Template: single.php

Meinungen

Ist er das Problem?

Markus Kaim, Hans-Dieter Heumann

Emmanuel Macron im Europarat am 01.10.2019 (© Conseil de l'Europe/Candice Imbert).

28. August 2023

Markus Kaim beobachtet seit 2017 die französische Europapolitik. Er findet, Emmanuel Macron fehle es an Ernsthaftigkeit und Beständigkeit. Seine Herangehensweise sei oft eigennützig. Hans-Dieter Heumann widerspricht. Das Konzept der Europäischen Souveränität solle ernst genommen werden.

Markus Kaim

Nach sechs Jahren hat die deutsche Außenpolitik einen sicheren Umgang mit Emmanuel Macron gefunden: Öffentlich wird in Berlin die enge deutsch-französische Zusammenarbeit angesichts der gemeinsamen Herausforderungen, vor denen man stehe, gerne gelobt. Hinter verschlossenen Türen ist eher Augenrollen anzutreffen und eine Haltung, der zufolge man die diversen Initiativen des französischen Präsidenten schon nicht so ernst nehmen müsse: Entweder habe er es nicht wirklich so gemeint, oder aber Macron verliere schnell wieder das Interesse am Thema. Auf jeden Fall könne man sicher sein, dass er die deutsche Politik nicht mit ernsthaften Plänen behelligen werde, die die Ziele, Instrumente, Kosten und Zeitpläne seiner diversen Initiativen konkret ausbuchstabieren und die deutsche Politik unter Druck setzen würden, sich mit diesen im Detail auseinanderzusetzen.

Markus Kaim von der SWP (© Markus Kaim)


Denn Unernsthaftigkeit, Sprunghaftigkeit und Unbestimmtheit ziehen sich (leider) wie ein roter Faden durch die Amtszeit des französischen Präsidenten und verhindern eine substantiellere Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin. Alleine aus dem Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ließen sich zahlreiche Beispiele für dieses Phänomen finden:

Im September 2017 schlug Macron die „Europäische Interventionsinitiative“ (EII) vor, ein neues Format, um europäisches Krisenmanagement außerhalb der EU-Strukturen zu organisieren, mit dem Ziel, schneller gemeinsame Militärinterventionen umsetzen zu können. Die EII sollte dabei diejenigen Länder zusammenführen, die politisch willens und militärisch fähig sind, Einsätze durchzuführen. Seit 2017 hätte es diverse Anlässe gegeben, eine Militärintervention in der europäischen Peripherie zu erwägen, aber von dieser Macron´schen Initiative hat man nie wieder etwas gehört.

Ausgelöst von der Unsicherheit, wie belastbar nach den Erfahrungen mit Präsident Trump die
amerikanischen Nukleargarantien für Europa auf Dauer sein würden, hielt Macron im Februar 2020 an der École de Guerre eine Rede zur französischen Nukleardoktrin. Dabei führte er aus, dass die alleinige Kommandogewalt des französischen Staatsoberhaupts keineswegs unvereinbar mit „unserer unerschütterlichen Solidarität mit unseren europäischen Partnern“ sei.

Vor diesem Hintergrund bot Macron den europäischen Partnern, die auf eine Europäisierung des französischen Nuklearpotenzials gesetzt hatten, einen strategischen Dialog über die atomare Abschreckung an und lud sie ein, an Übungen der französischen Atomstreitkräfte teilzunehmen. Wenig überraschend ist auch dieser Vorschlag ergebnislos versickert.

Schließlich werden die Förderung des militärisch-industriellen Komplexes in Frankreich statt der Schaffung einer wirklich europäischen Rüstungsindustrie, die mangelnde Bereitschaft, über qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik zu diskutieren, oder die Weigerung, eine Europäisierung der Waffenexportkontrollen überhaupt in Erwägung zu ziehen, in weiten Teilen Europas als Anzeichen dafür verstanden, dass Macron zwar große Reden schwingt, aber eine echte europäische Integration im Bereich der Verteidigung nicht in die Tat umzusetzen bereit ist.

Da sich der französische Präsident zudem wenig Mühe gibt, Koalitionen in der EU für seine Initiativen zu bilden, erscheint Macrons Herangehensweise oft eigennützig und als ein weiterer Versuch, Europa im Sinne Frankreichs und seiner Interessen umzugestalten. So wird Macrons Bemühen um ein „souveränes Europa“ in vielen Ländern der EU als Versuch einer untergehenden Macht wahrgenommen, die Stärke und Größe Europas zu nutzen, um ihren schwindenden außenpolitischen Einfluss zu erhalten.

Seit Jahren beklagt sich der französische Präsident darüber, dass die europäischen Partner seine zahlreichen Initiativen nicht angemessen würdigten und diese oft ergebnislos verpufften. Dabei ist er das Problem: Mit etwas mehr Ernsthaftigkeit und Beständigkeit könnte er viel bewegen.

Hans-Dieter Heumann

Deutsche Beobachter der französischen Außenpolitik verstehen diese oft deshalb nicht, weil sie den Wert von Ideen und konzeptionellem Denken in der Außenpolitik unterschätzen. Dabei hatte gerade Deutschland z.B. in der Ostpolitik der siebziger Jahre die Erfahrung gemacht, dass Konzepte sich für bestimmte Epochen als sehr tragfähig erweisen können. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Tragfähigkeit von außenpolitischen Ideen in der französischen Präsidialdemokratie größer ist als in der deutschen Parteiendemokratie, in der sie vom Primat der Innenpolitik zermahlen wird.

