US-Wahlen:
Die Welt von früher ist tot
In seinem Buch „Un monde sans l’Amérique“ fragt François Heisbourg nach der Positionierung der USA in einer mehr und mehr fragmentierten Welt. Das im September veröffentlichte Buch ist nach dem Wahlsieg von Donald Trump aktueller denn je.
Für den Autor eines zukunftsorientierten Essays kann es ein schmerzhafteres Schicksal geben, als wenn die Fakten seine Analysen und Prognosen widerlegen. Manchmal ist es sogar noch schlimmer, wenn sich seine Annahmen, insbesondere die beunruhigenden, bestätigen. So erging es mir, als ich bei der Abfassung dieses Werks von Anfang an die Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zog, Donald Trump könnte wiedergewählt werden, seine Partei würde die Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigen und die im Senat ebenfalls erringen.Schlimmer noch, die Vorstellung, Amerika würde zum Rest der Welt auf Distanz gehen, hat sich seither von einer unwahrscheinlichen Provokation zu einer praktisch selbstverständlichen Arbeitshypothese gewandelt. Ich hätte es vorgezogen, wenn der von mir gewählte Titel „Eine Welt ohne Amerika“ nicht so abrupt zu einer Prophezeiung geworden wäre.
Amerika wird sich weniger engagieren
Das Paradoxe ist, dass die Thesen in meinem Buch in vielerlei Hinsicht nicht nur auf Trump zutreffen, sondern auch auf Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft im weiteren Sinne. So musste ich feststellen, dass Biden und Trump zwischen den Wahlkämpfen von 2020 und 2024 in drei großen Bereichen übereinstimmten, was auch für Vizepräsidentin Kamala Harris galt. Beide hatten versprochen, den forever wars, den ständigen Kriegen, insbesondere in Afghanistan, ein Ende zu setzen und keine neuen zu beginnen. So hatte die Trump-Regierung 2020 mit den Taliban das Doha-Abkommen ausgehandelt, das Biden dann 2021 mit dem überstürzten Rückzug aus Kabul umsetzte.
In Bezug auf den Iran hatte Trump zwar 2020 die Ermordung von General Soleimani angeordnet, aber nicht im Iran selbst zugeschlagen. Biden hatte der Ukraine ab 2022 militärische Hilfe und Unterstützung gewährt, ohne jedoch US-Streitkräfte in das Kriegsgebiet zu entsenden. Der designierte Präsident betonte in seiner Rede nach der Wahl in Mar-a-Lago erneut seine Absicht, Konflikte zu beenden und keine neuen zu beginnen. Die Bürde des Imperiums lastet offensichtlich unangenehm auf den Schultern jedes Einzelnen.
Konsens besteht auch hinsichtlich der Hierarchie der strategischen Prioritäten der USA in der Welt: China und der indo-pazifische Raum stehen im Mittelpunkt. Dies gilt nicht nur für Biden/Harris und Trump, sondern ganz allgemein im Kongress sowie im Washingtoner Ökosystem der Think Tanks,der Agenturen und Ministerien. Schließlich vertreten Biden und Trump eine protektionistische Vorstellung für die amerikanische Volkswirtschaft und die internationalen Handelsbeziehungen, was einen ideologischen und praktischen Bruch mit der von den USA seit dem Zweiten Weltkrieg praktizierten Politik darstellt.
Sicherlich gibt es tiefgreifende Unterschiede in der Art und Weise, wie Trump und Biden/Harris trotz ihrer Übereinstimmung die einzelnen Politikfelder angehen: Während seiner ersten Amtszeit schloss Trump Deals mit dem chinesischen Präsidenten nicht aus. Unter Biden waren die Ansichten über den Ukraine-Krieg diametral entgegengesetzt. Für die Handelspolitik propagierte Trump die zentrale Bedeutung von Zöllen, während Biden eher auf staatliche Subventionen setzte. Aber all die gemeinsamen Faktoren zeichnen ein Bild von einem Amerika, das sich weniger in der Welt engagieren und in Europa nicht mehr so präsent sein wird. Amerika, und nicht nur das Amerika dieser Wähler, steht im Einklang mit einer Entwicklung, die unter Trump zu einer Konterrevolution mutieren wird und zu allem im Gegensatz steht, was die USA seit 1941 in der Welt verkörpern.
Im Niedergang?
Umgekehrt stimme ich der regelmäßig wiederholten These nicht zu, Amerikas Macht befinde sich im Niedergang. Die amerikanische Wirtschaft wächst ungleich schneller als die Europas, insbesondere Deutschlands. Ihre Fähigkeit zur technologischen Innovation ist zudem ungebrochen. Auch sind die USA als Weltmacht immer noch konkurrenzlos, auch wenn China diese Vorrangstellung im asiatisch-pazifischen Raum bedroht. Wenn es heute einen Niedergang gibt, dann findet er vor allem in den Köpfen statt: Jenseits des Atlantiks fehlt nun der Wunsch, eher die Welt als Amerika zu verändern. Umgekehrt droht unter Trump der Niedergang, wenn der Protektionismus die Weltwirtschaft in eine Krise stürzt und die tief verwurzelte Abneigung des designierten Präsidenten gegen dauerhafte Bündnisse seine bisherigen Partner verprellt.
Europa? Ein „Mini-China“
Für Europa ist dies eine Herausforderung ersten Ranges, die umso schwieriger zu bewältigen ist, als viele Menschen die Wahrheit nicht wahrhaben wollen. Es stimmt schon: die Vogel-Strauß-Politik ist umso verlockender, je trostloser die Realität jenseits des Atlantiks ist. Trump lehnt die Idee von Bündnissen grundsätzlich ab, insbesondere die NATO, das wichtigste unter ihnen. Trump hasst Europa, das er als „Mini-China“ sieht (eine seiner Formulierungen während des Präsidentschaftswahlkampfs), nur schwächer. Er verachtet Frankreich und hat eine besondere Abneigung gegen Deutschland. Für Trump und seine Anhänger gibt es keine bedingungslose Verteidigungsgarantie innerhalb der NATO, sondern nur einen prekären und widerruflichen Schutzdurch Schutzgelderpressung, der an die Sitten in der Unterwelt des New Yorker Immobilienmarkteserinnert.
In der Zeit, in der ich mein Buch schrieb, und auch jetzt noch, sind Umfang und Art des von Trump geplanten Deals rund um die Ukraine noch nicht bekannt. Wir wissen nur, dass Trump eine alte und ziemlich herzliche Beziehung zu Wladimir Putin hat. Wir wissen auch, dass Trump im Februar gesagt hat, er werde die Russen ermutigen, gegen die europäischen Länder, die ihren Obolus nicht entrichtet haben, zu tun, „was immer sie wollten“ („the hell what they want“).
Nichts von dem, was oben über die NATO und Europa gesagt wurde, ist neu oder konjunkturell bedingt: Trump wiederholt diese Ideen nun schon seit fast vierzig Jahren immer wieder. Der Mann ist strategisch beständig und nicht der unberechenbare Draufgänger, als der er zuweilen von den Europäern dargestellt wird.
Jetzt handeln!
Europa und die Europäer müssen nun zu allererst wieder eine politische Führung und die Fähigkeit erlangen, Entscheidungen zu treffen: In meinem Buch zielt diese Beobachtung auf Frankreich nach den vorgezogenen Wahlen ab (und sie ist immer noch korrekt). Heute aber gilt sie noch stärker für Deutschland. Die Bundestagswahlen werden für ganz Europa von entscheidender Bedeutung sein. Ebenso dringlich ist die Notwendigkeit, einen russischen Sieg im Krieg in der Ukraine zu verhindern; denn ein solcher Sieg würde den Weg für weitere imperiale Abenteuer in Europa freimachen, insbesondere wenn Moskau versucht wäre, Artikel 5 der NATO zu testen. In meinem Buch beschreibe ich, wie ein Angriff auf Litauen und die dort stationierten deutschen Soldaten aussehen könnte. Um es nicht so weit kommen zu lassen, ist es für die Europäer besser, sich darauf vorzubereiten, die USA zu ersetzen, falls Washingtons seine Hilfe für die Ukraine kürzen oder gar ganz einstellen sollte. Das würde bei weitem weniger kosten, als mit den Folgen einer Niederlage der Ukraine zu leben.
Was angesichts des Krieges in der Ukraine unmittelbar gilt, stimmt auch für die NATO im Allgemeinen. Wenn die USA zu einem „ruhenden“ Partner in der NATO werden, dann werden die Europäer die Atlantische Allianz zu ihrem Werkzeug machen müssen. Unter Trump 2.0 gibt es keinen General Mattis mehr, der die Lage retten könnte. In jedem Fall ist das schnelle Ende der Schuldenbremse, die ihren Sinn verloren hat, eine offensichtliche Notwendigkeit, die in Deutschland mittlerweile weitgehend verstanden wird.
Sollten wir uns den dringlichen Aufgaben jetzt nicht widmen, nämlich der Wiederherstellung einer soliden Regierungsführung in Deutschland und Frankreich einerseits und der Sicherheit und Souveränität der Ukraine andererseits, dann wird „alles andere“ irrelevant. Nur eine gut verteidigte EU wird in der Lage sein, dem protektionistischen Würgegriff der USA und Chinas zu widerstehen, die wirtschaftliche und technologische Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und eine wirksame Politik gegen den Klimawandel zu betreiben. Aber eins ist klar: Die Welt von früher ist tot.
Übersetzung: Norbert Heikamp