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Wiederaufbau von Notre-Dame de Paris

„Ich werde immer mit einem gewissen Stolz darauf schauen“

Ein Gespräch mit Barbara Schock-Werner

Notre-Dame im Mai 2020 (Copyright: Depositphotos)

9. Januar 2024

Hand in Hand arbeiteten deutsche und französische Handwerker am Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame nach der Brandkatastrophe im April 2019. Vier große beschädigte Fenster der Kathedrale wurden in der Kölner Dombauhütte restauriert. Ein Gespräch mit der ehemaligen Kölner Dombaumeisterin und Koordinatorin für deutsche Hilfen beim Wiederaufbau von Notre-Dame, Barbara Schock-Werner.

dokdoc: Frau Schock-Werner, erinnern Sie sich noch, wo Sie am 15. April 2019 waren, als Sie vom Brand in Notre-Dame erfahren haben? Und was waren damals Ihre ersten Gedanken?

Barbara Schock-Werner: Ja, natürlich erinnere ich mich, es war am frühen Abend. Ich saß vor dem Fernseher und dann kamen die schrecklichen Nachrichten und dann auch schon die ersten Bilder. Ich war absolut entsetzt, vielleicht mehr als „normale Menschen“, weil ich ja die Situation in Notre-Dame oder überhaupt in Kathedralen kannte.

dokdoc: Sie waren ja selbst viele Jahre Dombaumeisterin des Kölner Doms. Im Mittelalter wurden Kirchen nicht selten durch Brände zerstört. Rechnen Fachleute auch heute noch damit, dass so etwas passieren kann?

Barbara Schock-Werner (Copyright: Barbara Schock-Werner)

Barbara Schock-Werner: Nein, früher wurden Brände immer durch Blitzschlag ausgelöst, und bei katholischen Kirchen durch Brände, die in Beichtstühlen ausbrachen, weil dort unsachgemäße Heizöfelchen verwendet wurden. Seit dem 20. Jahrhundert verfügen jedoch alle Kirchen über Blitzableiter und Brandschutzeinrichtungen. Der Kölner Dom hat auch ein Leerrohrsystem, was Notre-Dame anscheinend nicht hatte.

dokdoc: Wenn Sie sagen, Notre-Dame hatte das wahrscheinlich nicht, kann man sagen, dass die Franzosen an der Stelle etwas fahrlässig waren?

Barbara Schock-Werner: Ich weiß nur, dass der Vorgänger von Philippe Villeneuve ein Brandschutzkonzept vorgelegt hat, das aber nicht umgesetzt wurde. Aber ich kenne die Kathedrale und die Mitarbeiter nicht gut genug, um aus der Ferne zu sagen, dass sie fahrlässig waren, aber offenbar gab es kein Leerrohrsystem an der Kathedrale. Deshalb musste die Feuerwehr von Kränen, von Hubwagen aus löschen. Andererseits hatten sie immerhin einen Löschroboter, der ins Innere fahren konnte, auch wenn Einsturzgefahr bestand und im Inneren löschen konnte. Das finde ich sehr bewundernswert, weil wir das, glaube ich, nicht haben.

dokdoc: Sie waren einige Tage nach dem Brand an der Unglücksstelle. Was haben Sie gedacht, als Sie vor den Trümmern standen und das Ausmaß der Katastrophe mit eigenen Augen sahen?

Barbara Schock-Werner: Ich war total entsetzt. Von außen hat man ja gar nicht so viel gesehen. Die Fassade – das ist ja ein halbes Wunder – hatte nicht einmal schwarze Rußflecken, aber wenn man dann reinkam und die eingestürzten Gewölbe und den ganzen Schutt von Steinen und verbrannten Balken im Inneren sah, war das schon ein ganz schrecklicher Anblick. Ich hätte nicht vermutet, dass die Reparaturarbeiten so schnell gehen würden, wie sie durch den massiven Einsatz des Staates auch nun tatsächlich gegangen sind.

dokdoc: Stichwort: staatliches Engagement. Im Dezember 2024 soll Notre-Dame wiedereröffnet werden. Wie bewerten Sie die Leistung der Franzosen?

