„Angela Merkel hätte das Land vorbereiten müssen“

„Angela Merkel hätte das Land vorbereiten müssen“
  • VeröffentlichtMärz 14, 2025
Copyright: Depositphotos
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Angela Merkel versäumte es, Deutschland auf die wachsenden globalen Herausforderungen vorzubereiten. Ihre zurückhaltende Außenpolitik und der starke Fokus auf Innenpolitik hinterließen ein gefährliches Erbe. Jetzt muss Friedrich Merz das Land auf neue Zeiten einstimmen.

 

Wir haben dreißig friedliche, wohlbehütete und stabile Jahre hinter uns. Regierung und Bevölkerung schauten auf die USA, wenn es um Sicherheit, auf Russland, wenn es um Energieversorgung und auf China, wenn es um Export ging. Wir durften unseren Wohlstand mehren. Die Weltordnung schien regelbasiert und einige träumten sogar vom Ende der Geschichte. Alle deutschen Regierungen seit dem Fall der Mauer haben an diesen Traum geglaubt. Wir, die Bürger, auch. Es kommt heute vor wie ein Märchen. Die größte Märchenerzählerin von allen war Angela Merkel. Wir nannten sie „Mutti“. Unter Angela Merkel waren sich Wahlvolk und Regierungschef ähnlich wie nie. Demokratietheoretisch war es das Paradies, ganz anders als in Frankreich. Das Fehlen der Eliten in der Politik fiel nicht auf. Man hätte sie auch auf vom demokratischen Hof gejagt. Sie hätten nur gestört. Im Land und in den Parteien.

 

Die innerpolitische Verfasstheit der CDU, also der Partei, die Angela Merkel zur Kanzlerschaft getragen hatte, zeigte sich im zweimaligen Scheitern des Friedrich Merz im Kampf um den Parteivorsitz. Er unterlag zunächst Annegret Kramp-Karrenbauer (2018), dann Armin Laschet (2021), beide überzeugte Merkelianer. Erst im Februar 2022 kam Merz zum Zug. Es gab schon in der Regierungszeit von Merkel Stimmen, die ahnten, es fehle an politischer Führung. Stimmen, die seit der russischen Besetzung der Krim 2014 und dem Zuzug der Migranten 2015 unsere Haltung als außenpolitisch naiv bezeichneten. Oder die Nord-Stream-Pipelines als energie- und sicherheitspolitische Torheit geißelten.

 

Aber wir schauten nicht wirklich nach außen

Nach innen ging der Blick. Von innen heraus wollten wir die Welt verändern. Es war eine germanozentrische Sicht auf die Welt. Der äußeren Welt begegneten wir mit Vorsicht, Pragmatismus und Schläue. Merkels hartnäckige Ablehnung militärischer Mittel gegenüber Russland nach der Krimbesetzung 2014 und ihr zurückhaltendes Auftreten gegenüber Putin aus Angst vor energiepolitischer Erpressung zeigen das. Ihr Wandel von der Zurückhaltung zu stärkeren Sanktionen nach dem Abschuss der Maschine von Malaysia Airlines (8. März 2014) auch.

 

Merkel war anpassungsfähig und rational im Alltagsgeschäft. Strategisch dachte sie nicht. Je mehr die internationale regelbasierte Ordnung erodierte, desto sichtbarer trat ihre Unfähigkeit hervor, langfristige Ziele zu verfolgen. Vielleicht war die Unfähigkeit zur Machtpolitik nicht nur ein Charakterzug Merkels. Vielleicht war das typisch deutsch. Das machte sie und Deutschland sympathisch. Aber mit Sympathie gestaltet man nicht. Jedenfalls nicht, wenn man ein bevölkerungsreiches, wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas ist. Noch wachten große Teile der Bevölkerung nicht auf. Noch vor kurzer Zeit konnte eine der politischen Erbinnen von Angela Merkel, die Grüne Annalena Baerbock, auf internationaler Bühne von „feministischer Außenpolitik“ sprechen. Zwar kamen auch Merkel erste Zweifel an einer unveränderbaren Ära von Frieden in Freiheit. Sie erlebte Trump und sagte 2017, die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Aber sie handelte nicht danach. Sie hätte angesichts einer sich abzeichnenden Krise der internationalen Ordnung, die Deutschen wecken müssen. Sie hätte das Land vorbereiten müssen.

