Kolloquium Charlemagne:
Ein Jubiläum und viele offene Fragen

Kolloquium Charlemagne: Ein Jubiläum und viele offene Fragen
  • VeröffentlichtJanuar 31, 2025
Von links nach rechts: Nathanael Liminski, Mayssoun Zein Al Din, Benjamin Haddad
Von links nach rechts: Nathanael Liminski, Mayssoun Zein Al Din, Benjamin Haddad (Copyright: Martin Keller)

Am Deutsch-Französischen Tag debattierten Benjamin Haddad, Nathanael Liminski, Jürgen Linden und Armin Laschet über die drängenden Herausforderungen der EU. Von der stockenden deutsch-französischen Zusammenarbeit bis zur geopolitischen Lage – klare Worte, aber noch viele offene Fragen.

 

Nur knapp zwei Stunden, da war das kleine stramme Programm schon zu Ende: Nach einer Begrüßung, einer Einführung, zwei Key-Notes, einer Podiumsdiskussion, Fragen aus dem Publikum und einem Schlusswort verließen die Hauptdarsteller die von der IHK Aachen bereitgestellte Bühne, um die politischen Alltagsgeschäfte wieder aufzunehmen. Doch der Reihe nach.

 

Engagierter Europäer

Der ehemalige Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Armin Laschet hatte seinerzeit nämlich die Idee, den Vertrag von Aachen (22.01.2019), den zweiten deutsch-französischen Vertrag nach dem Élysée-Vertrag (22.01.1963) in der Stadt Karls des Großen unterzeichnen zu lassen. Und so war es nur konsequent, den sechsten Jahrestag des Aachener Vertrages mit einem „Kolloquium Charlemagne“ in Aachen zu würdigen.

Karlsbüste, Aachener Domschatzkammer
Karlsbüste, Aachener Domschatzkammer (Copyright: pixabay)

Auch wenn er für den nächsten Bundestag wieder kandidiert und man munkeln könnte, die Idee würde gut in die aktuelle Kampagne  passen, so kann man dem engagierten Europäer Armin Laschet unterstellen, dass er es mit Europa im Ganzen und mit Frankreich im Besonderen sehr ernst meint. Seine Initiative, damals noch als Ministerpräsident von NRW, Geld für den Wiederaufbau der im April 2019 (!) abgebrannten Kathedrale Notre-Dame zu sammeln, war erfolgreich. So wurde gelebte deutsch-französische Solidarität bewiesen. Mehrere Fenster von Notre-Dame wurden durch die Expertinnen und Experten der Kölner Dombauhütte restauriert.

Der aus Paris angereiste Europa-Minister Benjamin Haddad hob dies ausdrücklich hervor: In Paris wird dies als eine ganz besondere deutsche Geste der Freundschaft und des Zusammenhalts gewertet. Auch kluge Symbole spielen nach wie vor politisch eine große Rolle im deutsch-französischen Verhältnis.

 

Europa läuft leider nicht rund

Nach einem kurzen, freundschaftlichen, teils launigen Grußwort des Ideenstifters Armin Laschet sprachen die beiden anwesenden Europaminister, aus NRW Nathanael Liminski und Benjamin Haddad, in ihren jeweiligen Keynotes die aktuellen Problemstellungen Europas offen und ohne Umschweife an. Nicht alles betonten sie gleichermaßen, aber die Probleme liegen ja offen zutage: die Bedrohung durch Russland, real und hybrid, die ungeregelten Migrationsprobleme, die fehlende gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die allerdings auch eine gemeinsame Definition voraussetzen würde. Das dürfte angesichts der völlig unterschiedlichen Einschätzungen zwischen den West- und den Osteuropäern ein besonders schwieriges Unterfangen werden. Dazu die mangelhafte Digitalpolitik Europas, keine wirkliche gemeinsame Energiepolitik, zu unterschiedliche Sozialsysteme, die europäische Selbstüberforderung bei der Bekämpfung des weltweiten Klimawandels und eine Wirtschaft, die angesichts der weltweiten Entwicklungen ins Stottern geraten ist. Europa läuft leider nicht rund, dessen waren sich auch die beiden Minister in Aachen sehr bewusst.

Dabei vermieden sie, durchaus diplomatisch, die derzeitigen deutsch-französischen Untiefen stärker auszuloten, denn offensichtlich stottert der deutsch-französische Motor schon seit längerem auf mehreren Ebenen und weder der noch amtierende Bundeskanzler, noch seine Außenministerin haben sich als engagierte Paris-Besucher hervorgetan. Jedenfalls kommt, nach Einschätzung vieler Beobachter, die „privilegierte deutsch-französische Partnerschaft“ (wie sie häufig genannt wird) nicht über ein nur erkennbares „Business as usual“ hinaus.

Raymond Aron im Jahre 1966
Raymond Aron im Jahre 1966 (Copyright: Wikimedia Commons)

Vielleicht liegt ja Raymond Aron mit seiner kritischen Einschätzung doch nicht ganz falsch, wenn er in seinen Erinnerungen davon spricht, dass es sich beim Élysée-Vertrag eigentlich nur um eine „cordiale virtualité“ gehandelt hat. Hoffentlich nicht möchte man rufen! Lediglich Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gelingt es immer wieder, mit seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu mindestens in deutsch-französischen Verteidigungsfragen symbolische Einigkeit zu demonstrieren, die deutlich über schon Erlebtes hinausweist.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion mit den beiden Ministern, unter der Gesprächsleitung der Direktorin der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik (Bonn), Mayssoun Zein Al Din, erörterten die Minister mit durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln die aktuelle europäische und internationale Lage, betonten den notwendigen Mut, Frieden und Freiheit und also „unsere Lebensweise“ gegen kriegerische oder hybride Attacken mit Verve zu verteidigen. Dass man gemeinsam die Ukraine auch weiterhin bei ihrem Kampf um Freiheit und territoriale Integrität unterstützen will, daran ließen beide ebenso wenig Zweifel, wie an ihrer Entschlossenheit, der neuen amerikanischen Administration europäisch stark und selbstbewusst gegenübertreten zu wollen.

 

Deutliche Divergenzen

Allerdings blieb offen, wie genau man diese notwendige Stärke und das europäische Selbstbewusstsein zeigen will, da derzeit ja auch Europa noch lange nicht mit einer Stimme spreche. 27 verschiedene Armeen und keine gemeinsame Rüstungsbeschaffung und in vielen Fragen keine wirkliche Einstimmigkeit, ob es um die Energieversorgung geht oder um die vernetzte Mobilität, ob Banken- oder Währungsstabilität, ob gemeinsame Industriepolitik oder weltweite (Handels-)Abkommen. Der Motor stottert: wie zuletzt bei „Mercosur“, wo Frankreich mit Rücksicht auf seine Landwirtschaft mit „Nein“ stimmte, während Deutschland, auch mit Blick auf die selbst mitverschuldete Krise der ehemals republik-relevanten Autoindustrie, mit „Ja“ gestimmt hatte.

Solcherart Divergenz sollte man nicht unterschätzen, hier werden Bruchlinien deutlich, die an das abrupte Atomkraft-Ende (2011) erinnern, das einst Kanzlerin Merkel ohne Rücksprache mit Paris, unter dem Eindruck erstarkender grüner Meinungen nach „Fukushima“ verkündete – sehr zum Ärger von Paris, das bis heute auf seine Atomkraftwerke ebenso stark und unumstritten setzt, wie auf die (daraus mitresultierende) atomare Abschreckung Force de Frappe.

 

Sorbonne-Rede ohne Antwort

Dass Präsident Macron mit seiner ersten Sorbonne-Rede ein grundsätzliches Angebot für ein stärkeres Europa unterbreitet hatte, wurde aus Berlin niemals wirklich beantwortet, kritisierten beide Minister, die immerhin den 2019 unterzeichneten Aachener Vertrag als Fortschreibung des Élysée-Vertrages lobten. Allerdings tue sich insgesamt auf den vielen schon beschriebenen Aufgaben-Feldern in und für Europa noch viel zu wenig – insofern sind die Herausforderungen (sic!) derzeit größer, als die bisher zu verzeichnenden Erfolge.

Immerhin beschwor man gemeinsam die europäische Werte, basierend auf der Aufklärung (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) und den dringend notwendigen Mut zu einem starken, wehrhaften und weltweit mitbestimmenden Europa, den man zusammen mit Polen (auch durch die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks) und den übrigen EU-Partnern durch mehr und noch besser abgestimmtes gemeinsames Handeln verstärken und glaubhaft gestalten wolle.

Jürgen Linden, Sprecher des Karlspreisdirektoriums, schloss mit einem Plädoyer für Freiheit und das Friedensprojekt Europa, nicht ohne anzumahnen, dass eine Union ohne die Bereitschaft, sich zu verändern und sich immer wieder anzupassen, den Herausforderungen der zivilisatorischen Moderne nicht standhalten werde. Die Voraussetzungen seien gegeben, allerdings müsse auch gemeinsam und konsequent entschieden und gehandelt werden, um eine gemeinsame europäische Zukunft zu gewinnen.

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