Gastronomie:
Choucroute, Würste und… Linguistik

Gastronomie: Choucroute, Würste und… Linguistik
  • VeröffentlichtOktober 9, 2025
Elsässisches Sauerkraut (Copyright: Wikimedia Commons)
Elsässisches Sauerkraut (Copyright: Wikimedia Commons)

Wenn es eine typisch deutsche Spezialität gibt, dann ist es zweifellos die Wurst. In Kombination mit Sauerkraut wird daraus die berühmte Choucroute – ein Gericht, das auch die Franzosen gern als Sinnbild deutscher Küche betrachten. Doch könnte all das am Ende nur ein Missverständnis sein?

 

Abgesehen von den jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich, insbesondere um das Elsass und Lothringen, lässt sich kaum bestreiten, dass die Choucroute – wenn schon nicht deutsch, so doch zumindest germanischen Ursprungs ist. Der Begriff Sauerkraut taucht bereits im 15. Jahrhundert in Bayern auf, bezeichnete damals jedoch lediglich in Salzlake eingelegtes Gemüse.

Die eigentliche Besonderheit des elsässischen Kohls liegt in seiner Beilage: Ursprünglich wurde er mit Süßwasserfischen serviert, erst im 19. Jahrhundert kam Fleisch hinzu. In dieser Form, begleitet von einem Glas Bier, setzte sich die Choucroute Anfang des 18. Jahrhunderts in Frankreich durch. Sie ist die Übersetzung des deutschen Sauerkrauts – im elsässischen Dialekt Sürkrüt. Zunächst sprach man von sorcrote, bis sich 1768 die heute übliche Bezeichnung Choucroute durchsetzte. Nach der Annexion des Elsass im Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871) trugen viele Elsässer, die nach Westen flohen, entscheidend zur Verbreitung und Beliebtheit des Gerichts in ganz Frankreich bei.

 

Was die Sprachwissenschaft dazu sagt

Natürlich darf auch die Linguistik hier nicht fehlen. Die französische Übersetzung von Sauerkraut ist irreführend: Choucroute setzt sich aus chou (Kohl) und croute (Kruste) zusammen – doch mit dem Gartenkohl hat dieser chou nichts zu tun. Einige wenige Sprachwissenschaftler führen ihn auf ein Kegelspiel des 16. Jahrhunderts zurück: Traf ein Spieler keinen einzigen Kegel, sprach man von einem coup blanc. Im Dialekt der Berrichons wurde daraus chou blanc. Entsprechend habe man auch die Wurst, die zur Choucroute gehört, als chauchiche ausgesprochen.

 

"Germans Eating Sour Krout" – Karikatur von James Gillray (1757-1815), 1803 (Copyright: Wikimedia Commons)
„Germans Eating Sour Krout“ – Karikatur von James Gillray (1757-1815), 1803 (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich im chou das deutsche sauer (bitter, säuerlich) verbirgt und croute nicht „Kruste“, sondern schlicht das „Kraut“ meint – jenes Kraut, das amerikanische Soldaten später zum Spitznamen der Deutschen machten: „Krauts“. Choucroute ist also ein elsässisches Wort, eine wörtliche Übersetzung von Sauerkraut, die als regionale Spezialität fortlebt. Sauer bezeichnet alles, was säuerlich oder herb schmeckt, und Kraut steht im Prinzip für jede Pflanze – in diesem Fall für Kohl. Choucroute klingt allerdings deutlich eleganter als „bittere Pflanze“, nicht wahr? Das wäre zwar sprachlich korrekt, erinnerte aber wohl eher an Essig. Ganz zu schweigen von sorcrote, das in französischen Ohren ausgesprochen unmelodisch klingt.

 

Die Choucroute im Lauf der Geschichte

Zwar isst man Choucroute heute häufiger im Elsass als in Deutschland, doch ihre Geschichte reicht weit über Mitteleuropa hinaus – und nicht nur nach Germanien. Bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. soll in China während des Baus der Großen Mauer Kohl in Wein fermentiert worden sein, um die Arbeiter zu stärken. Der dafür verwendete Wein stammte wohl aus Europa, denn die Römer hatten dem chinesischen Kaiser Rebstöcke geschenkt. Von dort verbreitete sich der fermentierte Kohl rasch: In Korea, Vietnam und Japan kennt man bis heute Varianten wie das Kimchi – eine Art Choucroute nach fernöstlicher Tradition.

