Cocoriki:
La vie in rosarot


In Deutschland ist man bekannt wie ein bunter Hund, in Frankreich dagegen wie der weiße Wolf, comme le loup blanc. Seltsam. Welche Rolle spielt Sprache eigentlich bei der farblichen Wahrnehmung unserer Umwelt? Cocoriki stellt sich kunterbunte Fragen.
Der 15. Juli 2007 war der Anfang eines neuen Lebensgefühls in Paris, es war die Geburtstunde der Vélibs (vélo und liberté), des öffentlichen Fahrradverleihsystems. Wahrscheinlich war das Pariser Rathaus davon ausgegangen, dass jeder Radfahrer in der Grundschule seinen Fahrradführerschein (in Frankreich permis cycliste enfant) gemacht hatte und sich an die Verkehrsregeln erinnern würde. In Wirklichkeit sah das allerdings anders aus, denn über folgende Frage schieden sich die Geister: Gilt das Rot der Ampel auch für Radfahrer oder hält man das wie die Fußgänger? Und bei Gelb? Schon bald sollte ich eine persönliche Erfahrung mit den Regeln für die Ampelfarben machen.
Ich fuhr mit meinem Vélib auf dem Boulevard Saint Germain von der französischen Nationalversammlung in Richtung Odéon, da sprang die Ampel plötzlich von Grün auf Gelb. Was tun? Bremsen oder noch schnell drüber fahren? Ich entschied mich für Letzteres und wurde einige Meter später prompt von einem Polizisten angehalten:
– „Monsieur vous avez brûlé un feu rouge“, wörtlich: Sie haben ein rotes Feuer verbrannt.
Der Polizist warf mir vor, bei Rot über die Ampel gefahren zu sein, was ja gar nicht stimmte und so startete ich einen Rechtfertigungsversuch:
– „Rouge? Mais Monsieur ce n’était pas rouge, c’était jaune”, erklärte ich ihm, erntete aber nur verdutzte Blicke.

Der Polizist ließ nicht mit sich reden und verlangte meinen Ausweis, um mir einen Strafzettel auszustellen. Als er dann aber meinen deutschen Personalausweis sah, machte er wieder dieses verdutzte Gesicht:
– „Vous êtes Allemand? Bah alors, les Allemands ça respecte les feux, non?“ (Sie sind Deutscher? Na, was ist denn los? Die Deutschen halten sich doch an die Regeln, oder?), sagte er und gab mir meinen Ausweis zurück. „Allez, c’est bon, filez!“ (Machen Sie, dass Sie wegkommen!)
Ich setzte mich auf mein Vélib und trat in die Pedale, ebenso verdutzt wie der Polizist zuvor.
Ist die FDP orange?
Einige Tage später hatte ich dann ein Aha-Erlebnis: Ich war mit Freunden im Auto unterwegs und als die Ampel von Gelb auf Rot umsprang, rief mein Beifahrer: „Attention, ça passe à l’orange!” Orange? Nicht gelb? War das also der Grund für die verdutzten Blicke des Polizisten?
Dem muste ich auf den Grund gehen und wurde fündig: In Paragraf 37 der Straßenverkehrsordnung (StVO) steht: „Das Überfahren einer gelben Ampel ist verboten.“ Und im article R412-31 du Code de la route war zu lesen: „Vous devez obligatoirement vous arrêter au feu orange, sauf si cela doit vous conduire à un danger.“ Meine Grundschulfahrradprüfung lag wohl doch etwas zu weit zurück, denn egal, ob nun gelb oder orange, ich hätte in der Tat einen Strafzettel verdient. Nun verstand ich übrigens auch, warum meine Schüler, die den Begriff Ampelkoalition kannten, der FDP die Farbe orange zuschrieben.
Ist das Meer weinfarben?
Aber mal ehrlich, liebe Deutsche in Frankreich: Sehen Sie bei den Ampeln nicht auch trotzdem weiterhin gelb statt orange? Ist die Wahrnehmung von Farbe bzw. deren Bezeichnung also sprach- und kulturabhängig?
Farben existieren, weil wir Wörter dafür gebildet haben, dank Sprache können wir Farben überhaupt erst wahrnehmen, da sie es uns ermöglicht, sie zu benennen. Nehmen wir die Farbe blau: Jeder Deutsche und jeder Franzose assoziiert mit dem Meer die Farbe blau. Das haben wir eben so gelernt. Im alten Griechenland gab es jedoch gar kein Wort für die Farbe blau und so beschrieb Homer das Meer als „weinfarben“, aber niemals als grün oder blau.
Bleu, blanc, rouge
Rot, gelb (oder orange), grün und blau sind zudem viel mehr als nur Farbadjektive, sie haben oft symbolischen Charakter, denken wir nur an unsere Nationalflaggen, die sich durch die Anordnung und Kombination verschiedener Farben unterscheiden. „Die Trikolore in bleu, blanc, rouge ist die Nationalflagge von Frankreich“, so steht es in Artikel 2 der Verfassung der Fünften Republik, aber wie kam es überhaupt zu diesen Farben?
Alles begann mit einer Kokarde, die der französische Aufklärer La Fayette drei Tage nach dem Sturm auf die Bastille König Ludwig XVI. mit folgenden Worten überreicht haben soll: „Ich überbringe Ihnen hiermit eine Kokarde, die um die Welt gehen wird, weiß für die Monarchie, blau und rot als Farben der Stadt Paris,“ womit das ewige Bündnis zwischen dem Monarchen und dem Volk hervorgehoben werden sollte.
Im Herbst 1790 beschloss dann die Konstituierende Versammlung, dass alle französischen Kriegs- und Handelsschiffe eine Flagge mit drei vertikalen Streifen führen sollten: Rot in der Nähe des Fahnenmastes, weiß in der Mitte, breiter als die beiden anderen, blau auf der Außenseite. Erst am 15. Februar 1794 kam es dann zu einer Gleichberechtigung der drei Farben, als der Nationalkonvent verfügte, die Nationalflagge solle aus den drei in vertikalen Streifen angeordneten Nationalfarben gebildet werden, das Blau sollte am Mast befestigt sein, das Weiße in der Mitte und das Rot in der Luft schweben.
Bleu, blanc, rouge hatte alledings noch einige Herausforderungen zu bestehen, bevor es definitiv zum Nationalsymbol wurde: 1814 bis 1830, als Frankreich wieder eine Monarchie war, verschwanden die beiden Farben der Stadt Paris kurzzeitig, die Flagge war wieder königlich Weiß. Bis zu den Trois Glorieuses, dem republikanischen Aufstand gegen Charles X. am 27., 28. und 29. Juli 1830, denn da tauchte die Trikolore wieder auf den Barrikaden auf. Der Nachfolgekönig Louis-Philippe, auch Bürgerkönig gennant, entschied dann die Rückkehr zu den drei Farben. Am 25. Februar 1848, als die Republik ausgerufen wurde, sollte die dreifarbige dann durch eine rote Fahne ersetzt werden, doch die Aufständischen hatten nicht mit Alphonse Marie Louis Prat de Lamartine gerechnet. Am 25. Februar 1848 hielt der Außenminister der noch jungen provisorischen Regierung vor dem Hôtel de Ville eine eindringliche Rede: „Si vous m’enlevez le drapeau tricolore […] vous m’enlèverez la moitié de la force extérieure de la France!…C’est le drapeau de la France, c’est le drapeau de nos armées victorieuses“ („Wenn ihr mir die Trikolore wegnehmt […] dann nehmt ihr Frankreich die Hälfte seiner Stärke nach außen… Sie ist die Flagge Frankreichs, sie ist die Flagge unserer siegreichen Armeen; sie ist die Fahne unserer Triumphe.“) Bleu, blanc, rouge war endgültig gerettet.

