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Cocoriki

À la bonne franquette

Frank Gröninger

Olaf Scholz und Emmanuel Macron in Hamburg, 10. Oktober 2023 (Copyright: Imago)

10. Oktober 2024

Viele kennen ihn als Macrons Deutschlehrer, doch Frank Gröninger ist auch ein herausragender Kenner der deutschen und französischen Kultur. In Cocoriki nimmt er uns mit auf eine Entdeckungsreise zu den Besonderheiten, Gewohnheiten und Eigenarten unserer beiden Länder. Bon voyage!

Am 4. Juli 2014 standen sich Deutschland und Frankreich im Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien gegenüber. Französische Freunde hatten mich zu sich eingeladen, das Spiel mit ihnen anzusehen. Ihre Einladung endete mit folgendem Satz: On fait à la bonne franquette, l’essentiel est de voir les Bleus donner une bonne raclée à la Mannschaft, heheh. Was ich verstand: Wir machen das à la bonne franquette, Hauptsache die französische Mannschaft verpasst der deutschen Elf eine Abreibung. Les Bleus, la Mannschaft kannte ich und sogar donner une bonne raclée, aber bonne franquette?

Schlechte Gastgeber?

Bevor ich zu dem Spiel ging, machte ich mich also schlau: Dieser Ausdruck scheint in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts entstanden zu sein, einer Zeit, in der die Adligen sich durch die Raffinesse ihres Benehmens, ihrer Gerichte sowie ihrer Sprache auszeichneten und dadurch vom gemeinen Volk abhoben. Dies bezeichnete man gemeinhin als à la française. Langsam bildete sich zu à la française dann ein Gegenbegriff heraus: à la franquette, bestehend aus franc und dem Suffix -ette, was ehrlich, ganz einfach bedeutet. Ich stellte mich also auf ein ehrliches, ganz einfaches Essen ein und das war es dann auch. Es gab Schinken, Käse, Tomaten, Gurken, gesalzene Butter und natürlich Brot.

Zu meiner Verwunderung drückten meine Gastgeber mehrfach ihre Verlegenheit aus, und wiederholten: pardon, on fait simple, à la bonne franquette quoi. Sie hatten sicher Angst, als schlechte Gastgeber angesehen zu werden. Dabei war es für mich sogar viel angenehmer, ich fühlte mich wie ein Familienmitglied, um das nicht so viel Aufhebens gemacht wird. Dieses zwanglose Abendessen erinnerte mich zudem sehr an das deutsche Abendbrot mit kleinen Holzbrettchen anstelle von Tellern: Einfach, rustikal und entspannt. Wir sind also doch gar nicht so verschieden, sagte ich mir und dachte nicht mehr über diesen Ausdruck nach.

Un p’tit Fischbrötchen?

Bis zum 10. Oktober 2023, dem zweiten Tag der Kabinettsklausur in Hamburg zwischen den Regierungen meiner beiden Länder. Auf dem Programm: Eine Schifffahrt auf der Elbe, Fischbrötchen und jede Menge Gespräche. Meine erste Reaktion war: Oh schön, sie haben ein Programm ohne viel Aufhebens gemacht, à la bonne franquette, bzw. à la bonne hambourgeoise. Kein steifes Protokoll, man war ja unter sich.

Die Abendnachrichten im deutschen Fernsehen bestätigten dann auch meinen Eindruck: „Fischbrötchen und eine Schifffahrt auf der Elbe, ein sehr schönes Programm, wenn es nicht von den schrecklichen Bildern in Israel überschattet worden wäre“, so der Kommentar des Journalisten der ARD. Zufrieden schaltete ich um und stieß auf die französische Sendung Le Quotidien. Dort waren es die schrecklichen Bilder des Fischbrötchen-kauenden Präsidenten, die alles überschatteten. „Fischbrötchen und eine Schifffahrt auf der Elbe in einer nebligen Stadt, eine herzliche Atmosphäre“, ironisierte der Moderator und hatte die Lacher auf seiner Seite. Das änderte schlagartig auch meinen Eindruck. „Hm, schmeckt nicht schlecht“, hatte ich zuvor noch auf dem Gesicht des Präsidenten zu lesen geglaubt, sah jetzt aber nur noch die Anstrengung, seine Verwunderung zu verbergen. Drôle de coutume, seltsame Gewohnheit.

Hamburger-Hafen-Prozess

Frank Gröninger (Copyright: Frank Gröninger)

Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese Diskrepanz in der Wahrnehmung verstanden habe. Was von Deutschland aus als nette Geste gesehen wurde, interpretierte man in Frankreich als Beweis dafür, dass Deutschland sich nicht die Mühe gab, die französische Regierung so zu empfangen, wie es sich gehört. Vielleicht hätte die deutsche Regierung, wie damals meine Gastgeber des Fußballfernsehabends vorab sagen sollen: Wir machen das à la bonne franquette, (Hauptsache die deutsche Elf verpasst der französischen Mannschaft eine Abreibung…). Das hätte sicher die Erwartungen gedämpft und man würde von nun an bei informellen Treffen nicht mehr nur an den Blaesheim-Prozess, bzw. an das durch Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt bekannt gewordene Restaurant Au Boeuf denken, sondern auch den Begriff Hamburger-Hafen-Prozess verwenden. Aber war dieser Fischbrötchen-Gate eigentlich das erste bonne franquette-Erlebnis eines französischen Politikers?  

Nein, ein Foto beweist das: Helmut Schmidt hatte Valéry Giscard d’Estaing in sein Haus in Hamburg eingeladen, wo sie an der hauseigenen Theke ein Bier tranken. Sein Nachfolger Helmut Kohl war sogar für seine „Diplomatie de Kleinbürgerlichkeit“ bekannt. Er lebte in Bonn in seinem Kanzlerbungalow, wo er der Legende nach, die Großen dieser Welt mit Häppchen empfing, die seine Frau Hannelore in der Küche zubereitet haben soll. Gorbatschow und Mitterrand wurde sogar die Ehre zuteil, sein Lieblingsgericht, den „Saumagen“, zu probieren. Rustikaler geht es nicht.

Was hatte sich seitdem wohl verändert? Warum klappte das heute nicht mehr? Lag es nur daran, dass der Pfälzer Saumagen besser ankam als das Hamburger Fischbrötchen? Handelt es sich vielleicht sogar nicht nur um einen kulinarischen Clash der Kulturen, sondern haben wir hiermit einen weiteren Beweis für die Entfremdung unserer beiden Länder? Natürlich nicht. Es zeigt uns vielmehr, dass wir immer noch viel Neues bei dem anderen zu entdecken haben. Von Routine also keine Spur. Kleiner Tipp fürs nächste Mal: All diese Fragen bei einem entspannten Abendessen à la bonne franquette besprechen und gespannt auf die nächste Chronique von Cocoriki warten.

Der Autor

Der in Hessen geborene Frank Gröninger wohnt seit 1993 in Paris, wo er als Lehrer für Deutsch und interkulturelle Beziehungen unter anderem für das französische Außenministerium und Sciences Po, dem Institut für politische Wissenschaften arbeitet. 2021 erschien sein Buch „Douce Frankreich: die Abenteuer eines Deutschen in Paris“, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch, 2022 sein zweites Buch, „Dessine-moi un(e) Allemand(e)“.

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