Das wilde Wasser des Präsidenten

„Kleider machen Leute“, so ein deutsches Sprichwort. Im Französischen sieht man das etwas anders: „l’habit ne fait pas le moine“. Die Grundaussage ist jedoch gleich: Die Kleidung drückt etwas aus. Cokoriki hat unsere Politiker und ihre Looks unter die Lupe genommen:
Wer hatte sie nicht gesehen, diese Werbung des Autovermieters Sixt von 2009 bestehend aus zwei Bildern von noch nicht Kanzlerin Angela Merkel? Auf dem ersten sieht man sie mit Topfschnitt und auf dem zweiten mit zu Bergen stehenden Haaren. Darunter der Slogan: „Lust auf eine neue Frisur? Mieten Sie ein Cabrio.“ Gerade in den ersten Jahren ihrer Amtszeit war ihre Frisur immer wieder ein Thema und ihr Frisör Udo Waltz vielleicht sogar bekannter als mancher Minister. Unzählbar zudem die Artikel, die sich mit Angela Merkels immer gleich geschnittenen Kostümen in allen nur denkbaren Farben beschäftigten.
Äußerlichkeiten und Eitelkeit spielen aber auch bei männlichen Politikern eine Rolle. Das weiß man spätestens seit Gerhard Schröder, der sich, kaum im Amt, von Starfotograf Peter Lindbergh in seinen (italienischen!!) Brioni-Anzügen für das Magazin Gala fotografieren ließ.
Politik: eine haarsträubende (Männer)Sache?
Angela Merkels Nachfolger Olaf Scholz blieb die Debatte um den Frisör zwar erspart, 2022 machte allerdings der „Schlabberpullover” Schlagzeilen, den er auf dem Flug in die USA trug, was den Stern nach Recherchen zu einer Richtigstellung veranlasste: „Von wegen Schlabber-Look: Der verspottete Kanzler-Pulli ist eine ganz besondere Designerware (immerhin von einem deutschen Designer).“ Die Republik diskutierte noch über den Kanzler-Pulli, da setzte Friedrich Merz zu einem modischen Frontalangriff an und führte seine neue Brille vor: „Ist das schon die Kanzlerbrille?“, titelte die sonst so auf Seriosität bedachte Zeit im Sommer 2022 in einem Artikel, in dem man erfuhr, dass es sich um das Modell 5583 von Tom Ford handelte (einem Amerikaner). Für negativen Gesprächsstoff sorgte dann aber die sogenannte Haarinsel des Kanzlers, wie ein Titel von Focus zeigt: „12.000 Euro für die Haare? Sparen fängt im Kleinen an! – Leser wütend auf Merz“.
Ähnliches hatte übrigens auch François Hollande erlebt, dem vorgeworfen wurde, einen Frisör zu haben, der die Steuerzahler 10 000 Euro im Monat kostete. Präsident Macron hatte daraus gelernt, denn sein Coiffeur verdient nur die Hälfte und muss sich zudem ebenfalls um die Première Dame kümmern, wie man aus einem Bericht des Rechnungshofes erfährt.
Jeder Look eine Botschaft
Als ich Emmanuel Macron auf seinem Staatsbesuch (Mai 2024) nach und durch Deutschland begleitete, fiel mir eine Person auf, die ihm nicht von der Seite wich und die sich als einzige nicht an das Protokoll zu halten hatte: Seine offizielle Fotografin Soazig de La Moissonnière, die ihn in den unterschiedlichsten Lebenslagen fotografiert und dies dann auf allen erdenklichen Social-Media-Plattformen postet. Immer wieder kommt es dadurch zu heißen Debatten im Land der Mode.

Am 30. August 2022 sorgte ein Foto für Aufregung, auf dem der Präsident nicht wie üblich in Anzug und Krawatte zu sehen ist, sondern im dunkelblauen Hoodie. Es handelte sich jedoch nicht um irgendeinen Hoodie, denn auf dem Kleidungsstück war vorne der Schriftzug CPA 10 aufgestickt, für Commando Parachutiste de l’Air no 10, eine Spezialeinheit der französischen Luftwaffe. In Kriegszeiten eine klare Botschaft, die viele Fragen aufwarf: Ziemt sich dieser Look für einen Präsidenten? Will er Zelensky nachahmen?
Muskeln und behaarte Brust
Das Hoodie-Foto verdrängte die Debatte über ein zuvor veröffentlichtes Foto von Emmanuel Macron im aufgeknüpften weißen Hemd. „Chemise ouverte, torse poilu: „Emmanuel Macron comme on ne l’a jamais vu“, so der Titel eines Artikels des Magazins Madame Figaro vom 1. August 2022, in dem es hauptsächlich um die behaarte Präsidentenbrust ging. Dieses Foto sorgte für so viel Aufregung, dass das Staatsoberhaupt sich in einem Interview dazu erklären musste: „Il faisait très très chaud à Marseille, comme vous l’avez vu… !“

