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Welche Rolle für Deutschland und Frankreich in Europa?

Bedingt führungsfähig? Eine Stimme aus Österreich

Hans Dietmar Schweisgut

Das Parlament in Wien (Copyright: Depositphoto)

19. Juli 2024

In Folge 11 unserer Reihe „Bedingt führungsfähig?“ geht Hans Dietmar Schweisgut auf die Rolle der kleinen Mitgliedstaaten ein. Er nimmt die Ergebnisse der Parlamentswahl in Frankreich unter die Lupe und fragt nach deren Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der EU. 

Die deutsch-französische Aussöhnung stand am Beginn der europäischen Integration, die zur heutigen Europäischen Union der 27 führte. Wenn die Union, vor allem mit den Erweiterungen nach 2004 auch diverser geworden ist und sich ihr Schwergewicht nach Osten verlagert hat, ist die deutsch-französische Zusammenarbeit – oft als Motor der europäischen Einigung bezeichnet – unverzichtbar für den Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der EU. Gemeinsam repräsentieren sie immer noch ein Drittel der Gesamtbevölkerung und mehr als 40% ihrer Wirtschaftskraft. 

Deutsch-französischer Konsens als Grundbedingung

Zwar wurde in der Vergangenheit oft kritisiert, wenn deutsch-französische Initiativen den Partnern quasi als fait accompli präsentiert wurden, viel schwieriger war es jedoch immer, wenn Deutschland und Frankreich sich nicht einigen konnten oder ihre Initiativen ohne Abstimmung präsentierten: Das passierte immer wieder in der Amtszeit von Präsident Macron.

Statt gemeinsamen Initiativen kam es in den vergangenen Jahren vermehrt zu einer Stärkung der Rolle der Europäischen Kommission, insbesondere im Krisenmanagement von Corona, Migration und nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, aber auch beim Green Deal, in den transatlantischen Beziehungen und in der Chinapolitik. Gleichzeitig ist klar, dass Zukunftsinitiativen, wie die Einigung auf NextGenerationEU, die es der Kommission ermöglichte, im Namen der Union auf den Kapitalmärkten bis zu 750 Mrd. EUR aufzunehmen, nur durch eine deutsch-französische Einigung möglich wurde, die erst nach Überwindung grundsätzlicher Einwände in Deutschland erfolgen konnte. Auch Überlegungen zur institutionellen Reform der EU bedürfen eines deutsch-französischen Konsenses.

Die kleineren müssen gehört werden

Hans Dietmar Schweisgut (Copyright: ÖFZ/CFA)

Andrerseits ist klar geworden, dass in einer Union von 27 Mitgliedsstaaten die deutsch-französische Achse schon lange nicht mehr ausreicht, um die EU voranzubringen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat zudem die Versäumnisse in der sicherheitspolitischen Einschätzung der Beziehungen zu Russland klar aufgezeigt und damit Stimme und Gewicht der östlichen und nördlichen Mitgliedstaaten gestärkt. Die Diskussion zur künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur, einschließlich der Integration von Ukraine und Moldau in die EU haben dadurch eine neue Dynamik bekommen. Ein klares Signal, dass die strategische Ausrichtung der EU nicht mehr nur in Berlin, Paris und Brüssel definiert werden kann, kam in der Rede von Präsident Macron bei der Globsec Konferenz in Bratislava (31. Mai 2023) zum Ausdruck. Darin erklärte er auch die künftige Erweiterung als eine geopolitische Notwendigkeit im Interesse der Sicherheit Europas nach der russischen Aggression in der Ukraine.

Ein weiteres Beispiel für eine größere Rolle kleinerer Mitgliedsstaaten betrifft die Beitrittsverhandlungen mit den Westbalkanstaaten, für die traditionell auch Österreich eintritt und für die es, zusammen mit gleichgesinnten Mitgliedstaaten, konkrete Vorschläge gemacht hat. Letztlich spielt auch die regionale Zusammenarbeit eine stärkere Rolle bei der Formulierung von Positionen auf europäischer Ebene.

Ist die Handlungsfähigkeit der EU gefährdet?

Die Wahlen zum europäischen Parlament waren ein Denkzettel für die pro-europäischen Regierungen in Berlin und Paris, auch wenn es in Deutschland trotz Erstarken der AfD und einer Schwächung der Regierungsparteien nach wie vor ein breites Zentrum gibt; in Frankreich sind Politik und Gesellschaft gespalten. Dies wurde durch die Wahlen zur Nationalversammlung bestätigt: Das Rassemblement National konnte allerdings sein Ziel, stärkste Kraft im Parlament zu werden, nicht erreichen. Die Politikverdrossenheit und Europaskepsis hat damit das Zentrum erreicht und wird Auswirkungen auf die Geschlossenheit der Union und ihre Handlungsfähigkeit haben.

Inwieweit Kontinuität in den europäischen Institutionen, eine starke Kommission sowie andere Formen der Zusammenarbeit, etwa zwischen Deutschland und Polen, und variable „Allianzen“ zumindest teilweise eine neue Dynamik erzeugen können, kann derzeit kaum beurteilt werden. Gleiches gilt für die Auswirkungen der politischen Situation in Frankreich nach den Wahlen, die zumindest den französischen Gestaltungswillen für die Weiterentwicklung der Europäischen Union und den Spielraum dafür deutlich beschränken könnten.

Der Autor

Hans Dietmar Schweisgut ist Generalsekretär des Österreichisch-Französischen Zentrums für Annäherung in Europa (ÖFZ/CFA). Er war Ständiger Vertreter Österreichs bei der Europäischen Union, bevor er als EU-Botschafter in Japan und dann in China tätig war.

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