kontext des nahenden Endes der Amtszeit Emmanuel Macrons. Zugleich ist es ein Symptom des gewachsenen Misstrauens zwischen den Franzosen und ihren politischen Eliten, das dazu führt, dass man hofft und erwartet, eine außergewöhnliche Persönlichkeit werde durch ihr Charisma und ihren Willen den gordischen Knoten ihrer Enttäuschungen und Hoffnungen lösen. Frankreich wird – seiner Geschichte treu – erneut von einer Einzelperson das erwarten, was in anderen Demokratien durch kollektive Prozesse erreicht wird. Doch dies ist eine französische Besonderheit, die man akzeptieren muss, denn sie hat unsere Geschichte geprägt.
Der Autor

Jean Garrigues ist emeritierter Professor an der Universität Orléans und Präsident der Internationalen Kommission für die Geschichte der Parlamente. Er hat rund dreißig Werke zur französischen Politgeschichte seit der Revolution veröffentlicht.