Fußball:
Alles andere als eine Männerdomäne

Fußball: Alles andere als eine Männerdomäne
  • VeröffentlichtOktober 22, 2025
Duell zwischen Jule Brand und Selma Bacha während des Viertelfinales der Fußball-Europameisterschaft der Frauen 2025, 19. Juli 2025, Basel (Copyright: Alamy)
Duell zwischen Jule Brand und Selma Bacha während des Viertelfinales der Fußball-Europameisterschaft der Frauen 2025, 19. Juli 2025, Basel (Copyright: Alamy)

Am 24. Oktober trifft die Frauen-Nationalmannschaft in Düsseldorf auf Frankreich. Das Stadion ist ausverkauft, die Spannung schon greifbar – ein weiterer Beweis dafür, dass Fußball längst keine reine Männersache mehr ist.

 

Anlässlich des ersten Europapokals der Frauenfußball-Nationalmannschaften 1969 in Italien schrieb der Sportreporter Michel Castaing, diese „Handvoll Suffragetten auf Stollenschuhen“ sei es wohl leid, die Trikots ihrer Brüder, Verlobten und Ehemänner zu waschen oder sonntagnachmittags vor dem Fernseher zu sitzen. Vor allem aber wolle sie zeigen, dass Frauen auch auf dem Fußballfeld den Ball zurückspielen – und den Spieß umdrehen können (Le Monde, 8. 11. 1969). Zugleich, so hieß es weiter, sei es ein gewagtes Unterfangen, „zunächst nachahmen, dann einholen zu wollen – und das in einer Form, die ganz und gar weiblich geprägt ist –, den Mann gerade in dem zu erreichen, was er für das Inbild des Virilen und Volkstümlich-Sportlichen hält: die Praxis des Fußballs.“ Das war ein Jahr, bevor die Fédération Française de Football (FFF), der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wie auch andere europäische Verbände ein Verbot aufhoben, das es Frauen untersagte, Fußball in vereins- und verbandsmäßig organisierten Strukturen zu spielen. Den Damen-, Frauen- oder Mädchenfußball mit Vorurteilen und Kränkungen, mit abfälligen bis feindseligen Kommentaren zu belegen, war damals ein alltagssprachlich wie massenmedial eingespieltes Ritual. Es fand auch mit dem Aufheben der Verbandsquarantäne 1970 noch kein Ende. Und es hat eine Geschichte, die zurückreicht bis in die frühesten Anfänge des Sports.

 

Gegen den Strom: Widerstände und Vorurteile

Massive Vorbehalte und Restriktionen waren stets präsent, seitdem Ende des 19. Jahrhunderts junge Frauen in vielen europäischen Ländern zu kicken begannen. Die Ablehnungsfront war breit, drohte doch der Frauenfußball die „natürliche“ Ordnung zu kippen, tradierte Geschlechterrollen zu erschüttern und die Werte und das Wohlergehen der Gesamtgesellschaft zu untergraben. Den Gegnern zufolge war Fußball ein Kampf- und demnach ein Männersport, geprägt durch „männliche“ Eigenschaften wie Härte und Disziplin, Stärke und Ausdauer, Kühnheit und Cleverness. Öffentliche Meinungsführer im Sport wie in Politik, Wissenschaft, Medien, Kirchen oder Medizin hielten dies für selbstverständlich. Freilich war die Realität von Beginn an eine andere. Schnell zeigte sich, dass Frauenfußball gekommen war, um zu bleiben: natürlich in Vereinen, ebenso aber im Hinterhof, auf der Straße oder auf lokalen Bolzplätzen.

 

Professionalisierung zwischen Boom und Krise

Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg markierten europaweit eine Boomphase des Fußballs. Nicht nur für Männer, auch für Frauen. Dies allerdings mit Unterschieden von Land zu Land. Blieb in Deutschland die Abwehrfront mächtig und der Aufwärtstrend begrenzt auf wenige belegbare Initiativen, feierten „Frauen am Ball“ seit den 1920er Jahren anderswo – besonders in Frankreich – erste Hochzeiten.