Auf dem G7-Gipfel in La Malbaie (Kanada), 9. Juni 2018 (Copyright: Wikimedia Commons)
Auf dem G7-Gipfel in La Malbaie (Kanada), 9. Juni 2018 (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Das Führungsversagen der Angela Merkel

Was seit 2014 und 2017 schon absehbar war, wurde mit dem russischen Angriffskrieg und mit der Wiederwahl von Donald Trump offenkundig: Das strategische Führungsversagen von Angela Merkel. Führung bedeutet in erster Linie die Fähigkeit, Menschen Orientierung zu geben und sie zur Annahme der Herausforderungen zu motivieren. Das schließt den Mut zu mutigen Visionen in der Außenpolitik ein. Das schließt die Angst vor dem Wähler aus. Unvergessen ist ihre Ablehnung der zahlreichen europapolitischen Vorschläge von Emmanuel Macron seit 2017.

 

Unverzeihlich ihre Unfähigkeit, aus der sicherheitspolitischen Abhängigkeit Deutschlands von den USA wenigstens erste Schritte in die Selbständigkeit zu wagen. Geradezu skandalös der nachsichtige Umgang mit Putin, der der energiepolitischen Abhängigkeit von russischem Gas geschuldet war. Natürlich stand sie mit der sorglosen Haltung nicht allein. Viele dachten wie sie. Und viele handelten in ihrer Nachfolge wie sie, so ihr Klon Olaf Scholz, so die Ampel. Doch sie war die Bundeskanzlerin.

 

Die Herausforderungen des Friedrich Merz

Dass nun Friedrich Merz alle großen Herausforderungen auf einmal bewältigen muss, ist eine Hinterlassenschaft der Ära Merkel. Die Bevölkerung ist nicht vorbereitet auf russischen Imperialismus, Chinas Dominanzstreben und Trump Entkopplung der USA von Europa. Das gefährlichste Erbe von Merkel ist der nach wie vor ungebrochene Primat der Innenpolitik. Der selbstbezügliche Blick nach innen. Der Unterschied zu Frankreich ist vor allem auf diesem Gebiet mit Händen zu greifen. De Gaulle verankerte in Frankreich das Bewusstsein, dass außenpolitische Fragen Schicksalsfragen einer Nation sind. Macron führt dieses Erbe fort. Friedrich Merz scheint ihm folgen zu wollen. Die ersten deutsch-französischen Beratungen zwischen ihm und Macron schienen gut verlaufen zu sein. Das ist vielversprechend.

 

Ein Mentalitätswandel ist nötig

Dennoch wird die größte Schwierigkeit von Merz in der Aufgabe liegen, einen außenpolitischen Mentalitätswandel zu erzeugen. Das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die USA zu unseren Rivalen geworden sind. Und dafür, dass wir in Deutschland eine nationale und europäische nukleare Abschreckung brauchen. Eine reformierte Wirtschaft, mehr Forschung und Innovation und vieles andere mehr. Was nützt die beste Sozialpolitik, wenn die Kosaken kommen? Dieser Satz von Friedrich Naumann gilt auch heute.

 

Die CDU unter Friedrich Merz hat bei der Bundestagswahl keine dreißig Prozent erreicht. Das mag man einem Kandidaten zuschreiben, der bei Frauen und jungen Leuten nicht so gut ankommt. Es dürfte noch mehr dem Umstand geschuldet sein, dass die Bevölkerung noch zu sehr den Träumen der Angela Merkel nachhängt. Es war ein schönes Leben, ein Leben ohne Lebensgefahr, geprägt vom vorsichtigen Pragmatismus und moderater Wertorientierung. Verkörpert von der beharrlichen und rationalen Angela Merkel, deren Auftritt der Welt die Botschaft vermittelte, auf Deutschland kommt es nicht an, weder in der Welt noch in Europa. Sie hat einen Satz geprägt, der für mich mehr eine Frage ist: „Wir schaffen das.“ Es wird Friedrich Merz sein, der angesichts der großen und neuen Herausforderungen eine Antwort wird geben können. Eine Antwort wird er geben dürfen.

 

 

Der Autor

Klaus Hofmann (Copyright: Klaus Hofmann)
Klaus Hofmann (Copyright: Klaus Hofmann)

Nach seiner Tätigkeit für die Europäische Kommission in Brüssel wechselte Klaus Bernhard Hofmann als Sprecher des Wirtschaftsministeriums in die thüringische Landeshauptstadt Erfurt. Ab 2000 war Hofmann Unternehmenssprecher und Leiter Corporate Public Relations/Public Affairs der Schott AG und von 2006 – 2010 Geschäftsführer der Schott Jenaer Glas GmbH. Für Schott war er Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW) in Berlin und der European Renewable Energies Federation (EREF) in Brüssel. 2011 gehörte Hofmann als Mitglied zum Kompetenzteam von Julia Klöckner. Seit 2014 ist er Geschäftsführer Kommunikation des VAA Führungskräfte Chemie.

 

 

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