Lasst Farben sprechen
Wie in der deutschen Sprache so gibt es übrigens auch im Französischen eine Vielzahl von Redewendungen mit Farben. Bleiben wir doch mal bei den Farben der Trikolore:
Bleu
Bestellt man in Frankreich ein Steak, dann stellt der Kellner sofort die Frage: Bleu, saignant, à point ou bien cuit? Für die Mehrheit der Deutschen ist bleu gleichbedeutend mit fast roh, während bien cuit von Franzosen als ungenießbar bezeichnet wird.
Bei einem Fußballspiel zwischen Deutschland und Frankreich spielt la Mannschaft gegen les Bleus. Bleu, da die Franzosen in den meisten Fällen ein blaues Trikot tragen- die deutsche Mannschaft als „die Weißen“ zu bezeichnen, wäre da schon etwas problematischer.

Blanc
Macht man in Frankreich die Nacht durch, dann verbringt man une nuit blanche, was ich immer verwunderlich fand, da die Nacht ja nicht weiß, sondern schwarz ist. Ein Schüler klärte mich dann aber auf: Der Begriff soll auf die Ritter des Mittelalters zurückgehen, die am Vorabend ihres Ritterschlages in weiß gekleidet waren und in der Nacht vor der Zeremonie nicht schlafen durften, sondern beten sollten. Da sind mir die nuits blanches von heute doch lieber.
Rouge
Sowohl der deutsche als auch der französische Staatshaushalt ist dans le rouge, schreibt also rote Zahlen, weshalb viele rot sehen. Aber lassen wir doch dieses unangenehme Thema, halten wir es lieber wie Edith Piaf und sehen la vie en rose oder durch eine rosarote Brille.
Beugen, beugen
Bei all diesen Fragen über Farben musste ich an Frau Baader, meine Deutschlehrerin in der 5. Klasse denken. Ihr Ziel war es, uns Zehnjährigen die deutschen Deklinationen beizubringen. Nur sprach sie nie von „deklinieren”, sondern sagte „beugen, beugen”. Sie wiederholte das Verb immer zweimal und machte dabei zwei leichte Kniebeugen. Sie erklärte uns: „Nur Grundfarben (rot, blau, schwarz etc.) können normal gebeugt – wieder machte sie zwei Kniebeugen – werden, bei exotischeren Farbtönen wie lila, orange, beige oder oliv verwendet man die Endungen -farbig oder -farben.“ Aha, ist die Ampel in Frankreich dann also gar nicht orange, sondern orangefarben?
So langsam wird es mir zu bunt.
Der Autor

Der in Hessen geborene Frank Gröninger wohnt seit 1993 in Paris, wo er als Lehrer für Deutsch und interkulturelle Beziehungen unter anderem für das französische Außenministerium und Sciences Po, dem Institut für politische Wissenschaften arbeitet. 2021 erschien sein Buch „Douce Frankreich: die Abenteuer eines Deutschen in Paris“, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch, 2022 sein zweites Buch, „Dessine-moi un(e) Allemand(e)“.