Mercosur:
Zum Tango gehören immer zwei


„Mercosur (…) darf nicht an Frankreich scheitern“, sagte Friedrich Merz Anfang Dezember. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, antwortete wenige Tage später Emmanuel Macron. Worum es dabei geht und was auf dem Spiel steht, erklärt Marie Krpata.
„Wir können nicht auf Dauer die höchsten Umwelt- und Sozialstandards haben, weniger investieren als unsere Wettbewerber, eine naivere Handelspolitik betreiben als sie und dann glauben, wir könnten weiter Arbeitsplätze schaffen. […] [D]as Risiko besteht darin, dass Europa den Anschluss verliert.“ So beschrieb Emmanuel Macron in seiner Europarede am 25. April 2024 das europäische Trilemma zwischen einer großzügigen Sozialpolitik, einer ehrgeizigen Umweltpolitik und einem offenen Wirtschaftsmodell. Angesichts der zunehmenden Spannungen auf geopolitischer und geoökonomischer Ebene läuft die EU Gefahr, Opfer der Auswirkungen wachsenden Protektionismus, unlauterer Praktiken und einer zunehmenden Politisierung des Handels zu werden. Deutschland, das in den letzten Jahrzehnten einer der großen Gewinner der Globalisierung war, ist davon überzeugt. Die Unterstützung für den Abschluss von Handelsabkommen, insbesondere des Mercosur, ist hier groß. Das geht deutlich aus der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem Europäischen Parlament am 9. Mai 2023 oder dem kürzlich vorgestellten Koalitionsvertrag von CDU-CSU und SPD hervor.
Die Länder des Mercosur sind interessante Partner wegen der kritischen Mineralien, die die EU für ihren grünen und digitalen Wandel benötigt und die sie zurzeit hauptsächlich aus China bezieht. Die beiden größten europäischen Volkswirtschaften, Deutschland und Frankreich, sind sich jedoch uneinig. „We agree to disagree“, fasste der ehemalige Premierminister Gabriel Attal bei seiner Reise nach Berlin im Februar 2024 zusammen. Die Covid-19-Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine haben zwar deutlich gemacht, dass die EU ihre Abhängigkeiten durch Diversifizierung ihrer Bezugsquellen und Absatzmärkte verringern muss. Die Verhärtung der transatlantischen Beziehungen unter der zweiten Regierung von Donald Trump bestätigt dies; doch derzeit gehen die Meinungen Frankreichs und Deutschlands zu dem Freihandelsabkommen EU-Mercosur auseinander.
Die Karten werden neugemischt
Der internationale Handel wird durch die von Donald Trump angekündigten Maßnahmen auf den Kopf gestellt. Die USA sind zwar die größte Volkswirtschaft der Welt, aber auf sie entfallen nur 13 % der weltweiten Warenimporte. Sie können die Globalisierung nicht allein stoppen; aber angesichts ihres Gewichts dürften Washingtons Entscheidungen zur Einführung von Zöllen eine Neuordnung der Lieferketten verursachen. Die Politik der USA wird von der Politik des America First dominiert, die Trump schon 2017 vor den Vereinten Nationen vertreten hatte. Während des Wahlkampfs im Juli 2024 sagte J.D. Vance: „Wir machen Schluss damit, die Lieferketten einem grenzenlosen Welthandel zu opfern, und wir werden immer mehr Produkte mit dem schönen Etikett Made in the USA versehen“. Washington vollzieht also gerade eine entschieden protektionistische und nationalistische Wende.
Es fühlt sich gegenüber seinen Handelspartnern wegen deren Handelsbilanzüberschüssen benachteiligt und beabsichtigt, einen Teil der industriellen Produktion und der Arbeitsplätze in die Vereinigten Staaten zurückholen. Die Globalisierung, von der Amerikas großer Konkurrent und Systemrivale China profitiert und die im Rust Belt und anderen amerikanischen Regionen nur Verlierer kennt, soll nun ein Ende haben.
Durch das Made in China 2025 und die Dual-Circulation-Strategie strebt China eine höhere Wertschöpfung im eigenen Land an, um seine Verwundbarkeit gegenüber Drittstaaten zu verringern. Peking nutzt die Abhängigkeit anderer Staaten als Hebel, um den Druck auf einige seiner Handelspartner zu erhöhen, indem es beispielsweise den Export von Gallium, Germanium und Graphit einschränkt oder sogar verbietet. Die USA und China erweisen sich für die EU als immer weniger verlässlich, so dass sie sich anderen Weltregionen zuzuwenden versucht.
Gesucht: eine konzertierte Handelspolitik
Ein Abkommen zwischen der EU und den Ländern des Mercosur würde eine der größten Freihandelszonen der Welt schaffen (750 Millionen Einwohner und 20 % der Weltwirtschaft). Es würde die Absatzmöglichkeiten für Made in Europe vervielfachen und gleichzeitig die EU näher an eine Region heranführen, die eines der größten bekannten Lithiumvorkommen der Welt beherbergt. Der Mercosur hofft zugleich, die Produkte seiner Landwirtschaft und Viehzucht nach Europa exportieren zu können.

Die EU ist ihrerseits bestrebt, ihre politischen Beziehungen zum Mercosur zu vertiefen, während China dort an Einfluss gewinnt. Für Olaf Scholz ist es in einer multipolaren Zeit, in der die Länder des „Globalen Südens“ zunehmend umworben werden, wichtig, den Dialog mit verschiedenen Regionalmächten zu suchen, zu denen er auch die lateinamerikanischen zählt. Der zukünftige Bundeskanzler, Friedrich Merz, teilt diese Sichtweise: „Das weltweite Gleichgewicht verändert sich, und wir Europäer brauchen (neue Handelspartner) sehr schnell.“ Wirtschaftlich gesehen würde das EU-Mercosur-Abkommen die Zölle auf rund 90 % der gehandelten Güter abschaffen und insbesondere der deutschen Automobil- und Chemieindustrie neue Absatzmärkte sichern. Frankreich, das seine Rindfleisch-, Geflügel-, Zucker- oder Maisproduzenten schützen möchte, ist jedoch dagegen.
Dieses Abkommen spaltet das deutsch-französische Tandem. Für Deutschland besteht Resilienz in einer Vielzahl von Handelsabkommen, während sie für Frankreich in der Gewährleistung der Ernährungssouveränität besteht, die übrigens eine der Prioritäten während der französischen EU-Ratspräsidentschaft (2022) war und deren Relevanz im Kontext des Krieges gegen die Ukraine zugenommen hat. Während Frankreich argumentiert, dass der „Brüsseler Effekt“ nur dann Früchte trägt, wenn die EU gegenüber ihren Partnern bei Sozial- und Umweltstandards und bei der Bekämpfung der importierten Entwaldung unnachgiebig ist, argumentiert Deutschland, die EU-Anforderungen könnten eine zu hohe Eintrittsbarriere darstellen, weshalb sich potenzielle Partner eher anderen Staaten mit niedrigeren Standards zuwenden könnten.
Auf der gleichen Wellenlänge?
Der europäische Außenhandel liegt in der Zuständigkeit der EU. Deshalb sieht sich Deutschland in seinem Bestreben, den Abschluss von Handelsabkommen zu beschleunigen, durch die Zurückhaltung der anderen Mitgliedstaaten ausgebremst. Die Aussichten für das EU-Mercosur-Abkommen sind ungewiss. Der Koalitionsvertrag der möglichen zukünftigen deutschen Regierung favorisiert ein EU-only-Abkommen, das die EU nur dann abschließen kann, wenn der Inhalt des Abkommens lediglich Bereiche betrifft, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen.
Für Paris hingegen hat die Europäische Kommission das Mandat, ein Abkommen auszuhandeln, das über ein reines Handelsabkommen hinausgeht. Um den Abschluss des Abkommens zu verhindern, versucht Frankreich, die noch zögernden Staaten hinter sich zu vereinen und so eine Sperrminorität zu erreichen. Gelingt das nicht, muss es die Abstimmung der anderen Staaten akzeptieren, auch wenn dies gegen seine Interessen verstößt. Deutschland wurde zum Beispiel bei den Zöllen auf chinesische Elektrofahrzeuge überstimmt.
Wenn Frankreich in Bezug auf das EU-Mercosur-Abkommen nachgibt, wird Deutschland vielleicht eher bereit sein, Mario Draghis Empfehlungen aus seinem Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu folgen und große Summen in die europäische Wirtschaft zu pumpen. Da sein haushaltspolitischer Spielraum größer ist als der anderer Mitgliedstaaten, weckt Berlin Erwartungen. In dem als „sparsam“ geltenden Deutschland ist dieses Thema zwar tabu, aber immerhin hat die potenzielle künftige Koalition bereits mit der Lockerung der Schuldenbremse überrascht, um die Infrastruktur in Deutschland zu erneuern.
Die EU besteht aus Kompromissen, und Kompromisse werden zweifellos für den erfolgreichen Abschluss des Abkommens zwischen der EU und dem Mercosur gebraucht. Die von der französischen Regierung im März 2025 ins Leben gerufene Kommission für eine neue Handelspolitik (Assises de la politique commerciale) zeugt mit ihrer besonderen deutsch-französischen Dimension von der Bereitschaft Frankreichs, die Handelspolitik aus einer neuen Perspektive zu diskutieren. Eine erste Bilanz dieses kollaborativen Prozesses wird auf der Tagung des Präsidialrats für Außenhandel im Mai vorgelegt, bevor im Sommer eine abschließende Zusammenfassung erfolgt.
Übersetzung: Norbert Heikamp
Die Autorin

Marie Krpata ist Forscherin am Komitee für das Studium der deutsch-französischen Beziehungen (Cerfa) am Ifri, wo sie sich insbesondere mit der Europäischen Union und der Außenpolitik Frankreichs und Deutschlands befasst. Als ausgebildete Juristin und Politikwissenschaftlerin führte sie ihre Karriere nach Österreich, Frankreich und Deutschland. Bevor sie im September 2020 zu Cerfa kam, arbeitete sie in Nichtregierungs- und internationalen Organisationen sowie als Beraterin.