Template: single.php

Welche Rolle für Deutschland und Frankreich in Europa?

Bedingt führungsfähig? Eine Stimme aus Griechenland

George N. Tzogopoulos

Copyright: Depositphotos

4. Juni 2024

In Folge 9 unserer Reihe „Bedingt führungsfähig?“ gibt George N. Tzogopoulos die griechische Perspektive wieder. Für ihn ist klar: Die Koordinierung zwischen Deutschland und Frankreich bleibt ein unabdingbares Parameter in einer Welt aus den Fugen. Fortschritt in der EU kann aber nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen: Eine Reform des Einstimmigkeitsprinzips ist daher nicht wünschenswert.

Griechenland stand wegen vielerlei Themen schon oft im Mittelpunkt der europäischen Aufmerksamkeit. Der Ausbruch der Schuldenkrise im Jahr 2009 hatte zum Beispiel massiven Einfluss auf die europäische Wirtschaftspolitik. Es bestand das Risiko, Griechenland könne aus der Eurozone ausscheiden und einen Dominoeffekt auslösen. In jenen für die griechische Volkswirtschaft schwierigen Zeiten erwies sich die EU, vor allem aber Deutschland und Frankreich, von ausschlaggebender Bedeutung. Obwohl die griechischen Regierungen mit den oktroyierten Sparmaßnahmen nicht einverstanden waren, erachteten auch sie die Hilfskredite der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) als einzig sichere Methode für die Abwendung eines Zahlungsausfalls. Ohne die Entschlossenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Nicolas Sarkozy hätte es wohl kaum in der Eurozone verbleiben können.

Haushaltsdisziplin in turbulenten Zeiten

Aufgrund seiner schwachen Finanzlage hatte Athen keine Gestaltungsmacht in der europäischen Wirtschaftsdebatte und wurde zum Lackmustest einer Sanierungspolitik, die von der EU und dem IWF vorgegeben wurde. So kam es auch nicht zu einer gemeinsamen Verschuldung der EU durch die Ausgabe von Eurobonds, wie der Premierminister George Papandreou 2011 vorschlug. Staatspräsident François Hollande stimmte dem zwar vorläufig zu, aber Angela Merkel war davon nicht begeistert. Die Bundeskanzlerin bestand auf Haushaltsdisziplin. Sie war überzeugt, nur so könne Griechenlands Wirtschaft mittel- und langfristig wieder auf eigenen Füßen stehen. Aus diesem Grund waren die deutsch-griechischen Beziehungen in der Wirtschaftskrise ziemlich angespannt. Frankreich stellte seinerzeit zwar die Bedeutung der Haushaltsdisziplin auch nicht in Frage; es zeigte aber Verständnis für das Leid der Griechen. Daher stand es um die griechisch-französischen Beziehungen in der Folgezeit weit besser.

Migration als Herausforderung

Copyright: George N. Tzogopoulos

Die Entwicklungen in Griechenland wirkten sich auch auf die EU-Migrationspolitik aus. Wegen seiner geografischen Lage trug das Land auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise (2015) eine unverhältnismäßig hohe Last. Gemeinsam mit Angela Merkel und François Hollande schuf Premierminister Alexis Tsipras ein Neuansiedlungsprogramm für Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland gelangten und auf verschiedene EU-Mitgliedstaaten verteilt werden sollten. Deutschland und Frankreich vertraten unterschiedliche Positionen. Aber die Rolle Griechenlands für die Unterbindung der irregulären Migration über die Türkei nach Europa blieb von entscheidender Bedeutung. So war die von Berlin stärker als von Paris befürwortete EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 durchaus erfolgreich.            

Außenpolitisch war Griechenland stets bemüht, die europäische Politik zur Unterstützung seiner eigenen Positionen zu beeinflussen. Dabei standen die Beziehungen zur Türkei im Mittelpunkt. Aus griechischer Sicht sollte die EU die Zukunft ihrer Partnerschaft mit der Türkei an deren Politik in der Ägäis, im östlichen Mittelmeer und in der Zypernfrage knüpfen. So gesehen verlässt sich Griechenland mehr auf die französische als auf die deutsche Führung. 2021 unterzeichneten Athen und Paris ein bilaterales Verteidigungsabkommen in der gemeinsamen Absicht, für Stabilität im östlichen Mittelmeerraum zu sorgen. Im Gegensatz dazu war Athen der Ansicht, dass Berlin seinen wirtschaftlichen Interessen gegenüber Ankara den Vorrang gab und die Sicherheitsdimension dabei vernachlässigte.

Keine Reform des Einstimmigkeitsprinzips

Im Großen und Ganzen unterstützt Griechenland eine vertiefte europäische Integration. Während der COVID-19-Pandemie befürwortete das Land die Aufnahme gemeinsamer Schulden auf EU-Ebene zur Deckung des steigenden Finanzierungsbedarfs. Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine praktizierte Griechenland eine vergleichbare Politik. Im März 2022 konzentrierte sich Premier Mitsotakis darauf, die aus seiner Sicht notwendig gewordenen Verhandlungen mit alternativen Gaslieferanten durch die EU vornehmen zu lassen. Mit anderen Worten: Er schlug vor, die EU solle ähnlich vorgehen wie in der Pandemie.

Griechenland hat sich aufgrund der komplexen geopolitischen Verhältnisse in seiner Nachbarschaft nunmehr vornehmlich auf Sicherheitsfragen konzentriert. Im Juni 2022 vereinbarten Griechenland und Deutschland einen Ringtausch von Waffen für die Ukraine: Griechenland lieferte BMP-1-Panzer und erhielt im Gegenzug den deutschen Schützenpanzer Marder. Athen erwartet jedoch von Deutschland und Frankreich eine Führungsrolle zum Schutz grundlegender europäischer Interessen. Nur so hat das Konzept der europäischen strategischen Autonomie für Athen Bedeutung. Eine harmonische deutsch-französische Zusammenarbeit ist in dieser Hinsicht unverzichtbar. Griechenland wird jedoch nie auf sein Vetorecht verzichten, wenn seine nationalen Interessen (die über die Türkei hinausgehen und auch die Beziehungen zu Albanien und Nordmazedonien betreffen) nicht gewährleistet sind. Aus griechischer Sicht ist Fortschritt in der EU auch ohne Reform des Einstimmigkeitsprinzips möglich.

Nicht zuletzt erwartet Griechenland von Deutschland und Frankreich, dass sie gemeinsam gegen die Deindustrialisierung Europas vorgehen. Das Interesse der griechischen Regierung, die heimische Industrie in ihrem Überlebenskampf zu unterstützen, steht bei den europäischen Gesprächen über die künftige Energiegesetzgebung im Vordergrund. Ohne deutsch-französische Synergien könne es für die EU schwierig werden, ihre Industrien zu schützen, den Anforderungen des Klimawandels gerecht zu werden und gleichzeitig auf geopolitische Herausforderungen zu reagieren.

Übersetzung: Norbert Heikamp

Der Autor

George N. Tzogopoulos ist Dozent am Europäischen Institut in Nizza (Cife) und an der Demokrit-Universität Thrakien. Er arbeitet zudem für das Begin-Sadat-Zentrum für Strategische Studien (BESA) und ist Senior Fellow bei der Hellenic Foundation for European and Foreign Policy ELIAMEP.

In Zusammenarbeit mit:

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial