Template: single.php

Welche Rolle für Deutschland und Frankreich in Europa?

Bedingt führungsfähig? Eine Stimme aus Bulgarien

Vessela Tcherneva

Nikolaj Denkow in Paris, 21. Februar 2024 (Copyright: Imago)

08. März 2024

In unserer Reihe „Bedingt führungsfähig?“ erscheinen Beiträge aus unterschiedlichen Ländern zur Rolle Deutschlands und Frankreichs in Europa. Nachdem Nadiia Koval für die Ukraine den Startschuss gegeben hat, gibt Vessela Tcherneva die bulgarische Perspektive wieder. Sie warnt: Jetzt bloß nicht den deutsch-französischen Motor abwürgen.

Durch die jüngsten Äußerungen von Präsident Macron über die mögliche Entsendung von NATO-Bodentruppen in die Ukraine und die darauffolgende Abfuhr von Bundeskanzler Scholz trat die Uneinigkeit in den deutsch-französischen Beziehungen wieder einmal deutlich zu Tage. Beides löste aber auch heftige Reaktionen in den östlichen EU-Ländern aus, die sich durch eine russische Aggression stärker gefährdet fühlen. In Bulgarien machte der prorussische Präsident Rumen Radev sofort deutlich, dass „die Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine, selbst auf der Grundlage eines bilateralen Abkommens, einen globalen Konflikt bedeutet“. Die westlich orientierte Regierung von Ministerpräsident Nikolaj Denkow sah sich ihrerseits gezwungen zu erklären, dass sie nicht vorhabe, Truppen in die Ukraine zu entsenden. Die Stellungnahme kam wenige Tage nach Denkows Besuch in Paris auf Einladung Macrons – ein Höhepunkt in den bilateralen Beziehungen.

Macrons Schwenk nach Osteuropa

Während bulgarische Politiker traditionell zu Deutschland als wichtigstem Partner und Mentor in Europa aufschauen, hatte Frankreich nie Interesse oder Ambitionen gezeigt, in diese Beziehungen zu investieren. Doch mit dem Abschied Merkels und der zweiten Amtszeit Macrons hat sich das Blatt gewendet. Die französische EU-Ratspräsidentschaft unternahm erhebliche Anstrengungen, um eine Lösung für das bulgarische Veto gegen die Verhandlungen Nordmazedoniens mit der EU zu finden. Außerdem hatte Macron nicht das Erbe der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin auf seinen Schultern zu tragen: Merkel hatte die bulgarischen Regierungen bekanntermaßen immer wieder gegen Bestechungsvorwürfe abgeschirmt. In einem anderen, aber ähnlichen Fall, nämlich dem Ungarns, „wäre der Aufstieg des autokratischen Systems von Premierminister Viktor Orbán in Ungarn ohne die Duldung Berlins nicht möglich gewesen“, wie Piotr Buras und Jana Puglierin es 2021 formulierten. Vor diesem Hintergrund war Macrons Rede auf dem Globsec-Forum in Bratislava (31. Mai 2023) in den osteuropäischen Ohren hoch willkommen.

Aber weder Frankreich noch Deutschland scheinen sich entschlossen für die Belange Bulgariens und der anderen Länder näher an der Front einzusetzen. Die unzureichende Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen durch beide Länder wird von den Entscheidungsträgern mit Bestürzung zur Kenntnis genommen und stellt ein existenzielles Risiko für die prowestliche Regierung Bulgariens dar; das könnte sich in schweren Verlusten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni niederschlagen.

Die ersten Auswirkungen der ukrainischen Verluste auf dem Schlachtfeld haben sich bereits in der öffentlichen Meinung bemerkbar gemacht: Die Befragten einer vom ECFR in Auftrag gegebenen Umfrage in zwölf europäischen Ländern (Februar 2024) zeigten sich pessimistisch, was den Ausgang des Krieges angeht; nur 10 % glauben noch an einen Sieg der Ukraine. Das Gefühl der Unsicherheit aus dem Ausland verstärkt die Wahrnehmung der relativen Schwäche der Union. Die sichtbare Unfähigkeit Frankreichs und Deutschlands, mit dem Obstruktionskurs des ungarischen Premierministers Orbán umzugehen, verwirrt zudem die Öffentlichkeit. Angesichts einer möglichen Rückkehr D. Trumps ins Weiße Haus wird erwartet, dass die beiden als Motor der Europäischen Union bekannten Länder Orbáns Vetoentscheidungen besser kontern.

Variable Koalitionen bilden oder das Tandem reparieren?

Vessela Tcherneva (Copyright: ECFR)

Die beiden Hauptprioritäten der bulgarischen Regierung, die Mitgliedschaft im Schengenraum und in der Eurozone, erklären das Streben nach variablen Koalitionen, die effektiver sind als die bisherige Lobbyarbeit nur mit Deutschland und –seltener – Frankreich. Beim Thema Schengen war der Sinneswandel der Niederlande entscheidend für die Aufhebung der Luft- und Seegrenzen, und ihre Rolle wird auch weiterhin entscheidend sein, wenn Österreich davon überzeugt werden soll, seine Blockade der Landgrenzen aufzuheben.

In der Eurozone, in der Deutschland weiterhin die wichtigste Rolle unter den Mitgliedstaaten spielt, scheint die Schwäche der Ampelregierung eine Lösung aktuell zu erschweren. Aufgrund der Volatilität der Energiepreise hat Bulgarien in letzter Zeit die Inflationskriterien nicht erfüllt, wobei die Inflation mittlerweile einem klaren Abwärtstrend folgt. Bulgarien praktiziert indes seit Jahrzehnten eine sehr strenge Haushaltsdisziplin, und dennoch scheint es für die Regierung in Berlin schwierig zu sein, dem Bundestag zu erklären, dass Bulgarien keine Gefahr für die Fiskalregeln der Eurozone darstellt.

Trotz dieser Anzeichen von Zweideutigkeit oder Schwäche scheint es keine echte Alternative zum deutsch-französischen Tandem in Europa zu geben. Das Weimarer Dreieck, das Polen unter Donald Tusk in die Entscheidungsfindung zu wichtigen Fragen wie der Zukunft der europäischen Verteidigung sowie der Erweiterung und Reform der EU einbezieht, ist ein Gesprächsformat, das man weiter beobachten sollte. Doch anstatt nach neuen privilegierten Beziehungen innerhalb der EU zu suchen, dürften Bulgarien und seine Nachbarn es lieber sehen, dass das Tandem angesichts der Existenzbedrohungen von außen und der illiberalen Gefahren von innen repariert, gestärkt und effizienter wird.

Übersetzung: Norbert Heikamp

Die Autorin

Vessela Tcherneva ist stellvertretende Direktorin des European Council on Foreign Relations. Zu ihren Themenschwerpunkten gehören die EU-Außenpolitik sowie die westlichen Balkanstaaten und die Schwarzmeerregion. Von Januar bis Juli 2022 war sie außenpolitische Beraterin des bulgarischen Premierministers Kiril Petkov und von 2010 bis 2013 Sprecherin des bulgarischen Außenministeriums sowie Mitglied des politischen Kabinetts von Außenminister Nickolay Mladenov. Zuvor war sie Sekretärin der Internationalen Balkan-Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Giuliano Amato und des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.

In Zusammenarbeit mit:

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial