Jenseits der Grenzen:
Europa und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Bildern


Europa wächst zusammen – und das oft dort, wo früher Gräben waren: an den Grenzen. In einer Zeit, in der sich nationale Grenzen zunehmend auflösen, spielen Karten, Bilder und Symbole eine zentrale Rolle. Sie zeigen nicht nur, wo Europa geografisch zusammenwächst, sondern erzählen auch Geschichten von Kooperation, Austausch und gemeinsamen Visionen.
In einem Prozess der europäischen Integration, der die Materialität von Grenzen abzuschwächen sucht, spielen die im Rahmen der grenzschreitenden Kooperationen produzierten Karten- und Bildmaterialien eine wichtige Rolle bei der Konstruktion symbolischer Narrative. Dieser Beitrag nimmt sich vor, solche Darstellungen anhand zweier Kooperationsräume in der EU genauer zu analysieren: der Großregion und dem Oberrhein. Unter Verwendung eines semiotischen Ansatzes, der auf der Methodik von Gunther Kress und Theo van Leeuwen basiert, wird die Grenze als ein polysemes Zeichen betrachtet, das in die Entwicklung der Diskurse über das Grenzüberschreitende eingebettet ist. Aus einer historiographischen Perspektive will diese Analyse die Legitimationsprozesse aufzeigen, die in diesen Visualisierungen am Werk sind, und ihren Beitrag zu den Narrativen der grenzübergreifenden Kooperationen darlegen.
Von nationaler Dynamik zur etablierten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Geprägt von einer industriellen Vergangenheit und den Folgen der Weltkriege begann die Großregion 1969 ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit einer deutsch-französischen Initiative. Die eingerichtete zwischenstaatliche Kommission traf sich 1970 zum ersten Mal in Bonn. Luxemburg schloss sich ihr 1971 an, wodurch das ‚Bergbau-Dreieck‘ oder SaarLorLux entstand. Das Bonner Abkommen von 1980 schuf eine Rechtsgrundlage und setzte die Regionalkommission SaarLorLux/Trier-Westpfalz ein. 1995 wurde auf dem ersten Exekutivgipfel in Mondorf-les-Bains in Luxemburg eine Struktur für die Zusammenarbeit in der Großregion im Zuge des Vertrags von Maastricht festgelegt, die 2005 mit der Fusion der Kommissionen und der Integration belgischer Partner gestärkt wurde.
Als emblematischer Raum grenzüberschreitender Kooperation präsentiert sich der Oberrhein seit den 1960er Jahren als ein „Labor“ Europas (Birte Wassenberg). Die Schweizer Initiative begann 1963 mit der Gründung der Regio Basiliensis..Die Zusammenarbeit wurde dann 1975 mit dem Bonner Abkommen institutionalisiert, mit dem eine deutsch-französisch-schweizerische zwischenstaatliche Kommission eingerichtet wurde. Das Treffen der Staatschefs in Basel im Kontext der Interreg und der deutschen Wiedervereinigung bekräftigt die gemeinsame Berufung der Region. Diese Idee wird mit Gründung der Oberrheinkonferenz im Jahr 1991, des Oberrheinrats im Jahr 1997 und der Trinationalen Metropolregion Oberrhein im Jahr 2010 vorangetrieben, ganz „im Einklang mit der deutsch-französischen Agenda 2020“.
Von der Schwerindustrie zur wirtschaftlichen Neuausrichtung
In einem Gebiet, das von seiner industriellen Vergangenheit und den Folgen einer Wirtschaftskrise geprägt ist, empfiehlt sich die kartografische Analyse als relevantes Instrument.

Das erste untersuchte Bildmaterial ist eine Karte aus dem Jahr 1974, die von Hubertus Rolshoven entworfen wurde, einem saarländischen Industriellen und Urheber der Bezeichnung Montandreieck SaarLorLux. Ausgehend von der Methode von Kress und van Leeuwen greift dieses Bild auf starke Symbolik zurück. Auf einer repräsentationalen Ebene stellt die Karte Städte und Industriezentren der Region durch ein symbolisches Dreieck dar und veranschaulicht so eine strukturierte räumliche Organisation und eine grenzüberschreitende wirtschaftliche Verflechtung. Als konzeptionelle Struktur kategorisiert sie Informationen visuell, um die spezifischen systemischen Beziehungen eines integrierten Industrieraums aufzuzeigen. Die Interaktivität basiert hier auf klassischen kartografischen Konventionen, während die Komposition die Elemente – Symbole, Ortsnamen und das Dreieck – hervorhebt, um einen Effekt der Überschreitung nationaler Grenzen zu suggerieren.
Eine zweite Karte, die 2010 von der Universität Luxemburg im Rahmen des ESPON-Programms erstellt wurde, stellt die Großregion als einen grenzüberschreitenden polyzentrischen Raum dar.

Die urbanen Zentren werden als Hauptelemente dargestellt und durch rote Punkte gekennzeichnet, während schwarze Linien einen Prozess miteinander verbundener Ströme in diesem Gebiet veranschaulichen. Die Karte ist als konzeptionelle Erzählstruktur konzipiert und hebt eine räumliche Organisation hervor, die sich auf urbane Gebiete konzentriert, einschließlich peripherer Zentren wie Brüssel oder Straßburg. In ihrer Zusammensetzung betont sie die zunehmende Metropolisierung insbesondere rund um Luxemburg, deren wirtschaftlicher Einfluss über die Landesgrenzen hinausreicht. Die Karte veranschaulicht den Übergang von einer nationalen Wirtschaftslogik zu einer integrierten Vision, die auf den Dynamiken grenzüberschreitender Urbanisierungen basiert.
All diese Karten zeigen ein Gebiet, das zunächst von Schwerindustrie geprägt war und sich dann zu einer polyzentrischen Organisation auf Grundlage urbaner Vernetzung entwickelt hat. Sie zeugen von der fortschreitenden Entwicklung einer grenzüberschreitenden Metropolregion, die sich um die wichtigsten urbanen Zentren der Großregion herum aufgebaut hat.
Von der nationalen Logik zur funktionalen Integration
Ein Foto, das am 15. Dezember 1989 in Basel anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Regio Basiliensis aufgenommen wurde, zeigt die führenden Politiker Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz bei einem symbolträchtigen Gipfeltreffen.

Dieses Bild stammt aus der Publikation „Meilensteine der Oberrheinkooperation“ von 2023, die anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Regio Basiliensis erschienen ist. Laut Roland Barthes in Rhétorique de l’image (Rhetorik des Bildes), der zwischen zwei Bedeutungsebenen – Denotation und die Konnotation – unterscheidet, ermöglicht dieser Ansatz es, sowohl die faktische Dimension (die Staatschefs, umgeben von ihren Dolmetschern und den Nationalflaggen) als auch die symbolische Aufladung des Bildes zu hinterfragen. Das Logo der Regio und die Flaggen verweisen somit auf den Willen nach grenzüberschreitender Integration in einer zeremoniellen Form. Laut Kress und van Leeuwen ist die Interaktivität durch die offizielle Inszenierung und eine starke visuelle Komposition geprägt: Der rote Hintergrund hebt die Anwesenden hervor und verstärkt die Feierlichkeit des Augenblicks. Inhaltlich und kontextuell spiegelt dieses Bild die symbolische Bedeutung der Zusammenarbeit am Oberrhein wider.
Das zweite für den Oberrhein analysierte Bild stammt aus dem Interreg-Projekt „Les rencontres du Rhin Supérieur II” (2004-2007), das darauf abzielte, die Zivilgesellschaft in die grenzübergreifende Zusammenarbeit einzubeziehen.

Das Plakat besteht aus zwei Teilen: einer Zeichnung von Tomi Ungerer und einem Textkasten mit einer Karte des Grenzrahmens. Die Teilnehmer engagieren sich in einer gemeinsamen Aktion. Die Vektoren, die die Bewegung veranschaulichen, verweisen nach Kress und van Leeuwen auf einen „transaktionalen Prozess“, bei dem die Interaktion zwischen den Figuren einer kollektiven Erzählung Gestalt verleiht. Als wiederkehrendes Motiv symbolisiert das Dreieck eine stabile und strukturierte Zusammenarbeit, die auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet ist. Der interaktive Aspekt wird durch eine direkte Ansprache verstärkt: „Vos projets sont l’avenir“ („Ihre Projekte sind die Zukunft“), was dem Plakat einen mobilisierenden Ton verleiht. Dieser wird durch den Hinweis „La Région Alsace peut vous aider“ („Die Region Elsass kann Ihnen helfen“) für logistische und politische Unterstützung abgemildert. Auf der kompositorischen Ebene deuten das Puzzle und die dreieckige Struktur ein Ineinandergreifen der Partnerländer an. Die Figuren als Träger nationaler Identitäten in einer gemeinsamen Aktion verkörpern eine Zusammenarbeit, die über staatliche Zugehörigkeiten hinausgeht. Unten stellt die Karte des Oberrheins die Verbindung zwischen Symbolik und konkretem grenzübergreifendem Handeln her und ergänzt damit Ungerers Zeichnung.
Eine gemeinsame Vision?
Insgesamt zeigt die semiotische Analyse der Bilder der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Großregion und am Oberrhein die symbolische Konstruktion und Legitimierung der grenzüberschreitenden Dynamiken – über die rein industriellen Erbschaften oder Versöhnungserzählungen hinaus. Wie in einem gemeinsamen Leitartikel der Mission Opérationnelle Transfrontalière und des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Januar 2019 betont wurde, sind Frankreich und Deutschland – als treibende Kräfte der europäischen Integration – vor dem Hintergrund einer wachsenden Euroskepzis aufgerufen, konkret, insbesondere visuell die Vorteile der Zusammenarbeit aufzuzeigen. Über ihre illustrative Funktion hinaus tragen diese Visualisierungen zur Legitimierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa bei.
Der Autor

Loris Pagnani ist Doktorand in Geschichte und Geografie im Rahmen einer Cotutelle zwischen der Universität Luxemburg und der Universität Straßburg. In seiner Dissertation analysiert er visuell und multimodal die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Großregion und am Oberrhein seit dem Ende der 1960er-Jahre. Er ist dem Luxemburger Institut für sozio-ökonomische Forschung (LISER) angegliedert und wird von Christophe Sohn (LISER) und Birte Wassenberg (Sciences Po Straßburg) betreut. Mit einem Abschluss in Jura und Geschichte und als gebürtiger Bewohner eines Grenzgebiets der Großregion gilt sein Interesse den Grenzdynamiken und deren Auswirkungen im europäischen Kontext.
Dieser Beitrag wurde am 8. März 2025 im Rahmen eines Workshops für französische und deutsche Doktoranden vorgestellt, der gemeinsam vom Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Universität Bonn) und dem Centre d’Excellence Jean Monnet (Universität Straßburg) organisiert wurde.
Mit Unterstützung der Deutsch-Französischen Hochschule und der Deutschen Sparkassenstiftung für internationale Kooperation e.V.