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Europa- und Parlamentswahlen

Was kommt nach dem Big Bang?

Ein Bericht von Landry Charrier

Emmanuel Macron verkündet am 9. Juni die Auflösung der Nationalversammlung (Copyright: Imago)

14. Juni 2024

Das Grashaus ist die Station „Europa“ der Route Charlemagne Aachen. Zwei Tage nach der Europawahl (11. Juni 2024) fand dort die Abschlussveranstaltung eines deutsch-französischen Projekts statt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, die Erfolge der politischen Rechten auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene kritisch zu beleuchten. Doch den Abend dominierte ein anderes Thema.

Die Entscheidung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, prägte die Diskussion am 11. Juni. Hat die Europawahl das Ende der Ära Macron eingeläutet? fragte das Publikum, rund 50 Personen aller Altersgruppen, gleich zu Beginn der Veranstaltung. Welche Auswirkungen könnte ein Wahlsieg des Rassemblement National auf die deutsch-französischen Beziehungen haben? Die Spannung war spürbar.

Hans Stark (CERFA/IFRI), der an diesem Abend die französische Perspektive vertrat, erklärte: Angesichts der herben Verluste, die das Macron-Bündnis – nicht weniger als drei Parteien (!) – hinnehmen musste (14,6 Prozent gegenüber 22,42 Prozent im Jahr 2019), sei er nicht überrascht. Der Rassemblement National hat mit seinem Doppelticket (Marine Le Pen – Jordan Bardella) sehr früh das Feld besetzt und Präsenz gezeigt, nicht zuletzt in den sozialen Netzwerken. Bereits in der Diskussion vor der Wahl (28.05.2024) hatte Nils Franke (Leipzig) auf diesen Aspekt hingewiesen: Rechtsextreme Parteien seien schon immer sehr innovativ im Umgang mit neuen Technologien gewesen: Die AfD sei da keine Ausnahme, so der Historiker. Hans Stark ergänzte: Jordan Bardella, der Shooting-Star der französischen Rechten, beherrsche die sozialen Medien meisterhaft. Später am Abend griff Hans Stark das Thema noch einmal auf: Auf TikTok habe Bardella es innerhalb von drei Jahren auf 1,6 Millionen Follower gebracht, während sich seine Partei noch mit rund 250.000 Followern begnügen muss. Das zeige einmal mehr, wie sehr die französische Politik von starken Persönlichkeiten geprägt sei. Alles andere kommt später.

Im Grashaus am 11. Juni (Copyright: Landry Charrier)

Bei den anstehenden Parlamentswahlen, so Stark, könne der Kipppunkt erreicht werden, an dem eine Partei – hier der RN – die absolute Mehrheit erringt: Das Mehrheitswahlrecht mache es möglich. Auf Nachfrage sagte Hans Stark, er sehe diesen Wendepunkt bei 35-36 Prozent der Stimmen. Dies sei angesichts der (noch nicht abgeschlossenen) Neuformierung des rechten Lagers ein großes Risiko.


Hans Stark machte auch darauf aufmerksam, dass ein Premierminister Bardella zur Gefahr für Le Pen und ihre Präsidentschaftsambitionen werden könnte. Allein die Tatsache, dass Bardella zweimal in Folge die Europawahlen gewinnen konnte (2019; 2024) und Le Pen zweimal in Folge bei den Präsidentschaftswahlen in der Stichwahl unterlag (2017; 2022), könnte beim Parteivorsitzenden neue Ambitionen wecken. Vielleicht hatte Macron auch dies im Sinn, als er Neuwahlen ausrief: Zwietracht im rechten Lager säen, um eine Machtübernahme zu verhindern: Divide et impera.

Domenica Dreyer-Plum (RWTH Aachen) wies darauf hin, dass repräsentative Umfragen gezeigt hätten, dass die Zukunftsängste in Frankreich und Deutschland besonders hoch seien und daher ein Zusammenhang zwischen Zukunftsängsten und der Wahl rechtsextremer Parteien vermutet werden könne.

Die abschließende Podiumsdiskussion drehte sich vor allem um die AfD und den von Marine Le Pen 2011 eingeschlagenen Kurs der Normalisierung: Die AfD verschiebe die Grenzen immer weiter in Richtung Tabubruch, während der RN versuche, sich als normale Partei zu etablieren. Die Franzosen sollen sich nicht mehr schämen müssen, wenn sie an die Wahlurnen gehen und ihr Kreuz machen. Das war wohl auch das Ziel von Marine Le Pen, als sie Bardella zum Parteivorsitzenden machte (November 2022): Mit seinem Namen lenkt er vom antisemitischen Erbe des Parteigründers Jean-Marie Le Pen ab. Domenica Dreyer-Plum fügte hinzu, dass die AfD mittlerweile eine breite Wählerschaft habe, die die Partei nicht nur aus Protest wähle, sondern auch wegen ihrer Inhalte und weil sie sich einfach mit ihr identifiziere.

In Zusammenarbeit mit Tim Bartels

Unsere Gäste

Domenica Dreyer-Plum (Copyright: Gerhard Bücker)

Domenica Dreyer-Plum ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Politische Systeme beim Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen. Ihre Forschungsinteressen sind u.a.: Krisenbewältigungsstrategien der EU, Grenz- und Asylpolitik der EU sowie EU-Regulierung in den Bereichen Digitalisierung, Medien und Künstliche Intelligenz.







Hans Stark (Copyright: Hans Stark)

Hans Stark ist seit 2012 Professor für deutsche Landeskunde (civilisation allemande) an der Sorbonne Université. Er war bis 2020 Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) im Institut français des relations internationales (Ifri). Nach einem Studium der Politikwissenschaften an Sciences Po Paris hat er 2001 an der Sorbonne promoviert und wurde 2011 an der Universität Lille im Fachbereich Germanistik habilitiert.

Das Video der Veranstaltung kann hier abgerufen werden:

Analyse der Europawahl – 11.06.2024 (youtube.com)

Dieser Bericht ist Teil eines Projektes des Frankreich-Podcasts Franko-viel, des Institut français Aachen und des Aachener EUROPE DIRECT Informationszentrums: April bis Juni: Europawahl – Themen, Fragen, Entscheidungen-Diskussion (europedirect-aachen.de).

Mit Unterstützung der Landesinitiative Europa-Schecks des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und 
Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen

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