Zeitzeugenstimmen
Zeitzeugenstimmen: Aus dem persönlichen Erleben eines deutschen Diplomaten
16. Januar 2024
Alle deutschen Diplomaten leben mit dem Bewusstsein der zentralen Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen für und in Europa. Aber jeder erlebt dies zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort und mit anderen Rahmenbedingungen. Und die Summe dieser Erfahrungen bestätigt diese Einschätzung, für mich persönlich und für meine Kollegen.
Meine erste Erfahrung mit Frankreich hatte ich als Nummer 2 an der Botschaft in Port-au-Prince (Haiti) von 1987-1989. Es war nach der Diktatur von Vater und dann Sohn Duvalier – bekannt als Papa Doc und Baby Doc – und das Land war von großer politischer Unruhe und gelegentlichen Militärcoups erschüttert. Die Frage einer Evakuierung der eigenen Staatsbürger schwebte im Raum. Die Amerikaner schienen gut vorbereitet, hielten aber ihre Karten eng an der Brust. Ich war zum Höhepunkt eines sehr unruhigen Sommers 1988 als Chargé d‘Affaires in der Pflicht. Der französische Botschafter, Michel de la Fournière, und sein Vertreter, ein Ex-Militär sagten mir zu, sich im Falle einer notwendigen Evakuierung (für die Frankreich auf seinen Inseln in der Karibik Vorbereitungen traf) für eine Mitnahme der deutschen Staatsbürger einzusetzen. Sozusagen im Vorgriff auf diese Lage wurde mir ein Funkgerät der französischen Botschaft ausgehändigt, über das ich in den Funkverkehr der Botschaft und der vor Ort tätigen Vertreter der französischen Gendarmerie eingebunden war. Ich empfand dies als großen Vertrauensbeweis. Es wirkte auf mich wie eine emotionale Unterfütterung unserer engen Arbeitsbeziehungen zu den französischen Kollegen. Freunde erkennt man eben besonders in schwierigen Lagen.
Deutsch-französische Zusammenarbeit in EU und NATO
Bei meinen nächsten Positionen als WEU-Referent und stellvertretender Europäischer Korrespondent im Auswärtigen Amt (zwischen 1989-1992 und zwischen 1992-1997) war die Zusammenarbeit mit Frankreich eine Kernaufgabe. Es war die Zeit des Vertrags von Maastricht und die Zeit von Helmut Kohl und François Mitterrand. Wir arbeiteten engstens zusammen. Diese Jahre waren von größeren inhaltlichen Initiativen und Fortschritten in der EU geprägt, wobei der gemeinsame Impetus unserer beiden Länder die entscheidende Weichenstellung erst ermöglichte.
Weniger vorhersehbar war die Zusammenarbeit mit französischen Kollegen in der NATO, wo die Kooperation mit den USA als dem politisch und militärisch wichtigsten Verbündeten traditionell im Vordergrund stand. Als Gesandter an der deutschen NATO-Vertretung (2008-2010) erlebte ich eine besonders intensive Kooperation mit meinem französischen Kollegen, Marc Abensour, insbesondere im Vorfeld des gemeinsam von Deutschland und Frankreich ausgerichteten Gipfels von Straßburg/Kehl (2009). Hier wurde vor allem die Rückkehr Frankreichs in die militärische Integration der NATO (einst von de Gaulle gestoppt) beschlossen. Das auch persönlich vertrauensvolle Verhältnis zum französischen Kollegen war dabei besonders gefordert, weil unsere beiden Länder inhaltlich oft mit unterschiedlichen Positionen an die aktuellen Themen herangingen. Im Verhandlungsprozess achteten wir allerdings sehr darauf diese anzunähern und auch gemeinsame deutsch-französische Vorschläge zu entwickeln, wenn dies möglich war, z.B. in der umstrittenen Frage des Zusammenwirkens militärischer und ziviler Kapazitäten in der NATO und bei NATO-Missionen. Diplomatie hat eben auch mit handelnden Akteuren zu tun und hier passte es ganz besonders gut, weil das persönliche Verhältnis von einem gemeinsamen politischen Willen zu Fortschritten im Vorfeld des Gipfels gedeckt wurde.
Auch wenn es sich um den Gipfel Straßburg/Kehl handelte, war das deutsche Gegenstück zu Straßburg eigentlich Baden-Baden, wo das festliche Diner der Staats- und Regierungschefs der NATO stattfand. Aber der Name Baden-Baden durfte nicht im Gipfelnamen erscheinen (obwohl in Kehl nur ein Gruppenfoto auf einer Brücke über den Rhein erfolgte). Frankreich wollte dies unbedingt vermeiden. Lange Zeit blieb uns diese Haltung unerklärlich. Erst später erfuhr ich, dass der Präsident de Gaulle während der Maiunruhen 1968 für einige Stunden im französischen Quartier in Baden-Baden Zuflucht gefunden hatte. Das schien unseren französischen Freunden unangenehm.
Der Brexit machte Paris zu einer wichtigen Referenzadresse
Frankreich blieb auch bei weiteren Posten ein enger Partner. Besonders eng war aber die Zusammenarbeit mit meinen französischen Kollegen in Den Haag (2016-2021), Philippe Lalliot und Luis Vassy, im bilateralen sowie im multilateralen Rahmen. Multilateral ging es um die Kooperation bei den internationalen Gerichtshöfen, wo unsere beiden Vertretungen die Koordinierung der sogenannten WEOG-Gruppe (Western European and Others Group) übernommen hatten und eng zusammenwirkten, vor allem im Rahmen der Reformbestrebungen beim Internationalen Strafgerichtshof und bei der Suche eines neuen Chefanklägers für diesen Gerichtshof.
Im bilateralen Bereich, hier sind die Beziehungen unserer Länder mit/zu den Niederlanden gemeint, war ein gemeinsames Auftreten und Agieren von Deutschland und Frankreich kein Selbstgänger. Die Niederlande schauten traditionell nach London bzw. Bonn/Berlin, wenn sie sich in internationalen und europäischen Fragen positionieren wollten und nach Verbündeten suchten. Der Brexit änderte dies nachhaltig; Paris wurde dadurch auch für die Niederlande zu einer wichtigen Referenzadresse, was sich auch in der persönlichen Zusammenarbeit zwischen Präsident Macron und Premier Rutte artikulierte. Das merkten wir natürlich auch vor Ort.
Mit meinen französischen Kollegen hatte ich gemeinsame Auftritte an Universitäten, in Parlamentsausschüssen etc., um den Niederländern unseren Einsatz in und für Europa näherzubringen, nicht zuletzt im Kontext der Corona-Krise.Diese Kooperation stieß bei vielen auf Vorbehalte bzw. Sorgen vor Bevormundung anderer europäischer Staaten durch dieses Duo und war von daher erklärungsbedürftig. Bei einem gemeinsamen Brief von mir und Botschafter Vassy an die Niederländer in der überregionalen Zeitung AD mit einer Aufforderung zu einem europäischen Vorgehen in der Corona-Krise merkte man dies auch aufgrund empörter Reaktionen von einigen Bürgern: Wie kommt es, dass der deutsche Botschafter gemeinsame Sache mit den Franzosen macht, die aus der Sicht einiger Niederländer stets zu viel Geld ausgeben? Dieser Brief wurde kurz vor der Initiative von Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel für einen EU-Corona Fonds geschrieben und war eine Initiative der beiden Botschafter vor Ort, die aber in Berlin und Paris auf Wohlwollen gestoßen war.
Die Reaktion in der politischen Elite der Niederlande war gemischt. Es war für einige unpassend, dass sich beide Botschafter gemeinsam äußerten. Vor allem für jene, die schon bisher die Vorbehalte gegenüber dem gemeinsamen Auftreten der beiden größeren Nationen in der EU propagierten. Andere – die meisten – waren im persönlichen Gespräch erfreut, dass unsere Länder in der Sache Führung zeigten.
Auch bei der Frage der Förderung des Unterrichts von Zweiten Fremdsprachen an niederländischen Schulen haben wir uns zusammengetan und versucht auf die niederländische Bildungspolitik einzuwirken, aber mit überschaubarem Erfolg. Dies war letztlich eine Frage, die durch den Hinweis auf fehlende Haushaltsmittel beantwortet wurde. Die Zusammenarbeit mit dem französischen Kollegen war auch nach außen hin gut erkennbar und vertrauensvoll, so sehr, dass sie sogar vom US-Botschafter, einem Trump-Anhänger, mit Aufmerksamkeit und gelegentlicher missglückter Häme versehen wurde.
Die Interessen der Anderen im Auge behalten
Aus meiner persönlichen Erfahrung bin ich fest davon überzeugt, dass Europa nur mit einer gemeinsamen Stimme eine Bedeutung im globalen Kontext behalten kann. Und dafür bleibt ein deutsch-französischer Schulterschluss essentiell und unabdingbar, vielleicht in Zukunft verstärkt auch zusammen mit Polen und dabei immer auch die Interessen der anderen Partner im Auge behaltend. Deutschland und Frankreich sind zu einer engen Zusammenarbeit geradezu verpflichtet, müssen aber zugleich die Sorgen der Anderen vor einer Art Direktorium ernst nehmen. Kein einfacher Spagat, aber eine Notwendigkeit.
Der Autor
Dirk Brengelmann studierte Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft und Geschichte in Heidelberg und Hamburg. Von 1980 bis 1984 arbeitete er bei der Westdeutschen Landesbank, bevor dann der Eintritt in den Auswärtigen Dienst folgte. Nach mehreren Stationen im In- und Ausland arbeitete er u.a. als politischer Referent in London und Washington, stellvertretender europäischer Korrespondent, stellvertretender Kabinettschef in der NATO und Referatsleiter im Kanzleramt sowie im Auswärtigem Amt. 2008 wurde er Stellvertreter des Ständigen Vertreters bei der NATO und 2010 Beigeordneter Generalsekretär der NATO. Es folgten Einsätze als Beauftragter für Cyber- und Außenpolitik und bilateraler Botschafter in Brasilien und in den Niederlanden.
Nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst im Jahr 2021 nahm Brengelmann einen Lehrauftrag am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bonn an. Er ist zudem Senior Fellow am Centre for Advanced Security Strategic and Integration Studies, Dean des Global Diplomacy Lab in Berlin und Commissioner der International Commission for Missing People.