Barbara Schock-Werner: Ganz, ganz große Bewunderung! Ich glaube, dass Philippe Villeneuve als leitender Architekt zusammen mit seinem Team einen wunderbaren Job gemacht hat. Man muss aber auch sagen, dass bei dieser Baustelle das Geld keine Rolle spielt. Die großen Summen standen sofort zur Verfügung und heute arbeiten rund 500 Menschen auf der Baustelle. Das kann man ohne diese massiven Finanzmittel gar nicht machen.

dokdoc: Geld spielte also keine Rolle: Inwieweit konnte Deutschland dann überhaupt helfen?

Barbara Schock-Werner: Nach dem ersten und dem zweiten und dem dritten Besuch wurde mir immer klarer, wo wir helfen könnten. Um den oberen Bereich zu stabilisieren, hat Philippe Villeneuve sehr schnell alle Fenster ausbauen lassen, um die Fensteröffnungen auszusteifen. Ich wusste: Alle Glasfenster sind wahrscheinlich brandgeschädigt und in Deutschland gibt es große Erfahrung und Kompetenz in der Glasrestaurierung, und so ist die Idee entstanden. Am Ende konnte tatsächlich die Glasrestaurierungswerkstatt des Kölner Doms die Arbeit übernehmen. Der Leiter unserer Glaswerkstatt kannte eine französische Kollegin, die gerade keine Arbeit hatte, die Elsässerin Élodie Schneider. Wir haben Frau Schneider für das Projekt angestellt. Sie war ein echter Glücksfall, weil sie als Elsässerin sowohl Deutsch als auch Französisch spricht und sehr gut zwischen Köln und Paris vermitteln konnte.

Notre-Dame, 19. April 2019, 21h21 (Copyright Wikimedia Commons)

dokdoc: Wie viel Geld konnten Sie für die Restaurierung aufbringen und wie kam es zusammen?

Barbara Schock-Werner: Das ist vor allem das Verdienst von Armin Laschet, der in seiner Funktion als Bevollmächtigter für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen systematisch herumtelefoniert und Geld gesammelt hat. Aber auch deutsche Bürger haben von Anfang an angerufen und gesagt, ich möchte helfen und spenden. Das Geld ist über das Kulturstaatsministerium bei der deutschen UNESCO-Kommission gelandet. Gleichzeitig hat der Zentral-Dom-Bauverein in Köln schon drei Tage nach dem Brand einen Spendenaufruf gestartet: Knapp 200 000 Euro kamen zusammen. Am Ende sind insgesamt etwa 700 000 Euro zusammengekommen.

dokdoc: Wie erklären Sie sich denn diese große Summe eigentlich, gerade jetzt, angesichts der Tatsache, dass die christlichen Kirchen stark an Bedeutung verlieren?

Barbara Schock-Werner: Weil Kirchen einfach Bauwerke sind, die die Leute heute noch beeindrucken.

dokdoc: Deutschland war für die Reinigung und Restaurierung von vier Glasfenstern aus dem Langhausobergaden zuständig. Können Sie uns erzählen, wie das geschehen ist?

Barbara Schock-Werner: Die Fenster kamen in fest verschlossenen Kisten nach Köln – man fürchtete die Belastung mit Blei. Es waren über 30. Jede einzelne Scheibe musste erst gereinigt werden. Ernst danach konnten die Fenster in die Glaswerkstatt kommen und restauriert werden – nach Pariser Vorgaben.

dokdoc: Wie lange hat Ihr Team dann an den Gläsern gearbeitet?

Barbara Schock-Werner: Die Fenster waren genau ein Jahr in Köln, was ja bei vier großen Fenstern schon ambitioniert war. Es wurden auch noch andere freie Mitarbeiter hinzugezogen, um das zu schaffen.

dokdoc: Und dann wurden sie wiedereingesetzt. Kann man sie schon sehen?

Barbara Schock-Werner: Ja, und das war auch der Wunsch der Franzosen, dass wir die Fenster nicht nur restaurieren, sondern auch wieder einsetzen. Für unser Team war das etwas ganz Besonderes. Die Arbeit selbst war nicht so schwierig. Abgesehen von der Verschmutzung, die erheblich war, auch weil die Fenster schon 60, 70 Jahre drin waren, gab es Sprünge und so weiter. Aber rein technisch war es keine extrem schwierige Aufgabe. In Absprache mit Paris wurde so viel Original wie möglich drin gelassen. Auch wenn sie gesprungen waren, wurden die Glasstücke wieder geflickt. Nur in ganz wenigen Fällen mussten neue eingesetzt werden.

dokdoc: Sie haben das Glas dafür selbst hergestellt?

Copyright: Greven-Verlag

Nein, in Deutschland kommt das Glas aus Waldsassen. Die Gläser wurden farblich nach der Stelle ausgesucht, wo sie waren. Das sind ja auch sehr leuchtende Farben, und die wurden dann auch so bemalt, dass sie nicht anders aussehen als die alten Stücke.

dokdoc: Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Barbara Schock-Werner: Sehr und wir haben auch große Komplimente aus Paris bekommen.

dokdoc: Glauben Sie, dass das Projekt auch zu einer Annäherung der beiden Länder beigetragen hat?

Barbara Schock-Werner: Das hoffe ich. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Frank Riester hatten ja ein sehr gutes Verhältnis. Und auch Macron und Merkel haben sich gut verstanden. Wie das heute ist, das wage ich kaum zu beurteilen, und das ist, glaube ich, etwas schwieriger. Aber ich habe den Eindruck, dass vor allem auf der zweiten Ebene die Zusammenarbeit schon lange sehr gut funktioniert. Es gibt gemeinsame Fortbildungen, nicht nur in der Restaurierung, sondern auch in anderen Berufsfeldern. Die Abschlüsse werden angeglichen, man versucht, von den guten Ergebnissen der anderen zu lernen und so weiter.

dokdoc: letzte Frage: Ihre Pläne für Dezember 2024?

Barbara Schock-Werner: Vielleicht werde ich eingeladen. Auf jeden Fall werde ich mir die Kathedrale, wenn sie offen ist, wieder anschauen und gucken, wie unsere vier Fenster, also die in Köln restaurierten Fenster wirken. Ich werde immer mit einem gewissen Stolz darauf schauen.

dokdoc: Frau Schock-Werner, vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Andreas Noll

Unser Gast

Barbara Schock-Werner wurde 1947 in Stuttgart in einer schwäbischen Handwerkerfamilie geboren. 1997 wählte sie das Metropolitankapitel der Hohen Domkirche zu Köln als Dombaumeisterin in Köln. 13 Jahre war sie für den Erhalt des Domes verantwortlich. Seit ihrem Ruhestand (2012) engagiert sie sich vor allem für den Erhalt der Römischen Stadtmauer von Köln. Nach dem Großbrand in der Kathedrale Notre-Dame de Paris wurde Schock-Werner von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur Koordinatorin der Hilfe aus Deutschland berufen.

Mehr zum Thema

Armin Laschet / Barbara Schock-Werner: Zurück im Herzen Europas. Notre-Dame de Paris und die deutsch-französische Freundschaft, Köln, Greven-Verlag, 2024.

„Notre-Dame de Paris: Über die deutsche Hilfe beim Wiederaufbau“. Mit Barbara Schock-Werner und Andreas Noll. Franko-viel 55 (21. Dezember 2023), Folge 55 – Notre-Dame de Paris: Über die deutsche Hilfe beim Wiederaufbau – Franko-viel – Der Frankreich-Podcast (podigee.io).

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1 Kommentare/Commentaires

  1. Das ist ein wunderbar motivierender Beitrag zu Beginn des neuen Jahres 2024, zeigt er doch, dass es positives und konstruktives Miteinander zwischen Frankreich und Deutschland gibt – und eben nicht nur die immer wieder herausgestellten politischen Disharmonien.
    Wichtig an diesem Beispiel der an der Restaurierung beteiligten Personen ist zudem die Erkenntnis, dass jede/r Einzelne von uns einen wichtigen Part spielt auf dem Weg zu gemeinsamen Frieden und Fortschritt. In Zeiten des politisch bürgerlichen Fatalismus ein wertvoller Beitrag.

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