Cocoriki:
Warum der Weihnachtsmann ein Mistkerl ist
„Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann.“ „Früher war mehr Lametta“ Na? Erkannt? Weihnachten bei Hoppenstedts. Alle Jahre wieder laufen Loriots Weihnachtssketche im deutschen Fernsehen. Sie gehören zum festen Bestandteil der Weihnachtstraditionen, wie Plätzchen und Adventskranz. Aber, wie ist das eigentlich bei den Franzosen?
Ein heimliches Weihnachtsgefühl beschlich ihn. Dieser Satz aus Georg Büchners Lenz ist mir aus meinem Abi-Deutsch-Leistungskurs in Erinnerung geblieben. Er drückt so genau das Gefühl aus, das ich immer empfand, wenn die Adventszeit begann: Ein Gefühl, das einen beschleicht, und dann auch noch heimlich…, herrlich! Damals verstand ich erst nach der Erklärung meiner Lehrerin Frau Eckermann (bei einem solchen Namen natürlich Goethe-Fan), dass heimlich hier vertraut bedeutete. Und so wartete ich 1989, meinem ersten Jahr in Frankreich ganz besonders gespannt darauf, wie sich dieses vertraute Weihnachtsgefühl denn anschleichen würde. Weihnachten mit French touch sozusagen.
Advent, Advent, kein Lichtlein brennt
Ich wartete vergebens: Kein Adventskranz, kein Plätzchenbacken, keine geschmückten Fenster und kein Nikolaus am 6. Dezember. Als mir am Donnerstag, den 30 November klar wurde, dass die zwei Jungs meiner Au-pair-Familie nicht mal einen Adventskalender haben würden, setzte ich mich hin und bastelte. Ich band bunte Papiersäckchen, gefüllt mit Carambars, diesem von der ganzen Familie geliebten Kaubonbon aus Karamell, an Fäden zusammen, nummerierte jedes Säckchen und hängte es an die Wand. Mit großen Augen bestaunten die Jungs am nächsten Morgen meine Bastelarbeit. Ihr Urteil: „Trop bien cette tradition allemande!“ Vielleicht haben die vielen deutschen Au-Pairs ja einen neuen Trend ausgelöst, denn heute gibt es überall in Frankreich Adventskalender.
In den folgenden Jahren fragte ich Franzosen jeden Alters immer wieder nach ihren Weihnachtstraditionen, einige verwiesen auf den berühmten Weihnachtsmarkt in Straßburg und Leute aus der Region Grand Est erzählten von den bredele (entspricht unseren Weihnachtsplätzchen), ansonsten bekam ich aber von allen die gleiche Antwort: „Ah tu sais, nous les Français, c’est comme dit Renaud: „la grande bouffe et les petits cadeaux.“ „La grande bouffe“, das große Fressen… also wie in Deutschland, „mais vous bouffez quoi?“ Wer die Wahl hat, hat die Qual: „Escargots, foie gras, huîtres“ und „noix de Saint-Jacques”, das kennt man bereits, besonders gefällt mir übrigens die Tradition der „treize desserts“ in Südfrankreich.
Cokoriki möchte ihnen aber zwei Spezialitäten vorstellen, die uns weniger bekannt sind, in Frankreich jedoch unumgänglich: „la bûche de Noël“ und „les marrons glacés.“
Ein Holzscheit aus Monaco?
Die bûche de Nöel ist ein Kuchen aus Biskuitkeks und Buttercreme, in der Form eines Holzscheites (une bûche), der seit den 1950er Jahren fester Bestandteil des französischen Weihnachtsessens ist. Ähnlich wie der Weihnachtsbaum hat dieser Kuchen ursprünglich allerdings nichts mit Christi Geburt zu tun. Vor der Ausbreitung des Katholizismus war es Tradition, in der Zeit, wenn die Tage am kürzesten sind, ein Holzscheit im Kamin zu verbrennen. Es sollte langsam brennen, wenn möglich bis zum neuen Jahr und somit die Familie schützen.
Wer aus dieser Tradition dann im neunzehnten Jahrhundert einen Kuchen machte, das ist umstritten. Einige erwähnen einen Konditor aus Saint-Germain-des-Prés, andere einen Schokoladenhersteller aus Lyon, wieder andere behaupten der Eismacher von Fürst Charles III. von Monaco stecke hinter der Entdeckung. Wie dem auch sei, eine Sache ist sicher: Die bûche de Noël darf weder am Weihnachtsabend noch am 25. Dezember fehlen. Und am 26. Dezember? Na, der ist außer im Elsass in Frankreich kein Feiertag.
Ludwig und die Kastanien
Les marrons glacés sind in Sirup kandierte und dann mit Puderzucker glasierte Kastanien, die man hauptsächlich während der Feiertage zum Jahresende isst und verschenkt. Es gibt zwei Theorien über deren Herkunft: Die erste geht auf die Zeit Ludwigs XIV. zurück, als der Sieur de Varennes (Sieur= Herr, daher Monsieur) eine mit Zucker gekochte Kastanie Ludwig XIV. servierte. Dieser war so entzückt von der Konditorei, dass er sie am Hofe auf die Speisekarte setzen ließ, der Beginn einer Successtory. Die zweite Theorie siedelt die Herkunft dieser Leckerei im Italien des sechzehnten Jahrhunderts in Cuneo an, wo es viele Kastanienbäume gibt.
Also Frankreich oder Italien? Für meine Schülerin Marine, deren Mutter marrons glacés herstellt und auf dem heimischen Markt verkauft, gibt es darüber gar keine Debatte: „Ils viennent de l’Ardèche! La moitié de la production nationale vient de chez nous!“ Widerspruch unmöglich !
Und der Nikolaus?
Der kommt nur ins Elsass, nicht aber in den Rest Frankreichs. Halt, doch er kommt. Jedes Jahr im Fernsehen. Aber der ist ein Mistkerl, une ordure. Die Geschichte von Le père noël est une ordure (deutscher Titel: Da graust sich ja der Weihnachtsmann), einem 1981 erschienenen französischen Kultfilm, der jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit im Fernsehen läuft, spielt an Heiligabend in einer Pariser Wohnung, die als Büro von SOS Détresse Amitié dient, einer Telefonhotline für hilfesuchende Menschen. Thierry Lhermitte und Anémone, alias Pierre Mortez und Thérèse, die ständigen Mitglieder des Vereins haben keine ruhige Minute, denn neben obszönen Anrufen, klingelt es auch noch dauernd an der Tür. Da kommt zum Beispiel Herr Preskovitch, der jugoslawische Nachbar und bringt eine Spezialität mit dem Namen Klough vorbei. Es folgen der Transvestit Katia, die hochschwangere Josette (bekannt als „Zézette“), die immer einen Einkaufswagen bei sich hat und mit ihrem im Film als Weihnachtsmann verkleideten Verlobten einen Wohnwagen in der Nähe der Autobahnperipherie bewohnt….
Als ich diesen Film zum ersten Mal mit Freunden ansah, fällte ich ein ziemlich strenges Urteil: Was für ein Klamauk! Meine Freunde verstanden das nicht, sie amüsierten sich prächtig und konnten einige Passagen sogar mitsprechen:
– „Je vous ai apporté des Doubitchou… c’est roulé à la main sous les aisselles“ ;
– „Zezette épouse X, vous savez pas lire? “ ;
– „Je ne vous jette pas la pierre, Pierre, mais j’étais à deux doigts de m’agacer“ ;
– „Ta gueule Miss Monde tu bouges pas, tu restes là.“
Ich dagegen war lost in translation.
Vier Jahre später hatte ich dann ein Aha-Erlebnis: Ich spielte meinen Schülern im Außenministerium die Weihnachtssketche von Loriot vor, wurde jedoch schwer enttäuscht, da niemand lachte. Ich gab aber nicht auf und begann, die Wortspiele und Anspielungen zu erklären. „Hier lachen die Deutschen dann“, sagte ich, was meine Schüler mehr zum Lachen brachte als Loriot. Mir war klar geworden, dass Humor so stark kulturgebunden ist, dass man ihn erst versteht, wenn man ganz in das Denken der anderen Kultur eingetaucht ist. Genau wie bei Loriot, wird dem Zuschauer bei dem Père Noël ein Spiegel vorgehalten, man trifft auf Charaktere, die verschiedene Kategorien unserer jeweiligen Gesellschaft widerspiegeln. Man wird sofort, wenn auch in überspitzter Form, an eine Person erinnert, die man kennt und genau das ist dann lustig. Erreicht wird das durch die verwendete Sprache und Aussprache, aber auch durch Kleidung und Gestik. Es ist eben typisch deutsch, bzw. typisch französisch.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Jedes Mal, wenn ich nun den Père Noël erneut ansah, entdeckte und verstand ich etwas Neues, der Film wurde immer lustiger, ich sah den Film mit französischen Augen. Seitdem zeige und erkläre ich Weihnachten bei Hoppenstedts in jedem letzten Kurs des Jahres, und das zehn bis fünfzehnmal in einer Woche… Wenn ich dann an Weihnachten in Deutschland bin und meine Mutter ruft: „Komm, im Fernsehen läuft Loriot!“, dann tue ich immer so, als hätte ich sie nicht gehört. Humor hin oder her, es ist einfach zu viel des Guten. Meine zehn Jahre alte Nichte findet Loriot übrigens gar nicht lustig: „Darüber lachen nur alte Leute…“ In einem Jahr fängt sie an, französisch zu lernen. Ich kann es kaum erwarten, mit ihr den Père Noël Film anzusehen. Mal sehen, was sie sagt…
Na, hat Sie jetzt ein heimliches Weihnachstgefühl beschlichen? Cokoriki hofft das sehr und wünscht: Joyeux Noël et à l’année prochaine!
Der Autor
Der in Hessen geborene Frank Gröninger wohnt seit 1993 in Paris, wo er als Lehrer für Deutsch und interkulturelle Beziehungen unter anderem für das französische Außenministerium und Sciences Po, dem Institut für politische Wissenschaften arbeitet. 2021 erschien sein Buch „Douce Frankreich: die Abenteuer eines Deutschen in Paris“, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch, 2022 sein zweites Buch, „Dessine-moi un(e) Allemand(e)“.