Neujahrsansprache:
Wieder ein Schicksalsjahr

Neujahrsansprache: Wieder ein Schicksalsjahr
  • VeröffentlichtJanuar 3, 2025
Emmanuel Macron am 31.12.2024
Emmanuel Macron am 31.12.2024 (Copyright: Landry Charrier – Screenshot: YouTube)

In seiner Neujahrsansprache drängte Emmanuel Macron seine Landsleute, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Der Präsident räumte Fehler ein und will die Franzosen stärker in Entscheidungen einbinden. Er ist aber nicht der Einzige, der große Pläne für 2025 hat.

 

Emmanuel Macrons Neujahrsansprache begann gewohnt grandios. Zu der ausklingenden Marseillaise ertönte aus dem Off die Stimme des Präsidenten. „Gemeinsam“ habe man gezeigt, dass das Unmögliche nicht französisch sei („Impossible n’est pas francais“). Keinem Geringeren als Napoleon entlehnte Macron diesen Einstieg. Der Ton war gesetzt.

Diese Worte untermalte ein Video, eine Neuerung dieser althergebrachten Institution der französischen Politik. Die Zuschauer sahen eine rasche Abfolge von Bildern, kommentiert vom Präsidenten: die olympischen Sommerspiele in Paris, das Recht auf Abtreibung, der Kampf gegen den Klimawandel, Feierlichkeiten anlässlich des 80. Jahrestags der Landung der Alliierten in der Normandie und schließlich die Wiedereröffnung von Notre-Dame. Vieles ist Frankreich gelungen im Jahr 2024, das war die Kernbotschaft. Doch die Zuschauer sahen auch einen Staatschef, der Napoleon und imposante Bilder brauchte, um sie glaubhaft zu vermitteln.

 

Der klassische Macron

In weiten Teilen der folgenden Rede blieb Macron sich treu. Außenpolitisch knüpfte er mit der achten Neujahrsansprache seiner Amtszeit an die zweite Sorbonne-Rede im Mai an: Europa könne seine Sicherheit nicht länger auslagern, Frankreich werde die eigene und die europäische Souveränität ausbauen. Dafür habe er seit 2017 gekämpft. So weit, so gut.

Die Europäer müssten zudem ihre Naivität ablegen. Frankreich habe hier eine wichtige Rolle – mit seinem diplomatischen Geschick und seiner militärischen Stärke. Auch das waren bekannte Töne aus Paris. Macron betonte hier, Frankreich habe dank einer neuen Trägerrakete (Ariane 6) und eines Atomreaktors der neuen Generation (in Flamanville) international seinen „Rang erhalten“. Ein bekanntes außenpolitisches Motiv der Fünften Republik.

 

Ein halbes Geständnis

Dass sie innenpolitisch in keinem guten Zustand ist, das verhehlte der Präsident nicht. Er gebe zu, dass die Auflösung der Nationalversammlung die Spaltung des Landes eher verstärkt habe, als Gräben zu überwinden. Diese Passage war zum Jahresbeginn die mit Abstand am meisten kommentierte. Schließlich sind sich in Frankreich viele Beobachter einig, dass die Auflösung das Resultat der Fehleinschätzung eines isolierten Präsidenten war. Macron war lange bei seiner Haltung geblieben, er habe nur Klarheit schaffen wollen. Die Schuld liege bei den Parteien im Parlament und ihrer Blockadehaltung.

Jetzt also Einsicht, jedenfalls etwas. Denn „Klugheit und Bescheidenheit“ drängten ihn, eine „Teilschuld“ anzuerkennen. Gleich darauf fügte der Präsident trotzig an, er habe die Auflösung entschieden, um den Franzosen die Wahl zu geben. Überhaupt sei die französische Instabilität nicht einzigartig, das zeige der Blick in das östliche Nachbarland. Die „deutschen Freunde“ seien in einer ähnlich komplizierten Lage. Die Bundesrepublik ist in Frankreich vielerorts noch immer eine beneidete Referenz. Wenn es auch dort chaotisch zugeht, entschuldigt das für Macron also die eigene Lage. Dass die Umstände der Parlamentsauflösung in beiden Ländern völlig unterschiedliche waren – diese Details ersparte Macron sich selbst und seinen französischen Mitbürgern.

 

Flucht nach vorne

Wichtiger war der Blick nach vorne. Große Nationen seien die, die „im Angesicht der Krise und des Zweifels“ Weitsicht bewahrten. Um Zukunft zu gestalten, müssen man sich von Alltagspolemiken lösen. Übersetzt hieß das: Parteipolitisches Klein-Klein im Parlament darf langfristige Visionen des Präsidenten nicht stören. Frankreich, so Macron, müsse mit Blick auf das nächste Vierteljahrhundert „entscheiden und handeln“ können. Wie das in Zukunft gelingen soll, ist noch offen. Der Präsident dankte Michel Barnier, der im September die Aufgabe auf sich genommen hatte, als Premierminister ohne eigene Mehrheiten zu versuchen, Gesetze und einen Haushalt durch das Parlament zu bringen. Und Francois Bayrou, der sich nach dem Sturz Barniers im Dezember als dessen Nachfolger durchsetzte, wünschte er Glück und versicherte, darüber zu wachen, dass die Zukunft des Landes nicht verspielt wird.

Ein zweites Schlüsselmoment der Ansprache war schließlich die Ankündigung Macrons, den Wählern zukünftig mehr Mitspracherechte zu geben. Die französische Öffentlichkeit deutete seine Formulierung als möglichen Hinweis auf Volksabstimmungen. Nach Artikel 49.3 der Verfassung, der die Verabschiedung von Gesetzen am Parlament vorbei möglich macht, sowie der Auflösung der Nationalversammlung im Juni, wären solche Referenden neben Bürgerbefragungen ein letztes Instrument für Macron, um in seiner verbleibenden Amtszeit innenpolitische Akzente zu setzen.

 

Le Pen in Lauerstellung

Le Pens Neujahrswünsche, 31.12.2024
Le Pens Neujahrswünsche, 31.12.2024 (Copyright: Landry Charrier – Screenshot: YouTube)

Auf Volksabstimmungen drängt und hofft seit Jahren aber auch die Oppositionsführerin und Fraktionschefin des Rassemblement National (RN), Marine Le Pen. Sie richtete sich zum Jahresende ebenfalls in einer Neujahrsansprache an ihre Mitbürger, staatsmännisch vor der Tricolore – die Europaflagge fehlte, anders als bei Macron. Le Pens Referenzen für Frankreichs Größe waren dieselben, wie für Macron: Olympia, Notre-Dame. Auch sie berief sich auf Charles de Gaulle und sparte nicht mit großen Worten. Sie wolle, so Le Pen, zukünftig „aus dem unendlichen französischen Genie schöpfen“.

2025, das ist sicher, wird für Macron und Le Pen ein Schicksalsjahr. Das innenpolitische Chaos, welches das Erbe des amtierenden Präsidenten zunehmend bedroht, könnte der RN-Fraktionschefin den Weg zum Triumph ebnen, auf den sie seit Jahren hinarbeitet. Dass die Franzosen der derzeitigen Mitte-Parteien zunehmend überdrüssig werden, wurde bei der Nominierung Bayrous deutlich. Und weil der zweite große Oppositionsblock, das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP), weiterhin von der destruktiven Agenda der Linkspopulisten von La France Insoumise (LFI) im Griff gehalten wird, könnte Le Pen absehbar das verkörpern, was sich viele Franzosen für das neue Jahr wünschen: Das Versprechen auf Ruhe und Ordnung in unruhigen Zeiten.

 

Der Autor

Jacob Ross
Copyright: Jacob Ross

Jacob Ross arbeitet als Research Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Seine Analysen fokussieren sich auf den Zustand der deutsch-französischen Beziehung und aktuelle Entwicklungen der französischen Außen- und Sicherheitspolitik. Aktuell beschäftigt er sich zudem mit rechten Oppositionsparteien in Frankreich und den Auswirkungen der US-Präsidentschaftswahl auf das deutsch-französische Verhältnis. 

 

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