Deutsch-Französischer Tag 2024
Deutsch-Französischer Tag 2024: Jenseits der „hohen Politik“: Die deutsch-französischen Beziehungen im Zusammenspiel der Ebenen stärken
22. Januar 2024
Der 22. Januar hat im gemeinsamen Gedächtnis beiderseits des Rheins seinen festen Platz. Veranstaltungen und Feierstunden, Berichte und Beiträge verdichten sich regelmäßig um den Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Gleiches gilt für politisches Handeln: In die Tradition des Élysée-Vertrags stellte sich vor fünf Jahren nicht nur terminlich der Vertrag von Aachen.
Als Deutsch-Französischer Tag steht der 22. Januar unzweifelhaft im Zeichen der Pionierleistung Konrad Adenauers und Charles de Gaulles von 1963, ergänzt durch die Modernisierungsleistung Emmanuel Macrons und Angela Merkels 2019. In dieser Gedenktagperspektive tritt fast zwangsläufig die „hohe Politik“, das Wirken von Staatsfrauen und -männern in den Vordergrund. Allerdings verstellt eine solche Sichtweise häufig den Blick auf nicht minder bedeutsame Triebkräfte im deutsch-französischen Miteinander in Europa. So wichtig Gestaltung von „oben“ sein mag, so bruchstückhaft bliebe sie ohne Grundlegung von „unten“. Dies zeigte sich auf fast dramatische Weise bereits im Umfeld des Élysée-Vertrags, hierauf setzten ganz bewusst die Unterzeichner des Vertrags von Aachen. Vor diesem Hintergrund wird hier in vier thesenartigen Punkten argumentiert, dass zur Stärkung der deutsch-französischen Zusammenarbeit eine zunehmende Verschränkung zwischen „oben“ und „unten“ notwendig ist.
Impulse durch den Élysée-Vertrag
Ungeachtet seiner grundlegenden Bedeutung für die deutsch-französischen Beziehungen in Europa war der Élysée-Vertrag zunächst das Resultat eines Scheiterns: Erst als Charles de Gaulle seine europapolitischen Vorstellungen in den europäischen Gemeinschaften der Sechs nicht durchsetzen konnte, setzte Frankreich auf einen Vertrag mit Deutschland. Im Élysée-Vertrag wurden dann zum einen halbjährlich deutsch-französische Konsultationen festgeschrieben; zum anderen formulierte er ein gemeinsames Programm für die Bereiche auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung sowie in Erziehungs- und Jugendfragen. Damit deutete er als bilateraler Vertrag deutlich über Deutschland und Frankreich hinaus und sollte gleichzeitig in beide Länder hineinwirken.
Allerdings zeigten sich bereits im Ratifikationsverfahren fortbestehende Differenzen, so dass zahlreiche Bestimmungen in den Bereichen von „high politics“ – Auswärtiges und Verteidigung – zunächst Worte auf geduldigem Papier blieben. Paradoxerweise ließen diese Schwierigkeiten gerade die Bedeutung ganz konkreter, örtlich und lokal sich manifestierender Formen von „low politics“ hervortreten: Eine der zentralen Errungenschaften des Élysée-Vertrags ist das Deutsch-Französische Jugendwerk, das einem präzedenzlosen Kennenlernen, Austauschen und Befreunden zwischen Deutschland und Frankreich Bahn brach; auch erfuhr damit „kommunale Außenpolitik“ einen deutlichen Schub und es bildeten sich eine Vielzahl neuer Städte- und Gemeindepartnerschaften. Die deutsch-französische Zusammenarbeit verdichtete sich mit dem Elysée-Vertrag also keinesfalls mit einem Schlag, sondern wurde vielerorts erst im Kleinen weiter ausgeformt, um in der Breite Fuß zu fassen und Wirkung zu entfalten.
Stärkung der deutsch-französischen Basis
International ist die Bedeutung dezentraler Zusammenarbeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr anerkannt worden. Hier macht auch der Vertrag von Aachen keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil: Bereits in der Präambel wird dies vielfach unterstrichen, zahlreiche Regelungen heben auf eine Stärkung dezentraler Ansätze ab. Vier Punkte scheinen in diesem Zusammenhang von grundsätzlicher Bedeutung und bergen besonderes Potenzial für die weitere Ausgestaltung der deutsch-französischen Beziehungen in Europa:
1. Städte- und Gemeindepartnerschaften, von denen etwa 2.200 zwischen Deutschland und Frankreich existieren, tragen maßgeblich zur Herausbildung deutsch-französischer Resonanzräume und zu kommunalem Europabewusstsein bei. Die Ausgestaltung von Partnerschaften fällt aber in den Bereich der freiwilligen kommunalen Aufgaben, so dass sich die Bereitstellung von Mitteln und Ressourcen in einem Mehrebenensystem mit vielfach übertragenen Aufgaben keineswegs einfach darstellt. Damit sich „kommunale Außenpolitik“ im allgemeinen Interesse sinnvoll planen lässt und dauerhaft entfalten kann, sind daher auch von überkommunaler Seite Mittel in geeigneter Weise bereitzustellen und Mittelzusagen zu verstetigen. Mit Verweis auf kommunale Klimamaßnahmen hat dies früh auch schon das – mit dem Vertrag von Aachen ins Leben gerufene – Deutsch-Französische Zukunftswerk angemahnt.
2. Um in deutsch-französischer und damit auch europäischer Perspektive Breitenwirkung vor Ort zu entfalten, sind Strukturen auch jenseits des Kommunalen notwendig, die als Vermittlungspunkte zwischen „oben“ und „unten“, zwischen „unten“ und „oben“ fungieren. Eine solche Aufgabe kommt ausdrücklich dem Deutsch-Französischen Zukunftswerk zu. Sie ist ebenfalls angelegt in der – fast zeitgleich zum Vertrag von Aachen geschaffenen – Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Deren Mitglieder erfüllen eine wichtige Scharnierfunktion zwischen den nationalen Legislativen sowie Regionen bzw. Ländern und Wahlkreisen. Allerdings besteht hier eine deutliche Schieflage, da gegenwärtig z. B. lediglich drei Mitglieder des Bundestags aus Ostdeutschland – einschließlich Berlin – der Versammlung angehören. Dabei sind aber gerade auch dort geeignete Ansprechpartner zur Kooperation unter deutsch-französischen Vorzeichen vonnöten, wo sie traditionell vielleicht nicht so stark verankert ist.
3. Dem zivilgesellschaftlichen Bedarf, im deutsch-französischen Rahmen ein einfach zu handhabendes Förderinstrumentarium bereitzustellen, wurde mit dem Vertrag von Aachen durch Einrichtung des Deutsch-Französischen Bürgerfonds entsprochen. Sein Erfolg spiegelt sich in hohen Antrags- und Förderzahlen. In seiner Förderpraxis hat sich zudem gezeigt, dass es gerade kleine, ortsgebundene Projekte sind, die viele Menschen erreichen und damit Breitenwirkung entfalten. Übergeordnete gesellschaftliche Anliegen mit kleinteiligem Handeln zu verwirklichen, ist zwar kein neuer, weiterhin aber ein zukunftsträchtiger Ansatz: Teuren, politisch mitunter favorisierten Prestige- oder Leuchtturmprojekten sind vielfältige Maßnahmen vorzuziehen und auch der engagierten – vielfach ehrenamtlich agierenden – Zivilgesellschaft sind verlässliche Finanzierungsperspektiven zu geben.
4. In einem offenen Europa lassen sich die lange benachteiligten Grenzräume als internationale Laboratorien einer nochmals vertieften Zusammenarbeit in einer zunehmend vernetzten Welt begreifen. Der Vertrag von Aachen sieht hierzu vor, notwendigenfalls sogar Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzupassen und Ausnahmen für Grenzregionen zuzulassen. Der ebenfalls mit dem Vertrag von Aachen geschaffene Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist im Verbund mit der Parlamentarischen Versammlung in der Pflicht, im deutsch-französischen Mehrebenensystem Einfluss geltend zu machen, damit solche Innovationen nicht bloße Floskel bleiben, sondern zwischenstaatlich rechtssicher angewandt und konkret genutzt werden können.
Perspektiven einer weiteren Ertüchtigung
Den hier nur skizzenhaft aufgeworfenen Punkten liegt die Erkenntnis zugrunde: Vor Ort kann viel geleistet werden. Damit dies gelingt, sind aber zwingend andere Ebenen einzubeziehen, denn im föderalen oder gar europäischen Mehrebenensystem sitzen staatliche und überstaatliche Akteure – über Gesetzgebung oder Mittelzuweisungen – vielfach an längeren Hebeln als Kommunen oder kleinteilige zivilgesellschaftliche Strukturen. Das mit dem Vertrag von Aachen ergänzte Instrumentarium des Élysée-Vertrags ist in diesem Bewusstsein zu festigen bzw. auszubauen, um ein Reden über- und Handeln nebeneinander, durch den vielfachen, persönlichen Austausch und die örtlich gebundene Kooperation miteinander abzulösen. In der Summe ist also gleichermaßen ein Verschränkungsprozess von „oben“ nach „unten“ und von „unten“ nach „oben“ notwendig, damit sich Gestaltungsmöglichkeiten lokal, regional, national und überstaatlich gegenseitig verstärken können.
NB: Der Beitrag fußt auf einem Impuls des Autors im Rahmen der Tagung „60 Jahre Élysée: Rheinisch-westfälische Perspektiven auf die deutsch-französischen Beziehungen“, die das Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) am 7. und 8. Dezember 2023 in Bonn durchführte.
Unser Autor
Andreas Marchetti ist Gründer und Geschäftsführer der politglott GmbH, einem sozialen Unternehmen der politischen Bildung und Beratung mit Sitz in Bad Honnef. Er ist zudem Honorarprofessor an der Universität Paderborn und lehrt regelmäßig am deutsch-französisch-europäischen Campus von Sciences Po Paris in Nancy. 2021/2022 verantwortete er mit einem deutsch-französischen Team die Evaluation des Deutsch-Französischen Bürgerfonds.
Weiter zum Thema
Andreas Marchetti: Städte- und Gemeindepartnerschaften. Strukturen – Praxis – Zukunft in deutsch-französischer Perspektive, Handreichungen zur politischen Bildung 26, Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin/Berlin, 2019.