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Olympische Spiele

Mehr als nur Erinnerung?

Pierre-Yves Le Borgn’

Blick auf den olympischen Kessel und auf das große Becken im Tuilerie-Garten (Copyright: Depositphotos)

9. September 2024

Mit dem Ende der Paralympischen Spiele ist das olympische Feuer am 8. September endgültig erloschen. Die Spiele haben Geschichte geschrieben und Frankreich von seiner besten Seite gezeigt, schreibt Pierre-Yves le Borgn‘. Wird sich das Land davon inspirieren lassen?

Mit Hunderten von Millionen Menschen auf der ganzen Welt stehen wir jetzt mit schwerem Herzen da. Wunderbare Wochen des Sports, des Wettkampfs und der Brüderlichkeit sind zu Ende gegangen. Ich bin ein Sportler wie jeder andere, leidenschaftlich, glücklich und sicherlich auch ein bisschen patriotisch. Ich habe jeden einzelnen dieser Tage seit der Eröffnungsfeier am 26. Juli geliebt.

Es gab Emotionen, Talente, Wut, Heldentaten, Epos. Ein Ruck ging durch das ganze Land. Die Olympischen Spiele sind einzigartig. Alle Sportarten werden geehrt, alle verfolgen die Übertragungen, alle machen unwiderstehlich Lust auf mehr. Ich erinnerte mich an das Kind, das ich in den 1970er Jahren war, als ich staunend Sportarten entdeckte, die ich noch gar nicht kannte. Da waren die Freuden, die Leiden, die verrückten Momente, die ein Stadion, ein Land oder die ganze Welt ergriffen, wenn ein Rekord fiel oder eine Mannschaft, ein Kollektiv alle Vorhersagen übertraf.

Wenn wir daran erinnert wurden, dass der Sport keine (völlig) exakte Wissenschaft ist und dass der Wille, die Energie und die innere Stärke viele vermeintliche Gesetzmäßigkeiten überwinden können, um an einem glorreichen Tag Geschichte zu schreiben. All das ist die Magie der Spiele, dieses gewaltige Abenteuer, das Pierre de Coubertin neu erfunden und universell gemacht hat.

Das Beste Frankreichs

Olympische und Paralympische Spiele machen glücklich. Die Spiele in Paris haben uns glücklich gemacht. Noch vor wenigen Wochen sah Frankreich nur noch schwarz. Die Menschen schrien sich an, nicht nur die Politiker in den Talkshows im Fernsehen. Von den bevorstehenden Olympischen Spielen war kaum die Rede. Als ich im Juni in Paris war, fiel mir auf, wie viele Menschen sich über die Spiele, über Anne Hidalgo, über Emmanuel Macron und eigentlich über alles aufregten.

Das würde ein großer Reinfall werden, alles würde schiefgehen, wir würden uns vor den Augen der Welt lächerlich machen. Die Eröffnungsfeier auf der Seine? Ein Wahnsinn, natürlich. In der Seine schwimmen? Wahnsinn, zweifellos. Es würde ein Vermögen kosten, die Athleten würden gedopt sein und außerdem wären die Russen ja nicht dabei.

Am Ende wurden es großartige Spiele, die wir in einer unbeschreiblichen und unvorstellbaren gemeinsamen Begeisterung erlebten. Jeden Tag gingen wunderbare Bilder von Paris, der Stadt des Lichts, hinaus in den Rest der Welt. Wir hatten das Beste des Sports und das Beste Frankreichs. Freuen wir uns darüber! Und danken wir all jenen, die seit zehn Jahren die Spiele in Paris vorbereitet haben, angefangen bei den Abgeordneten und den sich abwechselnden Regierungen bis hin zu den Abertausenden von Freiwilligen, ohne die schlichtweg gar nichts möglich gewesen wäre.

Im Grand Palais (Copyright: Depositphotos)

In unserem alten, depressiven und gebeutelten Land hatte man die Gemeinsamkeit vergessen und wie glücklich sie machen kann.. Die Menschenmassen und die Fahnen berührten einen jeden überall bis in die entlegensten Winkel unseres Landes. Orte überall im Land, alle Generationen und Bevölkerungsschichten begeisterten sich für die Spiele. Das ging so weit, dass die üblichen Untergangspropheten, die ewigen Miesepeter der Medienwelt, die der Erfolg des olympischen Abenteuers krank machte, weil sie auf Chaos hofften, kein Gehör fanden und sich nur lächerlich machten. Dass Menschen sich zwanghaft wünschen, ihr Land möge scheitern, ist für mich, abgesehen von der menschlichen Riesenblödheit, die das offenbart, ein unergründliches Rätsel.

Aber was bedeuten schon die vereinzelten Ausfälle von ein paar Miesmachern angesichts der kollektiven Begeisterung der Franzosen? Nichts, und das ist es, was wir uns merken müssen. Der Geist der Spiele hat uns überraschend gepackt, wie eine Flut, von der wir uns mitreißen lassen wollten. Er hat den Teil der Brüderlichkeit, der in uns verblieben war und den wir oft vergessen hatten, wieder ans Licht befördert. Die Freude, der Jubel und das kollektive Glück sind unwiderstehlich, das haben wir bewiesen. Léon Marchand, Teddy Riner und viele andere haben unseren Sommer, unsere Sportgeschichte und unsere Phantasie für immer geprägt.

Den Geist der Spiele lebendig halten

Ich möchte glauben, dass dieser olympische Moment viel mehr sein wird als nur ein kurzer Zauber. Es ist nicht unser Schicksal, dass Frankreich nach dem Ende des Festes wieder zurückkehrt zu seiner Lust am Leid, zu Zwist und Depression. Im olympischen Geist und dem – wie ich hoffe – Vermächtnis der Pariser Spiele liegen Respekt, Altruismus und die Uneigennützigkeit, die eine verkrampfte, blockierte und unglückliche Gesellschaft so dringend braucht.

Das gilt natürlich für die Politiker, aber letztlich auch für uns alle. Wie wäre es, wenn wir uns dafür entschieden, einander zu vertrauen, weil wir eine Nation sind, eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Zukunft haben? Was wäre, wenn wir einander die Hand reichten, in der Nationalversammlung, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, weil das im Interesse des Landes ist? Sich hinsetzen, miteinander reden, sich austauschen, versuchen, gemeinsam etwas aufzubauen – ich bin überzeugt, dass wir das können.

Man kann nicht leben in der Ablehnung des anderen, sondern nur im Respekt voreinander und in der Gemeinsamkeit des Miteinanders. Die Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris haben uns gezeigt, dass wir zu Enthusiasmus fähig sind und über uns selbst hinauswachsen können. Lassen wir den Geist der Spiele nach diesen schönen Wochen eines unvergesslichen Sommers weiterleben. Die Spiele in Paris müssen mehr sein als nur Erinnerungen, Fotos, ein Augenblick oder kollektiver Stolz. Sie müssen das Signal sein für einen Neuanfang.

Die französische Version dieses Beitrags erschien auf dem Blog von Pierre-Yves Le Borgn‘.

Übersetzung: Norbert Heikamp

Der Autor

Pierre-Yves Le Borgn‘ war von 2012 bis 2017 Abgeordneter für die im Ausland lebenden Franzosen und Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe in der Nationalversammlung. Er war Berichterstatter für das Gesetz zur Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens und gehörte dem Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats an, wo er Berichterstatter für die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte war. Heute arbeitet er in einem kleinen französischen Unternehmen im Bereich der Energiewende und ist weiterhin als Redakteur und Lehrer tätig. Pierre-Yves Le Borgn‘ hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften, ein Diplom des Institut d‘études politiques in Paris und einen LLM des Europakollegs in Brügge.

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