Im Jahr der Olympischen Spiele wollte der Präsident wohl zeigen, dass auch er Sport treibt und so kam es im März 2024 zu einem Foto, auf dem man ihn beim Boxen sieht. Erneute Debatte. Die einen fragten sich, ob der enorme präsidiale Bizeps echt oder gephotoshopt sei, andere befragten Boxexperten, ob man an der Haltung erkennen könne, dass dieses Foto nachgestellt war. Kaum war die Aufregung darum verebbt, da sorgte schon eine andere Nachricht für Schlagzeilen: „Plus de 3 000 euros pour faire voyager les costumes d’Emmanuel Macron jusqu’à Rio“, so die Zeitung Libération. Als Vorbereitung für seinen Staatsbesuch war der Butler des Präsidenten erste Klasse nach Brasilien vorgeflogen, um dessen Anzüge dorthin zu transportieren. Die Anzüge waren auf dem Nebensitz mitgeflogen, für den ebenfalls ein Flugticket gekauft worden war. Kosten pro Sitz: 3000 Euro, quel scandale!
Was jedoch nicht erklärt wurde: Spätestens seitdem der russische Oppositionsführer Alexei Nawalny durch seine Unterhose (Macron soll übrigens die Marke le slip français tragen) vergiftet worden war, musste auch die Kleidung des Präsidenten überwacht werden und hatte somit einen eigenen Bodyguard.
Es riecht nach Macht
Bei meinen Begegnungen mit dem Präsidenten war mir jedoch nicht die Kleidung aufgefallen, sondern etwas anderes: Sein Geruch. Da unser erstes Treffen früh am Morgen stattfand, dachte ich mir zunächst nicht viel dabei. Er hatte wohl wie ich gerade geduscht und etwas Parfüm aufgetragen. Mein erster Eindruck wurde beim folgenden Treffen aber bestätigt. Kaum hatte mir sein Amtsdiener die Tür geöffnet und mich angekündigt, da konnte ich schon das Parfüm des Präsidenten riechen, obwohl ich in dem riesigen Büro noch mindestens zehn Schritte zurücklegen musste, um bis zu seinem imposanten Schreibtisch zu gelangen.

Erst einige Wochen später kam mir dieses olfaktorische Erlebnis wieder in Erinnerung, als ich ein Interview mit dem Journalisten Olivier Beaumont im Fernsehen sah, der in seinem Buch La Tragédie de l’Élysée, dem Parfüm des Staatsoberhauptes ein ganzes Kapitel widmete. Er erklärt darin, Emmanuel Macron habe immer einen Flacon seines Parfüms in Reichweite, um sich nachzuparfumieren: „Les huissiers ont fini par ne plus s’étonner de la fragrance qui traverse les salons de l’hôtel d’Évreux“, so der Journalist in dem Kapitel Ça sent le président. Vor dem Ministerrat könne man den Präsidenten schon riechen, bevor er wirklich anwesend sei. Man erfährt sogar, um welche Marke es sich handelt: Eau sauvage von Dior. Ich muss zugeben, dass mich diese Information doch sehr überraschte, da ich nicht mit einem handelsüblichen Duft gerechnet hatte, sondern einer eigens für ihn hergestellten Kreation.
Seit einem Monat habe ich einen neuen Nachbarn, der sich jeden Morgen mit Eau sauvage besprüht, bevor er zur Arbeit geht. In meinem Treppenhaus riecht es dann immer wie im Elysée Palast.
Der Autor

Der in Hessen geborene Frank Gröninger wohnt seit 1993 in Paris, wo er als Lehrer für Deutsch und interkulturelle Beziehungen unter anderem für das französische Außenministerium und Sciences Po, dem Institut für politische Wissenschaften arbeitet. 2021 erschien sein Buch „Douce Frankreich: die Abenteuer eines Deutschen in Paris“, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch, 2022 sein zweites Buch, „Dessine-moi un(e) Allemand(e)“.
