Cocoriki:
Der Ton macht die Musik


Waren die Deutschen im Jahr 2000 noch Europameister, ging 2025 der Titel zum zweiten Mal in Folge an die Franzosen. Nein, diesmal geht es ausnahmsweise nicht um Fußball, sondern um eine völlig andere Disziplin: Das Schimpfen und Fluchen am Lenkrad. Cokoriki nimmt Sie mit, in die Welt der gros mots.
Will man die Besonderheiten oder Kuriositäten der französischen Provinz kennenlernen, so sollte man sich die 13-Uhr Nachrichten auf TF1 ansehen. Zum Mittagessen serviert man den Zuschauern – viele davon Rentner – leichte Kost, wie etwa das frisch gewählte schönste Dorf Frankreichs, kuriose Geschichten über Bürgermeister mit einer zündenden Idee oder Reportagen über Küstenstädtchen, die sich dem Massentourismus widersetzen. Kochrezepte und Gartentipps dürfen natürlich auch nicht fehlen. Es sind Wohlfühlnachrichten, bei denen man die Staatsschulden und Streitereien in Paris vergisst, und die Schönheit und Vielfalt des Landes feiert. Vorgetragen wird das Ganze immer mit anerkennendem Kopfschütteln über diese einzigartigen Gallier, pardon Franzosen. Heile Welt! Wenn ich im Homeoffice arbeite, kann auch ich oft der Versuchung nicht widerstehen und schalte zum Mittagessen den Fernseher ein, so auch am 28. Mai dieses Jahres.
Französische Autofahrer auf 180
„Les Français champions d’Europe des insultes au volant. (…)“ Laut einer Studie geben 63 % der Franzosen zu, andere Autofahrer beleidigt zu haben, verkündete die Sprecherin Marie-Sophie Lacarrau schmunzelnd und in der darauf folgenden Reportage erfuhr man die Top drei der am meisten verwendeten gros mots, Schimpfwörter der französischen Autofahrer. Auf dem ersten Platz mit jeweils 43% landen connard/connasse und con/conne, gefolgt von abruti, was eher von älteren Autofahrern benutzt werde. Auf enculé, das Wort mit der Bronzemedaille, geht man dann genauer ein, man will ja politisch korrekt sein: „Das ist eine heterosexistische Beleidigung, also die Beleidigung eines heterosexuellen Mannes, der es darauf abzielt, Schwule abzuwerten“, so ein Anwalt für LGBTQ+ Rechte.
Und die Deutschen, die noch im Jahre 2000 Europameister im Schimpfen am Steuer waren? Sind die etwa ruhiger? Nein! Jeder, der schonmal etwas zu lange auf der Überholspur gefahren ist, weiß das: Einige Autofahrer, denen es zu langsam geht, sind sofort auf 180 und bringen das mit Lichthupe zum Ausdruck. Auch die Deutschen haben übrigens Lieblingsschimpfwörter: Idiot landete im Jahre 2024 auf dem ersten Platz, die Silbermedaille ging an Arschloch, Bronze bekam Penner. Also auch nicht gerade leichte Kost! Leider konnte ich nichts über die Kriterien finden, die einem Land erlaubten auf den Spitzenplatz zu kommen.
Nicht Jugendfrei!
Wissbegierige Leser wollen nun sicher wissen, was die französischen Schimpfwörter genau bedeuten und wie man sie auf Deutsch übersetzen könnte. Nach langen Überlegungen hat sich Cokoriko dazu entschieden, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, möchte sensible Leser aber vorwarnen: Es wird derb! Âmes sensibles s’abstenir!
Connard, Connasse und conne stammen von dem Wort con, das im achtzehnten Jahrhundert abwertend das weibliche Geschlecht bezeichnete, ab dem neunzehnten Jahrhundert dann aber für eine dumme Frau stand. Connasse reduziert, ähnlich wie das deutsche Wort Fotze die Frau ebenfalls auf ihr Geschlechtsteil, die männliche Form connard könnte man vielleicht mit Arschloch übersetzen.

Da ist abruti schon sanfter: Dieses Wort, von dem Lateinischen brutus, man könnte es wohl mit Idiot oder Dummkopf übersetzen, bedeutete ursprünglich körperlich und intellektuell schwerfällig. Enculé – trigger warning – übersetzt mein Wörterbuch mit Wichser, bedeutet aber wörtlich: Jemand, der in den Arsch gefickt wurde.
Das Gesetz ist in beiden Ländern eindeutig, denn Beleidigungen und Beschimpfungen im öffentlichen Raum können mit einer Geldstrafe belegt werden. Auch bei non-verbalen Beleidigungen, wie dem Zeigen des Mittelfingers, bzw. Stinkefingers, in Frankreich übrigens doigt d’honneur („Finger der Ehre“) genannt, gibt es klare Leitlinien. Gemäß § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) kann diese Beleidigung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden (in Frankreich kann das bis zu 12000 Euro sein). Dazu kommt es allerdings nur, wenn es Beweise oder Zeugen gibt.
C’est un scandale!
Solche Zeugen und Beweise in Form von Videoaufnahmen gab es, als der damalige Justizminister Eric Dupond-Moretti 2023 während einer Sitzung in der Assemblée Nationale einen Stinkearm, un bras d’honneur in Richtung von Olivier Marleix, dem Vorsitzenden der Fraktion der Républicains machte. Die Sitzung wurde daraufhin unterbrochen und tout Paris debattierte tagelang darüber, ob es sich für einen Minister schickt, eine solche Geste zu machen. „C‘est un scandale“, echauffierte sich Olivier Faure, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei und die linke Abgeordnete Mathilde Panot bezeichnete das Verhalten des Ministers als seines Amtes unwürdig. Eric Dupond-Moretti entschuldigte sich zwar, doch das Malheur war da. Die Abendnachrichten machten daraus sogar eine französische Besonderheit: „Bagarres, gifles…à l’Assemblée nationale, une tradition française“, konnte man da hören. („Kämpfe, Ohrfeigen… in der Nationalversammlung, eine französische Tradition“)

Ganz so französisch scheint das jedoch nicht zu sein, sonst hätte der Bundestag 2024 die Höhe des Ordnungsgeldes für im Bundestag herumschreiende Abgeordnete nicht drastisch auf bis zu 2000 Euro erhöht. Ist dies ein Zeichen der Verrohung des Umgangstons unserer Gesellschaft? Sollten sich Minister und Abgeordnete nicht vorbildlich verhalten? Noch heikler wird es, wenn der Staatspräsident oder der Bundeskanzler entgleisen.
Von Hofnarren und Impfgegnern
Der sonst besonnene ehemalige Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete dieses Jahr den Berliner Kultursenator Joe Chialo als Hofnarren und löste damit eine Debatte darüber aus, ob es sich dabei um eine rassistische Beleidigung handele. Das sorgte allerdings für weniger Aufregung als folgender Satz des französischen Staatspräsidenten 2022 in einem Interview mit der Zeitung Le Parisien: „Les non-vaccinés, j’ai très envie de les emmerder.“ Keine Fernsehsendung, kein Bistrogespräch und natürlich keine Zeitung kam an diesem Thema vorbei. So schrieb Ouest France besorgt: „Die Äußerungen des Staatsoberhauptes haben heftige Reaktionen seiner politischen Gegner hervorgerufen, die ihm vorwarfen, dadurch zur Spaltung der Gesellschaft beizutragen.“ Auch die deutsche Presse wollte da mithalten, stieß aber auf ein zusätzliches Problem: Wie sollte man das Verb emmerder wohl übersetzen? Merde kennt fast jeder, selbst wenn er kein Französisch spricht, aber emmerder? Die Sueddeutsche Zeitung fand einen Begriff, der dem französischen wohl am nächsten kommt: Jemandem auf den Sack gehen. Die FAZ ging pädagogisch vor: „Macron hatte das Verb ‚emmerder‘ benutzt, das umgangssprachlich für ‚jemanden mächtig nerven‘ benutzt wird, mit einem leicht skatologischen Unterton.“ Die Boulevardzeitung Bild war überraschend zurückhaltend und entschied sich für jemanden schikanieren.
Die deutschen Journalisten waren übrigens nicht die einzigen, die damit zu kämpfen hatten, denn im Englischen variierten die Übersetzungen zwischen den Verben annoy, bug und hassle. Andere, die die vulgäre Bedeutung übersetzen wollten, entschieden sich für das Wort piss off und selbst in den lateinischen Sprachen wie Spanisch und Italienisch war die Übersetzung nicht einfach: far arabbiare (nerven) so die italienische La Repubblica und fastidiar (belästigen) die spanische El Pais.
Schimpfen in einer Fremdsprache…keine leichte Sache, eines ist jedoch sicher: Die Welt hatte ein neues französisches Verb gelernt. Softpower pur!
PS: Emmanuel Macron ist nicht der erste Präsident, der mit einem gros mot für Aufsehen sorgte, denn am 23. Februar beschimpfte Nicolas Sarkozy auf der Landwirtschaftsmesse einen Bürger, der ihm nicht die Hand geben wollte mit den Worten Casse-toi, pauv’con. Aber das ist eine andere Geschichte…
Der Autor

Der in Hessen geborene Frank Gröninger wohnt seit 1993 in Paris, wo er als Lehrer für Deutsch und interkulturelle Beziehungen unter anderem für das französische Außenministerium und Sciences Po, dem Institut für politische Wissenschaften arbeitet. 2021 erschien sein Buch „Douce Frankreich: die Abenteuer eines Deutschen in Paris“, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch, 2022 sein zweites Buch, „Dessine-moi un(e) Allemand(e)“.