Kohl & Mitterrand:
Erfolgreiches Tandem wider Erwarten

Kohl & Mitterrand: Erfolgreiches Tandem wider Erwarten
  • VeröffentlichtNovember 4, 2025
Antrittsbesuch von Bundeskanzler Helmut Kohl bei Staatspräsident François Mitterrand, Paris, 4. Oktober 1982 (Copyright: MEAE/Actualités diplomatiques/A031662)
Antrittsbesuch von Bundeskanzler Helmut Kohl bei Staatspräsident François Mitterrand, Paris, 4. Oktober 1982 (Copyright: MEAE/Actualités diplomatiques/A031662)

Helmut Kohl und François Mitterrand – mit diesem „Pärchen“ der deutsch-französischen Beziehungsgeschichte wird in erster Linie der Händedruck von Verdun 1984 verbunden und damit eines der wirkmächtigsten Bilder der politischen Ikonographie der deutsch-französischen Beziehungen. Damit hatte jedoch im Herbst 1982 in dieser Form niemand gerechnet, ein Gleichklang zwischen Bonn und Paris schien ferner denn je.

 

Rückblickend wird die Zusammenarbeit zwischen Helmut Kohl und François Mitterrand als harmonische Partnerschaft wahrgenommen. Dass durch die zwei kurz aufeinanderfolgenden Wechsel an der Staats- und Regierungsspitze beider Länder 1981 und 1982 zwei Männer aufeinandertrafen, von denen die wenigsten eine funktionierende Partnerschaft erwartet hätten, ist hingegen heute weniger präsent. Doch gerade deswegen ist es lohnenswert, nochmals den Blick auf die Anfänge dieses in vielerlei Hinsicht sehr ungleichen Pärchens zu richten, da hierdurch die Leistung zur Überwindung von Gegensätzen zugunsten einer tragfähigen Partnerschaft nur nochmal mehr unterstrichen wird.

 

Ein sozialistischer Präsident in Paris

Die Wahl François Mitterrands zum ersten sozialistischen Präsidenten der V. Französischen Republik im Mai 1981 läutete nicht nur einen politischen Paradigmenwechsel in Frankreich ein, sondern sorgte auch bei seinen internationalen Partnern für Aufsehen: Auf dem Höhepunkt des sogenannten Zweiten Kalten Krieges saß nun ausgerechnet in Paris, einer westlichen Atommacht und Siegermacht des Zweiten Weltkriegs, ein Sozialist im Elysée-Palast, der zudem auch noch Mitglieder der Kommunistischen Partei Frankreichs in seine Regierung berufen hatte. Sowohl das Programm als auch die Person Mitterrands befeuerten vor allem am Rhein die Vorbehalte: Von der Arbeit für das Vichy-Régime über den französischen Widerstand und die IV. Republik avancierte Mitterrand gleich einem politischen Chamäleon zu einem der schärfsten Kritiker de Gaulles und der V. Republik. Sein Verhältnis zu Deutschland schwankte zwischen Argwohn und Bewunderung, allerdings empfand er die auf der Basis des Elysée-Vertrags etablierten deutsch-französischen Beziehungen als einengend.

 

 

François Mitterrand (rechts) und Marcel Barrois (Mitte) werden vom Marschall Pétain empfangen, Oktober 1942 (Copyright: Wikimedia Commons)
François Mitterrand (rechts) und Marcel Barrois (Mitte) werden vom Marschall Pétain empfangen, Oktober 1942 (Copyright: Wikimedia Commons)

 

In den Augen der bundesdeutschen Akteure drohte also das mühsam erarbeitete, gute deutsch-französische Verhältnis (kein Komma) seine Sonderstellung einzubüßen. Trotz aller Skepsis, die auf Seiten der Sozialdemokraten in Bonn besonders angesichts der neuen französischen Wirtschafts- und Währungspolitik herrschte, war man sich aber einig: Die Zusammenarbeit mit Paris war nicht in Frage zu stellen.

 

Regierungskrise am Rhein

Nur ein Jahr später sollte Bonn zum Sorgenkind der deutsch-französischen Beziehungen werden. Nach einer mühsamen Annäherung zwischen Helmut Schmidt und François Mitterrand hatte man eine solide Basis für eine Zusammenarbeit entwickelt und an einer erneuten Änderung der Koordinaten innerhalb des deutsch-französischen Tandems keinerlei Interesse. Jedoch ließ die zunehmende Labilität der sozial-liberalen Koalition unter Schmidt eine Rückkehr der christdemokratischen Opposition an die Macht in den Bereich des Möglichen rücken. Sorge bereiteten französischen Beobachtern die Auswirkungen der dauerhaft anhaltenden Koalitionsstreitigkeiten in Bonn sowohl auf die deutsch-französischen Beziehungen als auch auf die westliche Sicherheitsarchitektur insgesamt: Die seit de Gaulle gelebte französische Unabhängigkeit zwischen den Blöcken war signifikant von der deutschen Westbindung abhängig, die harsche Debatte um die Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses jedoch schien genau diese in Frage zu stellen. Grund genug für Paris also, sich genauestens für die Entwicklungen am Rhein zu interessieren, so zumindest die Ansicht des französischen Botschafters in Bonn, Henri Froment-Meurice, der intensiv über die internen Auseinandersetzungen am Rhein nach Paris berichtete. Sehr zu seinem Leidwesen fand er jedoch am Quai d’Orsay damit wenig Gehör. Denn trotz der als besorgniserregend wahrgenommenen Entwicklungen am Rhein, war man weit davon entfernt, diese ganz oben auf die französische Agenda zu setzen. Im Sommer 1982 war man in Paris durch die wirtschaftspolitische Kehrtwende Mitterrands vor allem mit sich selbst beschäftigt.

 

Wer ist Helmut Kohl?

Botschafter Froment-Meurice berichtete nicht nur detailliert über die Bonner Koalitionskrise, im Gegensatz zu den führenden Stellen in Paris interessierte er sich bereits sehr früh für den Chef der Opposition im deutschen Bundestag, nämlich für Helmut Kohl. Kontakte in diese Richtung hielt man trotz der bröckelnden Koalition in der französischen Administration nicht für zwingend notwendig und setzte damit eine Linie aus dem letzten Septennat unter Giscard d’Estaing fort. Kohl, von seinen Gegnern als zu provinziell und damit unfähig für internationales Parkett und höchste Staatsämter eingestuft, rückte jedoch zunehmend in das Radar des französischen Botschafters, denn Mitarbeiter seines Hauses beschrieben den christdemokratischen Oppositionschef ganz im Gegensatz zur allgemein vorherrschenden Meinung als durchaus frankophilen und agilen Politiker. In Paris fand er jedoch weiterhin kaum Gehör, auf taube Ohren, ein neuer deutscher Gesprächspartner, an den man sich wieder neu gewöhnen müsse, war schlichtweg nicht wünschenswert.

 

Blitzbesuch an der Seine: Eine erste, positive Fühlungsaufnahme

Ende September 1982 trat jedoch genau diese Situation ein: Helmut Schmidt erklärte mit dem Rücktritt der FDP-Minister die Koalition für beendet. Erst jetzt war man im Elysée Palast bereit, sich der neuen Realität und damit einer unionsgeführten Regierung zu stellen. Die Aussichten auf eine Zusammenarbeit mit einer solchen waren aus Pariser Perspektive alles andere als rosig, man befürchtete Dissens in der Wirtschafts- und Währungs-, aber auch in der Europapolitik. Die Vermutung wurde am 1. Oktober 1982 zur Gewissheit: Der Bundestag wählte Helmut Kohl mit Hilfe des konstruktiven Misstrauensvotums zum neuen Bundeskanzler.

 

Helmut Kohl nach dem Erfolg des Misstrauensvotums gegen Helmut Schmidt, Bonn, 1. Oktober 1982 (Copyright: Presse-Service Steponaitis/Bilddatenbank des Bundestags)
Helmut Kohl nach dem Erfolg des Misstrauensvotums gegen Helmut Schmidt, Bonn, 1. Oktober 1982 (Copyright: Presse-Service Steponaitis/Bilddatenbank des Bundestags)

 

„Helmut-le-grand“ stand nun als Nachfolger von „Helmut-le-petit“ – so titelte die französische Presse – mit einem Schlag im Zentrum des französischen Interesses. Und Kohl entschied sich für einen ersten Besuch in Paris, in dem Wissen, dass diesem in der damaligen Situation eine besondere Bedeutung zukam: Zum einen, um sich frühzeitig auf internationaler Bühne an der Seite seiner Partner zu positionieren und seine Kompetenz in dem Bereich unter Beweis zu stellen, zum anderen wollte man unterstreichen, dass die deutsch-französischen Beziehungen eine besondere Stellung in der außenpolitischen Konzeption der neuen deutschen Regierung einnahmen. Noch am Abend der Vereidigung seiner Regierung reiste der neue Kanzler am 4. Oktober 1982 nach Paris und traf auf den französischen Staatspräsidenten. Ein persönlicher Zugang zum jeweils anderen war angesichts der unterschiedlichen Sozialisation wie auch Generations- und Parteizugehörigkeit alles andere als selbstverständlich. Die Schnelligkeit aber, mit der Kohl nach Paris reiste, bereitete ebenso wie Mitterrands Bereitschaft, den deutschen Gast so kurzfristig zu empfangen, für eine erste Annährung eine gute Grundlage. In ihrem ersten Gespräch nahmen beide vielleicht auch gerade aufgrund ihrer unterschiedlichen Werdegänge neben tagespolitischen Themen ihre persönliche Biografie zum Ausgangspunkt, um ihre eigene europäische Ausrichtung sowie die positiven Erfahrungen mit dem deutschen und französischen Nachbarn zu schildern. So waren Kohls Kindheit im deutsch-französischen Grenzgebiet genauso Thema wie Mitterrands Kontakt zu Robert Schuman. Und das mit Erfolg.

 

Das Zweiergespann formiert sich

Die internationalen Rahmenbedingungen und die Tatsache, dass besonders zu Amtsantritt die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen zwischen dem Sozialisten Mitterrand und dem Christdemokraten Helmut Kohl komplett divergierten, führten bei beiden bei ihrer ersten Begegnung zu einer verstärkten Suche und Hervorhebung von Gemeinsamkeiten. Die wenigen Parameter, die zu Beginn für eine konstruktive Zusammenarbeit sprachen, waren zumeist persönlicher Natur, an die sich gerade Kohl regelrecht klammerte, um in diesen traditionsreichen Bereich der Union zu reüssieren. Ausgerechnet diese beiden Politiker, die die positiv-europäischen Ausschnitte ihrer Biographie gekonnt für einen Zugang zum anderen einzusetzen verstanden, sollten sich jedoch rückblickend mit einem reflektierten Umgang mit politischen Fehltritten und dunkleren Kapiteln der eigenen Vergangenheit schwertun, wie die 1990er Jahre schmerzlich offenbarten. Dies galt für die Arbeit Mitterrands für das Régime in Vichy, seine vor der Öffentlichkeit geheim gehaltene, schwere Krebserkrankung und seine uneheliche Tochter genauso wie für Kohls Rolle im CDU-Parteispendenskandal.

 

Francois Mitterrand spricht im Bundestag am 20. Januar 1983 (Copyright: Presse-Service Steponaitis/Bilddatenbank des Bundestags)
Francois Mitterrand spricht im Bundestag am 20. Januar 1983 (Copyright: Presse-Service Steponaitis/Bilddatenbank des Bundestags)

 

Der von dem „Blitzbesuch“ gewonnene, positive Eindruck auf beiden Seiten täuschte nicht: Entgegen aller Erwartungen sollte zwischen dem Sozialisten und dem Christdemokraten zunächst eine solide Arbeitsbeziehungen und schließlich ein echtes Vertrauensverhältnis entstehen. Bei wichtigen Grundsatzentscheidungen stärkte man sich trotz aller Unterschiedlichkeit durchaus den Rücken: So machte sich Mitterrand vor dem deutschen Bundestag im Januar 1983 anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrags öffentlich für die Umsetzung des Natodoppelbeschluss in der Bundesrepublik stark und Frankreich entschied sich mit Unterstützung Bonns für eine stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Währungspolitik. Die Basis war somit geschaffen für das erfolgreiche Zweiergespann, das man trotz nicht zu leugnender Interessensdivergenzen mit den Fortschritten der europäischen Integration bis heute verbindet.

 

Der Beitrag stützt sich auf das vierte Kapitel der Dissertation der Autorin: „Diplomatie durch Sprache? Deutsch-französische Begegnungen im 20. Jahrhundert“ (Pariser Historische Studien, Bd. 139), Heidelberg University Publishing (erscheint demnächst).

 

Die Autorin

Yvonne Blomann (Copyright: privat)
Yvonne Blomann (Copyright: privat)

Yvonne Blomann studierte Frankoromanistik, Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Université du Québec à Montréal (Kanada). Promoviert wurde sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Kulturgeschichte der Diplomatie, die Geschichte der internationalen Beziehungen, speziell der deutsch-französischen Beziehungen, die NS-Vergangenheit deutscher Behörden und die Didaktik des bilingualen Sachfachunterrichts. Ihre Dissertation, Diplomatie durch Sprache? Deutsch-französische Begegnungen im 20. Jahrhundert, erscheint als Band 139 der Pariser Historischen Studien im Verlag Heidelberg University Publishing und wurde 2024 mit dem Dissertationspreis der AG Internationale Geschichte im VHD ausgezeichnet.

 

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