„Verfluchtes Schweigen“:
Kulinarisches, Jägerlatein und drei Morde

Politiker schreiben normalerweise politische Bücher. Der Vorsitzende der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Roland Theis, hat stattdessen einen Krimi veröffentlicht. Oliver Keymis hat das Buch für uns gelesen.
Und wieder einer mehr: die erfolgreichen Regionalkrimis, die sich überall in Europa mit immer neuen Kriminal-Varianten in die Regale der Buchhändler hineinschreiben, sind an Zahl und Motivlagen bereits unübersehbar. In Deutschland ganz besonders beliebt sind seit einigen Jahren auch Krimis, die in den Provinzen unseres großen Nachbarlandes Frankreich angesiedelt sind, ob Provence (Cay Rademacher, Alexandra von Grote, Pierre Martin und einige andere), oder Périgord (Julie Dubois), Normandie (Benjamin Cors), Korsika (Vitu Falconi) und natürlich, ganz vorne in den Millionenabsatz-Zahlen: Kommissar Dupin. Mit den Bretagne-Krimis, geadelt durch die Komplettverfilmung aller 14 bisher erschienen Romane bei der ARD, gilt Jean-Luc Bannalec, alias Jörg Bong, als einer der erfolgreichsten deutschen Autoren dieses weitverbreiteten Genres.
Die Bücher locken die Touristen in die meist liebevoll beschriebenen Regionen. Und die Leser schwelgen immer aufs Neue in den Büchern, wenn der Urlaub vorbei, aber die Reise-Sehnsucht noch nicht gestillt ist. So ergänzen sich Autor und Leser reziprok und die Regionen freuen sich über den vermehrten touristischen Zuspruch.
Ein Politiker greift zur Feder
Die Bücher gleichen sich sehr: Die Einbände sind fast immer blau, und die Titel bestehen manchmal nur aus einem, meistens aber aus zwei Wörtern. So auch der soeben im Schaumberg-Verlag erschienene Roman-Erstling eines noch jungen Autors, Roland Theis (45): „Verfluchtes Schweigen“.

Theis ist Jurist, studierte Politikwissenschaften und ist sowohl Deutscher als auch Franzose. Zunächst verdiente er sein Geld in der saarländischen Politik, seit 2009 als Landtagsabgeordneter, als Generalsekretär seiner Partei und auch schon als Staatssekretär im Ministerium der Justiz und im Ministerium für Finanzen und Europa, sowie Bevollmächtigter des Saarlandes für Europa. Seit 2025 vertritt er für die CDU im Deutschen Bundestag seine saarländischen Wähler in Berlin und ist dort auch bereits Vorsitzender der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Und genau die Phase, wo er wiederum nur als Landtagsabgeordneter in Saarbrücken fungierte und noch nicht in Berlin war, nutzte der umtriebige Frankreichfreund und passionierte Jäger für eine kriminalistische Fingerübung und platzierte seinen Erstling treffsicher in die tiefste und sicher auch eine der schönsten französischen Provinzen: nach Figeac, in Okzitanien, im Département Lot. „La France profonde“, wo Tradition und Heimat in enger Verbindung empfunden und gelebt werden. Dass Politiker fiktionale Bücher schreiben, ist übrigens in Frankreich keine Seltenheit, bei uns bisher schon.
In Frankreich zu Hause
Figeac, der Ort des Geschehens: 9.750 Einwohner, knapp 400 km östlich von Arcachon am Atlantik – und rund 184 km nördlich von Toulouse gelegen, mitten im sonnenverwöhnten Südwesten des Hexagons, wie die Franzosen ihr schönes Land auch nennen. Dahin verschlägt es den jungen, ehrgeizigen Pariser Kommissar Emile Goudeau. Nicht freiwillig natürlich, der Politiker Theis gönnt seiner Figur eine politische Exposition, die neugierig macht: Seine Schwester, Bernadette Goudeau (der Vater war Chirac-Fan und vor allem Gaullist) wurde soeben zur Staatssekretärin im Pariser Innenministerium befördert und will ihren in der Hauptstadt ermittelnden Bruder aus „Sicherheits-(=Karriere-)Gründen“ aus dem „Schussfeld“ nehmen, bevor etwas schiefgeht. Erfolglose Ermittlungen würden sogleich der politisch bedeutsamen Schwester des Kommissars angelastet, so die Befürchtungen, die im immer noch stramm zentralistisch durchregierten Frankreich, in dem die Hierarchien oft noch stärker greifen, als in manch anderen europäischen Ländern, durchaus ihre Berechtigung haben dürften.

Der Autor kennt Frankreich und auch Paris gut, was man der Lektüre durchweg positiv anrechnen kann. Die kleinen Seitenhiebe auf irrwitzig hohe Parkgebühren in Paris, weshalb der Kommissar seinen alten Renault Kangoo außerhalb der Stadt bei einem Freund parkt, die lobenswert schnellen und oft sogar pünktlichen Fernzugverbindungen zwischen der Provinz und der Kapitale, die Hinweise auf politische Ränkespiele in Paris mit dauernden Regierungsumbildungen, die jeweils als „politischer Befreiungsschlag“ definiert werden, mit denen sich aber eigentlich nur der jeweils amtierende Präsident politisch etwas Luft verschafft…Der Autor weiß, wovon er erzählt. Umso auffälliger, dass im Glossar, für das man als Nicht-Jäger ja schon dankbar ist, der Schnellzug TGV, als „Train de Grande Vitesse“ erklärt wird, obwohl er „Train à Grande Vitesse“ heißt. Kleinigkeiten, die aber deshalb auffallen, weil Theis sehr präzise beschreibt und offensichtlich auch dort zuhause ist, wo sich sein Romanheld tummelt.
Von Jagd und kulinarischen Genüssen
In Paris, in Cahors (Hauptstadt des Département Lot), und auch in Figeac, wo drei mysteriöse Morde an drei Jägern, die alle im gleichen Jagdverein und auch im Stadtrat Mitglied sind, den Ermittler nicht nur auf die Jagd nach dem Täter, sondern, da er auch Jäger ist, sogar auf richtige Saujagd treibt. Für Nicht-Jäger eröffnen ganze Passagen des Romans interessante Einblicke in die Jagd-Kultur, bekommen Hege und Pflege ihr Recht und die industrielle Fleischproduktion ihre Abreibung. Das ist durchaus so erhellend wie einleuchtend und wer bisher noch nicht weiß, was „rote Arbeit“ ist, der soll es sich in diesen lehrreichen Passagen vom CDU-Mann Theis erklären lassen.
Die Geschichte jedenfalls verträgt so manchen interessanten Umschwung, weist plötzlich auf eine Hippie-Kommune und deren zwielichtigen Anführer ebenso hin, wie auf einen liebenswerten Witwer, der seiner verstorbenen Frau Crystelle ihren letzten Wunsch erfüllte: die Eröffnung einer kleinen, paradiesisch gelegenen Pension, mit verwunschenem Garten und Pool an der Stadtmauer Figeacs gelegen – und mit einer Küche versehen, in der der zugewanderte Elsässer Jean-Michel Andlauer seine heimischen Kochkünste mit den okzitanischen Finessen zu kulinarischen Höhepunkten vereint. Da schwelgt der Autor in nachvollziehbar köstlich beschriebenen Genüssen und hat auch einige, sehr zuverlässige Wein-Hinweise lesenswert gesetzt. So wird er über Strecken dem vielversprechenden Untertitel „ein kulinarischer Südwest-Frankreich-Krimi“ durchaus erfreulich gerecht. Dass sich zum Ende hin die Geschichte, die zwischendurch manchmal auch etwas auf sich warten lässt, verlässlich und kriminalistisch durchaus gut nachvollziehbar und erfreulicherweise auch überraschend zusammenschnürt, sei vermerkt.
Figeac, 12. Mai 1944
Besonders interessant sind auch die historischen und politischen Zusammenhänge, die Roland Theis in seinen Krimi hineinflechtet und die mit dem Zweiten Weltkrieg, der Kollaboration und vor allem dem menschenverachtenden Horror, den die deutschen Nazischergen in SS- oder Wehrmachtsuniform in unseren Nachbarländern verbreiteten, in erschreckender Verbindung stehen. In Frankreichs Südwesten haben diese Massaker und Deportationen im Jahre 1944 unvergessene Namen: „Tulle“, „Oradour“ und auch „Figeac“. Am 12. Mai 1944 wurde das kleine beschauliche Figeac Opfer einer Razzia der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“: 442 Männer und acht Frauen wurden verschleppt und über Montauban schon bald in die KZs Dachau, Neuengamme und Ravensbrück deportiert. 170 Menschen kehrten nicht mehr zurück.

Dass Roland Theis mit seinem Roman diesem grausamen Geschehen auf einfühlsame Weise ein Denkmal setzt und somit ein Licht auf diese, auch für Frankreich selbst nicht unkomplizierte Geschichte wirft, ist verdienstvoll und erklärt einmal mehr, dass man dem doppelsinnigen Titel des Buches „Verfluchtes Schweigen“ eben durchaus verschiedene Aspekte zuordnen kann, die das Schweigen erzeugt haben, welches so manches historische Ereignis schließlich zu verdecken droht.
Warum nicht, wie so manchen Verdacht, auch mal so manchen historischen Hinweis auf Geschehnisse lenken, die selbst im engeren deutsch-französischen Kontext sicherlich nicht allen Frankreich-Freunden vertraut sein dürften? Dass auch das zentralistische Frankreich, wie in den Kriegszeiten das kollaborative Vichy-Regime, selbst mit seinen Provinzen sehr eigene und eigenartige, manchmal auch sehr erschreckende Geschichten durchlebte, die bis heute Spuren der Erinnerung und manchmal sogar des Argwohns in den Provinzen hinterlassen haben, auch dies lässt sich aus dem Roman von Theis herauslesen.
Ein Stück Gegenwarts-Frankreich
Über den Kriminal-Fall selbst breiten wir hier nun aus guten Gründen den Mantel des Schweigens. Wer mehr wissen und das Buch lesen will, sollte es kaufen. Die deutsch-französischen Beziehungen pflegt der Autor ohnehin auf allen Ebenen, was auch die Lektüre für die deutsch-französischen Freunde besonders interessant macht. Dass er nicht den spannendsten Krimi überhaupt verfasst hat, dürfte Roland Theis bewusst sein. Auch von großer Literatur kann, wie bei den meisten dieser Regional-Krimis sonst auch, nicht die Rede sein. Darum geht es aber auch meistens weder den Autoren dieser Romane, noch ihren Lesern. Es geht vor allem um Unterhaltung.
Dass er uns allerdings, mit kulinarisch lesenswerten Einsprengseln und schönen Landschaftseindrücken, in ein Stück Gegenwarts-Frankreich führt, das eben immer mit seiner, mit unserer Geschichte in überraschend engem Kontakt steht, das lässt uns der Autor Roland Theis in seinem Roman „Verfluchtes Schweigen“, erschienen im Schaumberg-Verlag, auf rund 216 Seiten, inklusive Prolog und Epilog, erfahren und dafür gebührt ihm ein freundlicher Dank und eine Empfehlung: Lesenswert!
Der Autor

Oliver Keymis war als Kultur- und Medienpolitiker Abgeordneter des Landtags Nordrhein-Westfalen von 2000 bis 2022 und dessen Vizepräsident von 2006 bis 2022. 2010 gründete er die deutsch-französische Parlamentariergruppe im Landtag NRW. Er leitete sie bis 2022. Seit 45 Jahren ist Oliver Keymis regelmäßig in der Bretagne und in Frankreich unterwegs. Heute lebt er zeitweise im südlichen Finistère und im Rheinland.