 

Die Frauen-Mannschaft von En Avant, 1921 (Copyright: Wikimedia Commons)
Die Frauen-Mannschaft von En Avant, 1921 (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Dort entstanden feste organisatorische Strukturen und populäre Wettbewerbe, die jedoch in den frühen 1930er Jahren durch zugespitzte wirtschaftliche, soziale, innenpolitische und internationale Krisen merklich an Schwung verloren. Die entstehenden Diktaturen der Folgejahre – darunter das „Dritte Reich“, später auch das autoritäre Vichy-Regime unter deutscher Besatzung – gingen ganz rasch daran, traditionelle Geschlechterbilder zu reaktivieren, Frauen „angestammte“ Rollen zuzuweisen und das Fußballspielen zu untersagen.

Eine neue Dynamik entstand europaweit – auch in Deutschland und Frankreich – nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders in den 1960er Jahren. Zwar fehlte es weiterhin nicht an spöttelnden Publiken und sexistischen Untertönen bei den Spielen; ebenso wenig an Nachbarn, für die „je n’étais pas une fille“, wie die Mittelfeldspielerin Betty Goret vom Pionierklub Stade de Reims berichtete (Le Monde, 9.2.1976). Dennoch bildete sich ein Pool junger Frauen heraus, die allen Widerständen zum Trotz motiviert waren, regelmäßig zu trainieren, Matches auszutragen und als künftige Multiplikatoren „am Ball zu bleiben“. Meist aus bescheidenen Verhältnissen und sportbegeisterten Familien, schuf diese 1960er Generation den Nährboden für die Trends der 1970er und 1980er, mehr noch der 1990er Jahre: von der einsetzenden (Halb-)Professionalisierung über die beachtliche Expansion des (inter-)nationalen Spielbetriebs bis hin zur langsamen, aber steten Feminisierung des „Männersports“.

 

Sichtbar, stark, selbstbewusst: Frauen erobern den Fußball

Weniger noch als zuvor lässt sich das Männersport-Diktum für die letzten Jahrzehnte argumentieren. Begründet liegt dies in den gesellschaftlichen Liberalisierungsprozessen der zweiten Jahrhunderthälfte: mit der Folge, dass immer mehr Menschen über bessere Zugänge zu öffentlicher Mitsprache, Sichtbarkeit und Teilhabe verfügten. Fußball machte da keine Ausnahme. Die fußballinteressierten Frauen selbst waren es, die sich in der männerdominierten Welt der Verbände, Medien, Politik etc. durchsetzen mussten. Ein beschwerlicher Weg, inzwischen ein wenig erleichtert durch ein Mehr an öffentlicher Aufmerksamkeit und Anerkennung. Auch durch nunmehr umgekehrte Rechtfertigungszwänge: für diejenigen Vereinsmitglieder oder Verbandsgremien, die „Frauen am Ball“ noch immer kleinreden oder sexistisch aufladen, die Fußballsport als eigenweltliche „Arena der Männlichkeit“ ansehen, in der es keinen Platz gibt für Frauenfußball als gleichberechtigte Praxis.

 

Heute am Ball: Chancen, Herausforderungen…

Dass sich die Dinge zum Besseren gewendet haben, wird niemand bezweifeln wollen. Vieles ließe sich anführen. Beispielsweise der stetig wachsende Frauenanteil an Fußballspielenden in deutschen und französischen Vereinen seit den frühen 1990er Jahren. Die Vermarktungschancen für den Frauenfußball sind gewaltig gestiegen. Besonders die Top-Spielerinnen der jüngsten Generation treten längst als selbstbewusste Unternehmerinnen in eigener Sache auf und bedienen sich klassischer Medien wie digitaler Plattformen.

 

Beim Viertelfinale der der Fußball-Europameisterschaft der Frauen 2025 zwischen Frankreich und Deutschland im St. Jakob-Park, Basel (Copyright: Alamy)
Beim Viertelfinale der der Fußball-Europameisterschaft der Frauen 2025 zwischen Frankreich und Deutschland im St. Jakob-Park, Basel (Copyright: Alamy)

 

Fortschritte lassen sich bei der Präsenz von Schiedsrichterinnen im Frauenfußball erkennen; deutlich zugenommen hat auch die Sichtbarkeit von Betreuerinnen und Trainerinnen im Frauen- und Jugendfußball. Weiterhin viel Luft nach oben gibt es beim Publikumszuspruch, obwohl sich in der Bundesliga die Zahlen von durchschnittlich 806 (2021/22) auf 2723 (2022/23) pro Spiel mehr als verdreifacht (Die Zeit, 7. März 2024) und seitdem stabilisiert haben. In der Première Ligue sind ebenfalls Zuwächse von 621 (2021/22) auf 1274 (2023/24) pro Spiel zu verzeichnen, die von Frauenligapräsident Jean-Michal Aulas anvisierten 7000 Zuschauenden für 2026/27 scheinen allerdings utopisch (Le Monde, 4.10.2024).

Bei allen positiven Trends bleiben in beiden Ländern „männliche Schatten“, die eine klare Sicht auf strukturelle Benachteiligungen verstellen. Dies gilt für den Spitzensport: der minimale Frauenanteil in den Führungsetagen von Vereinen und Verbänden; die schlechteren Vertragsabschlüsse und niedrigeren Gehälter; die zuletzt gestiegen, dennoch vergleichsweise kargen Investitionen der UEFA wie auch nationaler Verbände und Vereine in den Frauenfußball; die geringere wirtschaftliche Autonomie und die – aktuell in Frankreich besonders spürbare – Krisenanfälligkeit des Spielbetriebs bei schmaleren Einnahmen aus TV-Übertragungsrechten. Und auch im Breitensport sind begrenztere Förderpläne und erschwerte Entfaltungschancen weiterhin mit Händen zu greifen. Gerade an der Basis, in den Vereinen. Denn anders als junge Männer verfügen Mädchen selten über dieselben Ressourcen, über passende Zeitschienen, Schutzräume und Betreuungskonzepte, über vergleichbare Ausrüstungs- und Trainingsangebote. Häufig sind junge Frauen konfrontiert mit „männlichen“ Infrastrukturen auf Sportplätzen, etwa in Umkleiden oder Sanitäranlagen. Auch mit einer häufig als unzureichend empfundenen Willkommenskultur in den Klubs.

 

…und Medienpower

Hinzu kommt, dass die Meistererzählung steter Zuwächse an Popularität und Medieninteresse im Zuge internationaler Fußball-Events nur bedingt der Realität entspricht. Zwar lassen sich immer wieder temporäre Effekte erkennen. Zugleich zeigen aber die beiden letzten in Europa ausgetragenen WM-Turniere (Deutschland 2011, Frankreich 2019), dass der öffentliche Hype rasch verpuffte und die grellen WM-Schlaglichter weder dauerhaft auf die Top-Ligen noch auf die unteren Spielklassen ausstrahlten.

 

Schiedsrichterinnen vor dem Anpfiff des Spiels zwischen dem FC Carl Zeiss Jena und VfL Wolfsburg, 14. September 2024 (Copyright: Wikimedia Commons)
Schiedsrichterinnen vor dem Anpfiff des Spiels zwischen dem FC Carl Zeiss Jena und VfL Wolfsburg, 14. September 2024 (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Ohne Frage deutet seit der England-EM 2022 vieles auf einen nachhaltigeren Aufmerksamkeitsschub hin, die EM 2025 in der Schweiz dürfte diesen Trend verstärkt haben. Mehr noch als in Frankreich haben in Deutschland die mediale Begleitung und Nachbereitung der Matches gewaltig zugenommen. Gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen kommt endlich seiner Aufgabe nach, Frauenfußball eine halbwegs angemessene TV-Bühne einzuräumen. Dass dies Jahrzehnte gedauert hat, verdeutlicht aber auch, wie hoch die Hürden waren und manchmal noch immer sind, Raum, Respekt und Anerkennung für „Frauen am Ball“ und deren sportliche Leistungen zu erhalten. Und noch immer muss es deshalb darum gehen, engagiert auf allen Ebenen dafür zu sorgen, dass das Fußballspielen in Deutschland, Frankreich und anderswo als das wahrgenommen wird, was es faktisch seit den frühesten Anfängen war: alles andere als eine Männerdomäne.

 

Der Autor

Dietmar Hüser (Copyright: privat)
Dietmar Hüser (Copyright: privat)

Dietmar Hüser war ab 2004 Professor für Westeuropäische Geschichte an der Universität Kassel, seit 2013 hat er den Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes inne. Dort hat er das Frankreichzentrum (2017-22) sowie das Europakolleg CEUS (2020-22) geleitet; seit 2017 ist er Sprecher der DFG-Forschungsgruppe „Populärkultur transnational – Europa in den langen 1960er Jahren“, seit 2022 zudem Sprecher des DFG-ANR-Projekts „Sport-Arenen in Deutschland und Frankreich“.

 

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