Template: single.php

Begegnungen

Menschen in Paris

Stephan Gabriel

© Stephan Gabriel

16. August 2023

Über keine andere Stadt ist so viel geschrieben und gesprochen worden wie über die 2 000 Jahre alte Metropole Paris – frei nach Jean Giraudoux: „Die 5.000 am häufigsten beschriebenen Hektar der Welt.“ Was Paris zu bieten hat, ist liebenswert, abgründig, mysteriös und herrlich. Eine Stadt, die begeistert, mitreißt und abstößt – aber nie unberührt lässt. Paris ist ein einziges Chanson! In der Metropole wie im Chanson geschehen Minidramen, wobei alle Spielarten des Dramatischen – von der Tragödie bis zur Farce – vertreten sind.

Die Themen sind so unterschiedlich wie die Menschen, die hier leben: egozentrische Einsamkeit, Tod, Revolte des Individualisten gegen Gott, Verklärung der Vergangenheit und nicht zuletzt die Liebe, bittersüß, leicht, ernst, leidenschaftlich, frivol.

Man kann sich plötzlich in die Stadt Paris verlieben wie in ein paar Takte einer hübschen Melodie, die zu einem herüberwehen und die man flüchtig nachsummt. Doch Paris richtig zu lieben, das erfordert mehr Geduld. Ist man zum ersten Mal in dieser Stadt, zeigt sie einem nicht sofort ihr freundlichstes Gesicht. Erst nach einem längeren „Zwiegespräch“ sieht man das Ganze, die Stadt mit ihren Widersprüchen, und sieht wie schön ihre Runzeln, wie adlig ihre ein wenig melancholischen Gesichtszüge, wie stolz und hell ihre Lichter und wie ausufernd ihre Konturen sind. Und man bemerkt, wie anregend und liebefördernd der Blick von einem kleinen Kaffeehausstuhl auf die großen Boulevards ist.

Es ist leicht, sich von Paris erobern zu lassen, denn die französische Hauptstadt kennt all die kleinen Tricks, die dafür sorgen, dass wir die Stadt an der Seine nie mehr vergessen. Paris zu atmen, bewahrt die Seele, sagte einst Victor Hugo. Und die Pariserin Inès de la Fressange behauptet: „Du brauchst nicht in Paris geboren worden zu sein, um einen Pariser Stil zu haben“.Der Pariser Stil ist eine Haltung, ein Geisteszustand. Der deutsche Philosoph Walter Benjamin schrieb zu seiner Zeit: „Die Pariser machen die Straße zum Interieur – eine Wohnung, deren Gemächer die Quartiers sind!“

Berufe mit Leidenschaft

Die Stadt an der Seine bietet Raum für viele ausgefallene Ideen und lässt Lebensträume Wirklichkeit werden. Hier leben Menschen mit besonderen Geschäftsmodellen, die für ihre Leidenschaft brennen.

Tänzerin Nora Mogalle hinter Bühnenvorhang im Moulin Rouge © Stephan Gabriel

Nora Mogalle sitzt in ihrer kleinen Garderobe, um sich für den Bühnenauftritt vorzubereiten. Auf dem Tisch liegen Make-up, Lippenstifte, Pinsel, Bürsten, an der Wand hängen Haarteile. Im offenen Schrank: Federboas in leuchtenden Farben, glitzernde Colliers mit Strass, Kristallen und Perlen besetzt. Die 39-Jährige ist nicht nur die einzige deutsche Tänzerin im berühmtesten Revuetheater der Welt, dem Moulin Rouge in Paris – sie ist der Star. „Wenn das Publikum im dunklen Saal Luft holt, sobald wir nach vorne kommen, ist dies etwas, was einen auf der Bühne erreicht. Da geht bei mir das Licht an. Ja, ich bin hier für euch und ich tanze für euch“, sagt die gebürtige Berlinerin.

Show von Claire la Sirène, Meerjungfrau, Aquarium de Paris © Stephan Gabriel

Die märchenhafte Show von Claire la Sirène basiert auf der Sage des weiblichen, jungfräulichen Wassergeistes Undine aus Christian Andersens Märchen-Klassiker „Die kleine Meerjungfrau“ (1837). Claire Baudet, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, war seit der Kindheit von den halb weiblichen und halb fischartigen Wesen Sirenen fasziniert. Für ihre Show taucht sie für eine außergewöhnliche Wasserperformance 20 Minuten lang in das Becken des Pariser Aquariums, das sich unter dem Trocadéro befindet. Eine nicht nur künstlerische, sondern auch sportliche Herausforderung, da die Meerjungfrau ihr Spektakel im Apnoetauchen, dem „Freitauchen“ mit Atemstillstand präsentiert – was ein strenges und konzentriertes Training erfordert: Sie kann dadurch ohne Sauerstoff bis zu vier Minuten lang die Luft anhalten.

Concierge Natalia Syed © Stephan Gabriel

In einem Pariser Wohnblock im 11. Arrondissement betreut die Concierge Natalia Syed (die offizielle Berufsbezeichnung ist Gardien bzw. Gardienne) rund 70 Wohnparteien. Nur wenige Meter entfernt liegt das Bataclan, jener Musikclub, der durch die Anschläge vom 13. November 2015 traurige Berühmtheit erlangte. Drei Attentäter töteten 90 Menschen und verletzten Hunderte. Natalia Syed merkte damals schnell, dass etwas nicht stimmte, und reagierte geistesgegenwärtig, indem sie etlichen verängstigten Menschen Zugang gewährte. Sie ließ fast 80 Verletzte in den Innenhof des Gebäudes und in ihre eigene Wohnung, um sie notdürftig mit Verbandsmaterial und Getränken zu versorgen. Dafür und für die Unterstützung der Rettungskräfte wurde sie von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit der Médaille de l’Ange Gardien ausgezeichnet.