 

Gimchi-jjim (geschmortes Kimchi). Traditionelles koreanisches Gericht (Copyright: Wikimedia Commons)
Gimchi-jjim (geschmortes Kimchi). Traditionelles koreanisches Gericht (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Auch die alten Griechen kannten Kohl, allerdings als Heilpflanze. Im 18. Jahrhundert nutzten ihn englische Seefahrer zur Vorbeugung gegen Skorbut. In Europa, so heißt es, habe bereits Marco Polo den fermentierten Kohl bekannt gemacht. Andere Historiker datieren die Verbreitung in die Zeit der Völkerwanderung: Vielleicht waren es die Hunnen, die 451 auf ihrem Weg ins Elsass über Österreich und Bayern das Sauerkraut mitbrachten – oder später die Tataren und Mongolen.

 

Plain Bagel mit Grillkäse und Sauerkraut (Copyright: Wikimedia Commons)
Plain Bagel mit Grillkäse und Sauerkraut (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Nun ist es höchste Zeit, Deutschland nicht länger als das Land der Choucroute schlechthin zu betrachten. Andere Nationen beanspruchen das Gericht längst als eigene Spezialität. Von Belgien (mit der Neujahrs-Choucroute) über die baltischen Staaten bis nach Lateinamerika, die USA – wo sie im Sandwich mit Thousand-Island-Sauce serviert wird – und Namibia, dem Erbe deutscher und niederländischer Kolonisten, ist sie heute weltweit verbreitet. Während die Amerikaner die Deutschen spöttisch Krauts nennen, verbinden andere Nationen sie eher mit der Kartoffel. Die Russen wiederum sprechen vom Kolbassnik – den „Wurstessern“. Und tatsächlich: Wer Choucroute sagt, darf die Wurst nicht vergessen. Sie ist für Deutschland, was der Saucisson für Frankreich ist.

 

Die Wurst: Deutsche Spezialität oder Vorurteil?

Woher aber stammt die Wurst, die man nicht nur mit Choucroute isst? Zart mit Curry oder Senf, zwischen ein Stück Brot oder Pappe geklemmt, wird sie unterwegs gegessen – ohne Löffel und Gabel, vielleicht, um die andere Hand für das Bierglas frei zu halten. Doch ist sie wirklich eine deutsche Spezialität – oder schlicht ein weiteres Klischee über die Deutschen? Auch hier hilft die Linguistik weiter. Drei Hypothesen über den Ursprung des Wortes Wurst kursieren:

– Verbindung zu „Wurm“: Keine Sorge – das hat nichts mit der Form zu tun. Wurm geht auf eine Wurzel zurück, die „drehen, winden, vermischen“ bedeutet – ähnlich wie im deutschen Wort verwirren. Daraus entstand im Althochdeutschen werra, das heute nicht mehr existiert, aber im Französischen in guerre (Krieg) weiterlebt.

– Verbindung zu „Werk“: Möglich ist auch eine Ableitung von Werk, also „Arbeit“ oder „Tätigkeit“ (wirken). Früher sprach man von Gewerke – den Handwerkern und Bergleuten. Heute kennen wir noch die Gewerkschaft. Saucisse und Arbeit – derselbe Anspruch?

– Verbindung zu „werden“: Schließlich erinnert Wurst auch an werden, ursprünglich im Sinn von „sich drehen“ oder „wandeln“. Etwas oder jemand „wird“ – verändert sich.

Krieg, Wurm, Wandlung – was also sollen wir von diesen Etymologien halten? Vielleicht, dass selbst in Deutschland die Wurst nicht einfach nur Wurst ist. Sie kann Symbol sein: Ein „armes Würstchen“ bezeichnet einen bedauernswerten Menschen. Und vielleicht ist es genau der, der in Frankreich sprichwörtlich „in der Choucroute strampelt“ – pédaler dans la choucroute

 

Der Autor

Gérard Foussier (Copyright: privat)

Gérard Foussier schloss 1969 sein Germanistikstudium an der Universität seiner Heimatstadt Orléans ab und entdeckte durch die Städtepartnerschaft mit Münster in Westfalen seine Leidenschaft für die deutsch-französischen Beziehungen. Nach seiner Journalistenausbildung bei den Westfälischen Nachrichten arbeitete er drei Jahrzehnte lang für den deutschen Auslandssender Deutsche Welle – zunächst in Köln, später in Bonn. 2005 wurde er zum Präsidenten des Bureau International de Liaison et de Documentation (B.I.L.D.) gewählt. Dreizehn Jahre lang leitete er die zweisprachige Zeitschrift Dokumente/Documents als Chefredakteur und ist Autor mehrerer Bücher. Sein jüngstes Werk, „Allemanderies“, erschien im Januar 2023. Gérard Foussier besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

 

This site is registered on wpml.org as a development site. Switch to a production site key to remove this banner.