Auswärtige Kulturpolitik:
Rettet die deutsch-französische Freundschaft vor dem Sparstift!

„Das deutsch-französische Verhältnis, das in Reden oft gelobt wird, droht im Klassenzimmer zu erlöschen“, warnten Roland Theis und Venance Raymondis-Serventi letzte Woche in „Le Figaro“. Oliver Keymis mahnt seinerseits eindringlich: Rettet die deutsch-französische Freundschaft vor dem Sparstift!
26. Mai 2024. Einen Tag, bevor Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zum Deutschlandbesuch eintraf, stellte der damalige CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz an die noch amtierende Ampel-Bundesregierung diese Forderung: „Es wäre (…) ein starkes Zeichen der Bundesregierung in den Tagen des Besuchs zu entscheiden, die Goethe-Institute in Frankreich – anders als geplant – nicht zu schließen.“ Das sollte Macron gefallen. Und uns, den Deutschland-Frankreich-Freunden, gefiel es auch. Ausdrücklich und geradezu demonstrativ schlug Friedrich Merz zudem vehement vor, den Schüleraustausch zwischen Deutschland und Frankreich zu verstärken: „Der wichtigste Pfeiler eines guten und freundschaftlichen Miteinanders unserer beiden Länder ist die junge Generation.“ Gut gebrüllt, Löwe! Damit stimmte Merz in den lauten Chor der Protestierenden ein, die sich bereits 2023 in Zeitungsaufrufen und Offenen Briefen mit großem Engagement gegen die Schließung von Goethe-Instituten als Sparmaßnahme ausgesprochen hatten.
Das dritte Standbein deutscher Außenpolitik
Was war geschehen? Nachdem die Koalitionsparteien 2022 – in letzter Minute – eine Aufstockung des Etats für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik beschlossen hatten, griff das Auswärtige Amt im folgenden Jahr erneut zum Sparstift. Dabei hatte erst wenige Monate zuvor die Nationale Sicherheitsstrategie lautstark versprochen: „Wir stärken unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und die Wissenschaftsdiplomatie, die unseren Austausch mit der Welt über Werte und Interessen vorantreiben und damit Deutschlands Chancen zur Vernetzung und Verständigung sicherstellen.“ Mit dieser Sparentscheidung eiferte auch Außenministerin Annalena Baerbock ihrem grünen Vorbild Joschka Fischer nach. Leider. Dieser hatte als Außenminister im Jahr 2004 ebenfalls deutliche Kürzungen in der auswärtigen Kulturpolitik angekündigt. Der Anteil des Etats für Kultur sank damals von 32,8 % auf 25 %. Trotz zahlreicher Proteste führten diese Pläne zu Schließungsüberlegungen für mehrere Goethe-Institute und deutsche Auslandsschulen. Am Ende fanden sie jedoch nicht statt – anders als heute.
Unter Fischers Nachfolger, Frank-Walter Steinmeier, wurde die Förderung für Goethe Institute und Auslandsschulen stabilisiert und teilweise sogar noch erhöht. Steinmeier betonte mehrfach, dass Kulturpolitik das „dritte Standbein“ der Außenpolitik sei – neben klassischer Diplomatie und Außenwirtschaft. Der Außenminister hatte – auch strategisch – Recht und er hatte auch das beachtliche Standing, 2023, als Bundespräsident, die geplanten Kürzungen mehrfach und deutlich, insbesondere mit Blick auf die bedrohten Goethe-Institute, zu kritisieren: Gerade in Zeiten internationaler Krisen müsse die Kulturarbeit im Ausland gestärkt und nicht geschwächt werden, betonte Steinmeier. Und wo der Bundespräsident recht hat, hat er recht.
„Baerbocks Verachtung“
Wie so viele andere ja auch: Jörg Bong, der als Jean-Luc Bannalec gerade den 15. Kommissar-Dupin-Krimi vorbereitet, schoss mit scharfen Worten am 9. Oktober 2023 aus der Deckung der Süddeutschen Zeitung heraus unter der Überschrift „Baerbocks Verachtung“: „Die ‚strategische Neuorientierung‘, die das Auswärtige Amt im Munde führt, da es im Osten Europas und auch in Asien neue Institute verspricht, ist schal. Denn was Außenministerin Annalena Baerbock mit Füßen tritt, ist nichts weniger als das europäische Erbe und insbesondere die deutsche-französische Freundschaft, auf die sich nicht nur ihr auswärtiges Haus, sondern unser demokratisches Deutschland gründet. Ein immenser Schaden der Kategorie ‚historisch‘. Der bedauerlicherweise ins große Bild passt: Die gegenwärtige Regie im Auswärtigen Amt – wie überhaupt beinahe die gesamte deutsche Regierung – hat die deutsch-französischen Beziehungen in so vielem so heftig demoliert wie noch keine zuvor.“

Deutlich konzilianter im Ton, aber ebenso entschlossen, nahm die Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. unter ihrem Präsidenten Jochen Hake Stellung – im Namen von rund 40 deutsch-französischen Institutionen, Vereinen und Verbänden sowie etwa 400 Persönlichkeiten – in dem am 9. Oktober 2023 veröffentlichten „Offenen Brief“ an die damalige Bundesregierung: „Mit Bestürzung nehmen die unterzeichnenden Organisationen und Personen zur Kenntnis, dass der „Neuausrichtung“ des Vereins der Goethe-Institute drei Büros in Frankreich zum Opfer fallen sollen: Bordeaux, Lille und Straßburg. Mit diesem Beschluss ‚korrigiert‘ die Zentrale in München die von ihr erst 2022 vorgestellte „Vision und Strategie 2026 – Mobilität und Migration“, in der von einer Verringerung der Präsenz in unserem wichtigsten Nachbarland nicht die Rede war. (…) Die Goethe-Institute sind ein zentrales Element für Deutschland, Austausch und Begegnungen mit Deutschen in Frankreich zu ermöglichen sowie Interesse für Deutschland bei Französinnen und Franzosen zu wecken. (…) Eine Neuausrichtung darf aber nicht auf dem Rücken der deutsch-französischen Partnerschaft ausgetragen werden, die von beiden Regierungen immer wieder als zentral für die europäische Souveränität bezeichnet wird. Die Unterzeichnenden sehen deshalb in der jetzt vorgestellten ‚Neuausrichtung‘ das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt.“
Nur einen Tag zuvor, am 8. Oktober 2023, hatte der Frankreich-Experte Nils Minkmar unter dem provokanten Titel „Fuck you, Goethe“ ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung seinen „Aufschrei“ veröffentlicht. Er endete mit den Worten: „Dieser Beschluss des deutschen Außenministeriums ist eine kulturpolitische und strategische Katastrophe.“

Und jetzt, 2025, was folgt aus alledem? Nichts, leider, oder eben nur das große „Déjà-vu“! – Auswärtige Kulturpolitik? Strategie? – Alles Fehlanzeigen! Bis heute stellt sich der amtierende CDU-Außenminister Johann Wadephul leider nicht neu auf. Johann Wadephul ist Bundesaußenminister und spart genau da weiter, wo seine vielkritisierte Amtsvorgängerin vorzeitig aufhören musste. Wer also in der Erwartung war, dass nach den klaren Ansagen des CDU-Oppositionsführers aus dem Jahr 2024 diese „katastrophale kulturpolitische und strategische Fehlentscheidung“ der Ampel mit einem schnellen „Federstrich“ korrigiert würde, sieht sich heute – unter Bundeskanzler Merz – getäuscht.
Alles dicht!
Alle geschlossenen Goethe-Institute bleiben dicht. Egal was man noch vor einem Jahr lautstark dazu gesagt und gefordert hatte. Symbolträchtige Orte wie Lille, wo vor 135 Jahren, am 22. November 1890, General Charles de Gaulle (!) geboren wurde – heute auch Frankreichs größte Universitätsstadt mit 80.000 Studierenden! Dicht.

Oder Strasbourg, ein ganz besonderer Ort im komplexen deutsch-französischen Verhältnis. Dicht. Und auch Bordeaux, eines der erfolgreichsten Goethe-Institute in Frankreich mit beeindruckender Resonanz – alles dicht. Dazu Turin (eine von Europas Gründungsstädten mit großem Mythos), Triest, an der Schnittstelle zum Balkan gelegen, Genua, genauso wichtig als Hafenstadt wie Rotterdam in den Niederlanden. Oder auch in Osaka in Japan; überall dort sind unsere Goethe-Institute heute geschlossen! Und sogar in Trumps wirren Zeiten macht Deutschland sein einziges großes Kulturinstitut in Washington dicht. Als ob wir keinen solchen Kultur-Brückenkopf, gerade in diesen historischen Zeiten, genau dort, in den USA bräuchten!
Keine dieser Schließungen ist politisch begründbar, geschweige denn haushälterisch relevant. Es ist eine Politik, die verdrossen macht. Versprochen – gebrochen.
Genau aus solchen Gründen wenden sich die Menschen immer deutlicher von den etablierten politischen Kräften ab. In Deutschland, in Frankreich, wie in den Niederlanden, in Italien oder in den USA. Trotz Frust, die engagierte Basis liebt und lebt aktiv die deutsch-französische Freundschaft! Und für den von Friedrich Merz geforderten verstärkten Schüleraustausch stehen 2025 nicht ausreichende Mittel zur Verfügung. Einige engagierte Akteure aus deutsch-französischen Städtepartnerschaften berichten von abgelehnten Anträgen, da das Deutsch-Französische Jugendwerk an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Frust auf ganzer Linie, die Basis mosert verständlicherweise, meist noch leise. Und versucht trotzdem, weitere Schüleraustausche auch 2026 zu organisieren.
Geld muss her!
Frankreich ist kaum noch in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden oder einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Die daraus resultierende Misere wird für uns alle leider immer deutlicher sichtbar. Auch wenn sich das deutsch-französische Verhältnis in jüngster Zeit stellenweise verbessert haben mag, bleibt klar: Gerade mit Blick auf die grenzüberschreitend aktive Zivilgesellschaft wurde bisher noch zu wenig getan, um die über die Grenzen hinweg verbundenen Bürgerinnen und Bürger so zu unterstützen, wie sie es sich wünschen. Der Bedarf ist groß, die Begeisterung wartet nur noch auf ein Signal der Politik, um sich endgültig Bahn zu brechen! Mindestens müsste der Bürgerfonds so schnell wie möglich von derzeit fünf auf zehn Millionen Euro verdoppelt werden. Diese aus dem Aachener Vertrag von 2019 hervorgegangene Projektförderung für zivilgesellschaftliche Initiativen ist eines der effektiven Elemente des Vertrags – doch sie ist bereits vielfach überzeichnet und bräuchte ganz dringend mehr Geld für eine verstärkte und neu zu belebende deutsch-französische Verständigung. Wir – pardon, die Bundesregierung – muss handeln, bevor es zu spät ist.
Der Autor

Oliver Keymis war Abgeordneter des Landtags Nordrhein-Westfalen von 2000 bis 2022 und dessen Vizepräsident von 2006 bis 2022. 2010 gründete er die deutsch-französische Parlamentariergruppe im Landtag NRW. Er leitete sie bis 2022. Seit 45 Jahren ist Oliver Keymis regelmäßig in der Bretagne und in Frankreich unterwegs. Heute lebt er zeitweise im südlichen Finistère und im Rheinland.