La Barbière de Paris, Sarah Daniel-Hamizi © Stephan Gabriel

Im Alter von neun Jahren kam Sarah Daniel-Hamizi mit ihren Eltern von Algerien nach Paris. Ihr Vater ist Kaufmann und arbeitet in der Gastronomie. Aufgewachsen an der Seine machte sie eine Ausbildung als Damen- und Herrenfriseurin, und in der Rue Condorcet im 9. Arrondissement eröffnete sie 2000 ihren ersten Salon: La Barbière de Paris. Sie machte aus dem männlichen Begriff barbier kurzerhand eine weibliche barbière. Schnell folgten Salon Nummer zwei, drei und vier. Inzwischen besteht ihr Team aus 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Termine sind auf Wochen ausgebucht.

Gudrun Même © Stephan Gabriel

Inmitten der Gourmet-Stadt Paris betreibt die aus Oldenburg stammende Gudrun Même ein Lebensmittelgeschäft mit deutschen Spezialitäten. Einen echten „Tante-Emma-Laden“, den einzigen an der Seine und wahrscheinlich in ganz Frankreich. Im 10. Arrondissement, wo Paris noch ursprünglich ist, und zwar in der Markthalle des Marché de la Porte Saint Martin, umgeben von französischer Konkurrenz und kleinen Restaurants.

Deutschland ist kein Land, das Franzosen zum Träumen bringt, schon gar nicht kulinarisch. Mit ihrem Laden will sie das Gegenteil beweisen. La Boutique de Tante Emma bietet ein großes Sortiment an Lebensmitteln: von Zwieback bis Räucheraal, von Frikadellen bis Schwarzbrot. Aber: „Franzosen kaufen bei uns vor allem Bier“, sagt Gudrun Même, denn „deutsches Bier hat in Frankreich sogar Fanclubs!“

Nicolas GEANT, Nicomiel, Imker mit Bienenwabe © Stephan Gabriel

Nicolas Géant ist seit mehr als 30 Jahren Imker aus Leidenschaft. Seine Honigbienen sind auf dem Dach des legendären Sterne-Restaurant La Tour d’Argent beheimatet. Miel béton – Beton-Honig nennt man seinen cremigen Brotaufstrich in der französischen Hauptstadt ganz unromantisch. Seit 2010 arbeitet der Chocolatier Patrick Roger mit Imker Nicolas zusammen. Er ist überzeugt von der Reinheit des Naturproduktes, das auf dem Dach des traditionsreichen Restaurants entsteht – sein Ziel war stets, eigenen Honig für seine Schokoladenträume zu verwenden. Mit rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern produziert er in seiner Manufaktur unermüdlich nicht nur ein Konfekt namens Abeille (Biene), ein schwarz-gelbes, halbrundes Honigpraliné mit dem süßen Saft vom Dachgarten: Ihre Ganache au miel du jardin (Gartenhonig-Ganache) ist eine köstliche Komposition aus Schokolade, Sahne und Honig.

Ständiger Dauerregen? Kein Grund zur Krise! „Für mich bedeutet das: schönes Wetter!“ behauptet Thierry Millet. Er ist der letzte Regenschirm-Reparateur Europas. Sein Laden befindet sich in der ältesten Passage von Paris, Passage de l’Ancre.

Pep’s, Regenschirm-Reparateur Thierry Millet vor seinem Laden mit Regenschirm „Eiffelturm“ © Stephan Gabriel

Der gebürtige Franzose aus Auxerre arbeitet als Handwerker allein in seiner Werkstatt, manchmal bis zu 75 Stunden pro Woche. Sein Firmenname PEP’S ist ein Slang-Wort, abgeleitet aus dem Pariser „Argo“, der französischen Gassensprache, und bedeutet soviel wie „Regenschirme“ Seine Kunden kommen aus der ganzen Welt. Es sind vor allem Privatpersonen. Thierry: „Sogar gekrönte Häupter bringen mir ihre alten lädierten Regenschirme zur Reparatur.“ Unternehmen wie Burberrys sind auch dabei. Das Wichtigste für Monsieur Millet ist die Qualität seiner Arbeit für eine einwandfreie Reparatur. Dank all seiner Anstrengungen ist sein kleines Unternehmen inzwischen als Entreprise du patrimoine vivant klassifiziert. Staatspräsident Emmanuel Macron hatte seinerzeit die Urkunde unterschrieben.

Zum Autor

Persönliche Blickwinkel und Perspektiven dokumentieren Stephan Gabriels jahrzehntelange Liebe zur französischen Metropole. Seine Fotografien porträtieren die Stadt an der Seine – mit dem neugierig-lustvollen Blick des Verliebten. Stephan Gabriel lebt als freischaffender Fotojournalist und Sprecher in Hamburg und Paris: https://www.stephan-gabriel.de

Mehr zum Thema

Stephan Gabriel: Menschen in Paris, Lebenswege zwischen Passion und Profession, 2020 (BOD).

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial