Deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen:
„Jetzt ist es an der Zeit, zu handeln“

Deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen: „Jetzt ist es an der Zeit, zu handeln“
  • VeröffentlichtSeptember 24, 2025
In der deutschen Botschaft, Paris, 16. September 2025 (Coypright: CEFA)
In der deutschen Botschaft, Paris, 16. September 2025 (Coypright: CEFA)

Im Interview mit dokdoc blickt Laurent Favre, Vorsitzender des Club Économique Franco-Allemand, auf die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen und die Zukunft der europäischen Industrie.

 

dokdoc: Herr Favre, am 16. September feierte das CEFA sein 20-jähriges Bestehen. Welche Ziele verfolgt der Club?

 

Laurent Favre: Das CEFA wird von einer einfachen Idee getragen: die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland zu stärken. Es ist ein Ort wirtschaftlicher und politischer Begegnungen, an dem man sich besser verstehen und zur Annäherung der beiden Volkswirtschaften beitragen kann.

 

dokdoc: Sie haben im September 2023 den Vorsitz des CEFA übernommen. Was hat Sie beruflich wie persönlich dazu bewegt, diese Verantwortung zu übernehmen?

 

Favre: Ich leite das CEFA seit zwei Jahren, weil mir die deutsch-französische Partnerschaft sehr am Herzen liegt. Einen großen Teil meines Lebens habe ich in Deutschland verbracht, und auch meine Kinder sind dort geboren. Die Geschichte des CEFA hat mich tief geprägt: Der Club wurde von Francis Mer, einem französischen Industriellen und Politiker, gegründet und transportiert eine klare Vision für die europäische Industrie und die deutsch-französische Zusammenarbeit. Als mir der Vorsitz angeboten wurde, habe ich zugesagt, weil mir genau diese Aufgabe am Herzen lag. Außerdem wollte ich das Erbe früherer Vorsitzender wie Francis Mer oder Christian Streiff fortführen. Durch meine Arbeit in französischen und deutschen Konzernen habe ich festgestellt, dass es oft an gegenseitigem Verständnis mangelt – besonders auf französischer Seite.

 

Von links nach rechts: Stephan Steinlein, deutscher Botschafter in Frankreich; Anne-Marie Descôtes, Generalsekretärin des MEAE; Laurent Favre, Vorsitz des CEFA (Copyright: CEFA)
Von links nach rechts: Stephan Steinlein, deutscher Botschafter in Frankreich; Anne-Marie Descôtes, Generalsekretärin des MEAE; Laurent Favre, Vorsitz des CEFA (Copyright: CEFA)

 

dokdoc: Frankreich befindet sich derzeit in einer Phase politischer Instabilität, die für Unternehmen Unsicherheit bedeutet. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

 

Favre: Unsere Welt befindet sich im Umbruch – wirtschaftlich wie geopolitisch. Jedes Land muss sich neu erfinden, um den Herausforderungen des Klimas und der Gesellschaft gerecht zu werden. Für Demokratien ist das besonders schwierig, da sie langfristige Transformationen mit den unmittelbaren Erwartungen der Bürger in Einklang bringen müssen. Für die Industrie ist die Situation besorgniserregend, denn sie arbeitet mit langfristigen Investitionszyklen: Projekte in der Energiewende, der Elektrifizierung oder im Bereich Wasserstoff erfordern Planbarkeit und Stabilität. Politische Instabilität erschwert die Entwicklung einer innovativen und ambitionierten Industriepolitik und schwächt damit Frankreich und – in größerem Maßstab – Europa.

 

dokdoc: Die französische und die deutsche Wirtschaft sind eng miteinander verflochten – welche Auswirkungen hat Frankreichs aktuelle Lage auf die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen? Besteht die Gefahr einer Entkopplung, wie sie von manchen befürchtet wird?

 

Favre: Deutschland verfügt über ein leistungsfähiges Industriemodell, das auf Exportstärke und einem stabilen industriellen Gefüge basiert. Doch der sich wandelnde globale Kontext hat es stark beeinflusst. China ist zur führenden Industrienation geworden und in vielen Sektoren äußerst wettbewerbsfähig, teilweise stärker als Deutschland oder Europa. Auch der Krieg in der Ukraine hat die Energiekosten deutlich erhöht. Entgegen der häufig geäußerten Meinung ist das deutsche Modell jedoch nicht „am Ende“ – es muss sich lediglich an die neue Realität anpassen. Deutschland kann aber nicht allein erfolgreich sein: Ohne Frankreich und Europa geht es nicht. Die Stärke Chinas liegt in seinem riesigen Binnenmarkt, während der deutsche Markt begrenzt ist und die Demografie rückläufig. Deutschland muss weiterhin in Technologie investieren, zugleich vom europäischen Markt profitieren und sich gegenüber bestimmten Importen – etwa aus Asien – schützen. Hier spielt Frankreich eine Schlüsselrolle. Ich glaube nicht an eine wirtschaftliche Entkopplung zwischen Deutschland und Frankreich: Ein solcher Schritt würde Europa gefährden und das deutsche Modell in Gefahr bringen.

 

dokdoc: Beim letzten deutsch-französischen Ministerrat haben beide Länder ihre Absicht bekräftigt, die Zusammenarbeit in Handel und wirtschaftlicher Sicherheit zu stärken. Welche konkreten Maßnahmen erwarten die Unternehmen?

 

Favre: Taten müssen jetzt Worten folgen. In den vergangenen Jahren wurde viel angekündigt, doch jetzt ist es an der Zeit, zu handeln. Entscheidend ist, den europäischen Markt als einen einheitlichen Markt zu begreifen und nicht als bloße Summe einzelner nationaler Märkte. Diese Fragmentierung verhindert heute, dass Unternehmen zu globalen Champions werden. Ein Beispiel ist die Telekommunikation: Die Regulierung zwingt zu getrennten Akteuren in jedem Land, während in den USA oder China ein einheitlicher Markt die Entstehung globaler Marktführer begünstigt. Auch die Fusion von Alstom und Siemens, die einen europäischen Champion im Schienenverkehr gegenüber chinesischen Wettbewerbern geschaffen hätte, wurde von der Kommission im Namen des Wettbewerbs gestoppt. Meiner Ansicht nach war das ein Fehler – sie hätte die europäische Industrie gestärkt und Wohlstand geschaffen. Europa muss sich zudem gegen teilweise subventionierte chinesische Exporte schützen, etwa durch lokale Mindestanteile in der Produktion. Dazu gehören Investitionen in Innovation, Digitalisierung, künstliche Intelligenz sowie der Zugang zu grüner Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen. Schließlich muss Europa Innovation aktiv fördern und darf keine Angst vor Fortschritt haben. Künstliche Intelligenz, die in China und den USA eingesetzt wird, beschleunigt Entwicklungen in Medizin, Materialwissenschaft und Wissenstransfer. In Europa müssen wir zunächst die Voraussetzungen für Innovation schaffen und erst danach gegebenenfalls regulierend eingreifen.

 

Friedrich Merz und Emmanuel Macon beim letzten Deutsch-französischen Ministerrat in Toulon (Copyright: Alamy)
Friedrich Merz und Emmanuel Macon beim letzten Deutsch-französischen Ministerrat in Toulon (Copyright: Alamy)

 

dokdoc: Unterschiede zwischen den politischen Systemen in Frankreich und Deutschland führen oft zu Missverständnissen. Wie zeigt sich das in der Unternehmenspraxis?

 

Favre: Jedes global tätige Unternehmen – wie das, das ich im Mobilitätsbereich leite (Anm. d. Red.: OPmobility) – weiß, wie man grenzüberschreitend zusammenarbeitet. Wir sind in Deutschland stärker aktiv als in Frankreich, und kulturelle oder regulatorische Unterschiede blockieren uns nicht. Wir haben solide Partnerschaften mit deutschen Akteuren, insbesondere im Bereich Wasserstoff. Das gilt für viele erfolgreiche europäische Industrieunternehmen: Sie überwinden Barrieren und nutzen komplementäre Stärken.

 

dokdoc: Frankreich und Deutschland stehen vor erheblichen wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Anpassungen. Was stimmt Sie trotz allem optimistisch?

 

Favre: Was mich optimistisch stimmt, ist, dass die aktuellen Schwierigkeiten größtenteils selbstgemacht sind. Manche Entscheidungen der Vergangenheit waren vielleicht nicht an die heutige Realität angepasst. Das ist keine Kritik – die Welt verändert sich, und wir müssen unsere Strategien ständig weiterentwickeln. Wir verfügen über alle Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein: die hohe Qualität der Talente in Europa, die Ausbildung in unseren Schulen und das industrielle Know-how. Tatsächlich waren die Chancen für Fortschritte seit vielen Jahren nicht mehr so günstig wie heute.

 

Die Fragen stellte Landry Charrier.

 

Unser Gast

Laurent Favre (Copyright: OPmobility)
Laurent Favre (Copyright: OPmobility)

Laurent Favre, Absolvent der ESTACA (École Supérieure des Techniques Aéronautiques et de Construction Automobile), begann seine Karriere in der Automobilbranche in Deutschland. Mehr als zwanzig Jahre lang bekleidete er verschiedene Führungspositionen bei deutschen Unternehmen, erstklassigen Automobilzulieferern wie ThyssenKrupp, ZF und Benteler. Bei Benteler war er Generaldirektor der Automobilsparte. Seit 2020 ist er Vorstand und Geschäftsführer von OPmobility.

 

 

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