Botschafter a. D. Hans-Dieter Heumann (© Hans-Dieter Heumann)

Das im September 2017 vom französischen Präsidenten vorgestellte Konzept der Europäischen Souveränität ist ein sehr ernsthaftes. Es wurde von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nur nicht ernst genommen, obwohl sie kurz zuvor selbst an der Verlässlichkeit des wichtigsten Partners, der USA, gezweifelt hatte. Sie verpasste hiermit die Chance, dieses Thema für eine ernsthafte deutsch-französische Debatte zu nutzen. Emmanuel Macron hatte nichts anderes gefordert, als dass Europa sich seiner Interessen besinnt und handlungsfähiger wird.

Inzwischen findet sich das deutsche Bekenntnis zur Europäischen Souveränität nicht nur im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, sondern auch in ihrer gerade verabschiedeten Nationalen Sicherheitsstrategie. Das Anliegen ist heute aktueller denn je und eine Notwendigkeit. Der Krieg in der Ukraine hat die transatlantische Partnerschaft zwar gestärkt. Die USA aber wenden sich immer mehr ihrer eigentlichen Priorität, der Rivalität mit China zu. Das Verhältnis zu Europa kann sich nach den nächsten Präsidentschaftswahlen im November 2024 grundlegend ändern. Hierauf muss Europa vorbereitet sein.

Die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Paris in der Außen- und Sicherheitspolitik leidet also weniger an der mangelnden Ernsthaftigkeit des französischen Präsidenten als vielmehr an nicht notwendigen Missverständnissen. Hierzu gehört vor allem die deutsche Unterstellung, dass Frankreich sich mit seinem Konzept der Europäischen Souveränität gegen die NATO wende. Vielleicht versichert die französische Regierung in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie von 2022 („Revue nationale stratégique“) gerade deswegen gleich an mehreren Stellen, dass die NATO das „Fundament“, der „Hauptlieferant“ der kollektiven Sicherheit ist, ihre Rolle und die transatlantische Partnerschaft „unverzichtbar“ für die europäische Sicherheit. Die neue französische Sicherheitsstrategie ist freilich in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen worden. Frankreich betont zudem immer wieder, dass das Verhältnis zwischen EU und NATO „komplementär“ ist und sieht sich heute selbst als „Motor der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO“. Ist dieser Wandel nicht vielleicht auch eine Art „Zeitenwende“?

Schließlich ist der Vorwurf nicht haltbar, dass Frankreich zu einer „echten europäischen Integration im Bereich der Verteidigung“ gar nicht bereit ist. Seine Initiativen lassen sich nicht Meinungen alle als „unernst, sprunghaft und unbestimmt“ abtun, ihnen fehlte nur zu oft die deutsche Antwort. Dies gilt auch für französische Angebote, die „europäischen Dimensionen“ der französischen nuklearen Abschreckung auszuloten. Andere Initiativen sind wiederum gerade eine deutsch-französische Gemeinschaftsarbeit, wie z.B. der „Strategische Kompass“, oder die „Freundesgruppe für Qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik“. Es gibt allerdings einen konzeptionellen Unterschied zwischen deutschen und französischen Ansätzen, der eine echte Grundsatzdebatte lohnen würde. Während Deutschland sich mit überholten rechtlichen und institutionellen Fragen der Integration befasst, z.B. ob die europäische Verteidigung gemeinschaftlich oder intergouvernemental zu organisieren ist, setzt Frankreich – jenseits dieser Fragen – auf die faktische Handlungsfähigkeit. Die „Europäische Interventionsinitiative“ ist insofern pragmatisch, als dass sie auch außerhalb der Verträge funktionieren soll und von ad-hoc Koalitionen von Staaten getragen werden soll, die zu bestimmten Interventionen in der Lage sind. Die europäische Verteidigung befindet sich in einer Transformation, die sie handlungsfähiger machen könnte. Der Krieg in der Ukraine hat den europäischen Staaten vor Augen geführt, dass hierfür eine starke europäische Rüstungsindustrie überfällig ist. Deutschland und Frankreich scheinen dies begriffen zu haben und sollten hieraus endlich Konsequenzen für ihre Zusammenarbeit ziehen.


Unsere Gäste

Dr. Markus Kaim ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er war von August 2019 bis Juli 2020 Helmut-Schmidt-Fellow beim German Marshall Fund of the United States in Washington. Er hat als Visiting Scholar am Institute of European, Russian, and Eurasian Studies der Carleton University, Ottawa, als DAAD Professor for German and European Studies an der University of Toronto sowie als Vertretungsprofessor für Außenpolitik und Internationale Beziehungen an der Universität Konstanz gelehrt. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Zürich, an der Hertie School of Governance, Berlin, und der Bucerius Law School, Hamburg.

Der ehemalige Botschafter Dr. Hans-Dieter Heumann war Diplomat unter anderem in Washington, Moskau und Paris, arbeitete in Leitungsfunktionen im Auswärtigen Amt und im Verteidigungsministerium; bis 2015 leitete er die Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Heute ist er Associate Fellow am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)

Dialog Dialogue

1 Kommentare/Commentaires

  1. kaim redet Klartext. Heumann Träumerei. die EU wurde von Frankreich zuerst 1928 vorgeschlagen, mit einem Ziel — französische Kontrolle über Deutschland zu erreichen

    Diese Art von Staatenbund kann eine internationale, Sicherheitspolitik nie entwickeln. Wenn Deutschland Frankreich nicht versteht, ist das eher eine organische Geburtsfehler des Konzepts als eine Frage des Willens

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial