Spuren der Vergangenheit:
Französisch Buchholz – eine Hugenotten-Ortschaft in Berlin

Spuren der Vergangenheit: Französisch Buchholz – eine Hugenotten-Ortschaft in Berlin
  • VeröffentlichtJuni 17, 2025
Copyright: Wikimedia Commons
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Das von Heinrich IV. im Jahr 1598 unterzeichnete Edikt von Nantes gewährte Katholiken und Protestanten die bürgerliche Gleichstellung. In die Geschichte eingegangen ist jedoch vor allem seine Aufhebung durch das Edikt von Fontainebleau, das 1685 von Ludwig XIV. erlassen wurde – mit der Folge, dass Zehntausende Protestanten ins Exil gingen, vor allem in die Niederlande und nach Deutschland.

 

Die meisten Hugenotten – Schätzungen zufolge 20.000 aus Lothringen – wurden von Friedrich Wilhelm I. (1620-1688), Kurfürst von Brandenburg und ab 1640 Herzog in Preußen, aufgenommen. Im Französischen Dom, den die protestantische Gemeinde 1705 im historischen Zentrum Berlins errichtete, erinnert heute ein Hugenottenmuseum an die Geschichte der französischen Protestanten in Berlin und Brandenburg. Es zeigt ihren Einfluss auf die Region – insbesondere durch ihre Kompetenzen in Handel, Landwirtschaft, Handwerk, Juwelierkunst, Medizin und Textilindustrie. Die Hugenotten gründeten Schulen und förderten die Verbreitung der französischen Sprache. Der deutschen Sprache haben wir ihnen Wörter wie Café, Restaurant oder Trottoir zu verdanken. Auch Artischocken, Spargel und grüne Bohnen wurden durch sie in Deutschland bekannt. Gleichzeitig betrieben sie aktiv ihre Integration, lernten Deutsch und heirateten Deutsche. Ihnen zu Ehren wurde im Jahr 1706 die Französische Straße benannt – eine der bekanntesten Straßen im historischen Zentrum Berlins.

 

Ein Ort mit doppelter Geschichte

Im Westen Berlins jedoch ist das Andenken vielleicht nicht am auffälligsten, aber am lebendigsten – in Französisch Buchholz, einem Ortsteil des Bezirks Pankow, der während des Kalten Krieges als Sitz der DDR-Regierung galt. In der Bundesrepublik sprach man gerne vom „Regime von Pankow“, wenn Ost-Berlin gemeint war. Das Dorf wurde erstmals 1242 unter dem Namen Buckholtz erwähnt – benannt nach einem Buchenwald – und hat eine deutsch-französische Geschichte. 1670 fiel es an den Kurfürsten, der dort 16 Familien französischer Bauern und Gärtner ansiedelte. Dafür stellte er jährlich 40.000 Taler bereit. 1688 lebten 87 Menschen dort, 1734 waren es 213 – ein Drittel davon Hugenotten.

 

Wallfahrt nach Französisch Bucholz. Kupferstich von Daniel Nikolaus Chodowiecki (Copyright: Wikimedia Commons)
Wallfahrt nach Französisch Bucholz. Kupferstich von Daniel Nikolaus Chodowiecki (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Die ersten Flüchtlinge trugen die Namen Arnoux, Aubert und Guyot – nach ihnen sind heute Straßen benannt. Ihre Gräber sind teils noch auf dem Friedhof erhalten, in dessen Mitte eine protestantische Kapelle steht. Einige ihrer Nachkommen wurden bekannt: Der Sohn des Pfarrers Charles Ancillon (1659-1715), Louis Frédéric (1740-1814), wurde Theologe und Philosoph. Dessen Enkel, Jean-Pierre Frédéric (1753-1809), war Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften – und wurde sogar preußischer Minister. 1786 hielt er die Trauerrede auf Friedrich II. (1712-1786), den in Frankreich als „der alte Fritz“ bekannten König von Preußen. Friedrich war ein Freund Voltaires und galt als Vertreter des aufgeklärten Absolutismus.

 

Erinnerung, Aufklärung und Toleranz

Die Jean-Calas-Straße in Französisch Buchholz erinnert an einen Justizskandal, den Voltaire in seinem Traktat über die Toleranz bekannt machte. Jean Calas, ein protestantischer Kaufmann aus Toulouse, wurde 1762 wegen angeblichen Mordes an seinem Sohn Marc-Antoine – um dessen Übertritt zum Katholizismus zu verhindern – auf das Rad geflochten und später verbrannt. Drei Jahre später wurde er rehabilitiert. Sein Sohn Pierre floh nach Genf, traf dort Voltaire und überzeugte ihn von der Unschuld des Vaters. Voltaire forderte eine Revision des Prozesses – alle Angeklagten wurden freigesprochen, nur Jean Calas nicht. In ganz Frankreich gibt es vier Jean-Calas-Straßen – in Deutschland nur eine: in Französisch Buchholz.

 

Die Kiez-Kirche in Französisch Buchholz wurde nach Albert Hurtienne benannt (Copyright: Wikimedia Commons)
Die Kiez-Kirche in Französisch Buchholz wurde nach Albert Hurtienne benannt (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Ein weiterer Hugenotte, der nur in Berlin geehrt wird, ist der Luftfahrtpionier Jean-Pierre Blanchard. 1788 beendete er eine Ballonfahrt von Tiergarten nach Französisch Buchholz – drei Jahre nach seiner erfolgreichen Überquerung des Ärmelkanals. Es war der erste Überflug Berlins. Die Franzosen waren so beliebt, dass die Hugenotten ab den 1860er Jahren nur noch von „Französisch Buchholz“ sprachen, wenn sie mit der neuen Pferdebahn zum Alexanderplatz fuhren. 1910 vereinigte Pfarrer Albert Hurtienne (1868–1939) die lutherische und die Hugenottengemeinde und begann mit dem Bau eines neuen Gotteshauses – auf dem Platz, der heute seinen Namen trägt. Französisch Buchholz pflegt seine Geschichte. 1913 jedoch, unter dem Eindruck antifranzösischer Ressentiments, verlor der Ort offiziell den Zusatz „Französisch“ und hieß bis 2001 „Berlin-Buchholz“. Auf Initiative mehrerer lokaler Vereine beschloss die Bezirksverwaltung die Rückkehr zum alten Namen. Begründet wurde dies mit einer Bronzetafel, die von der „französisch-deutschen Tradition fruchtbaren Wirkens, geprägt von Toleranz und Respekt“ spricht – und damit Geschichte und Gegenwart miteinander verbindet.

 

Hugenottenflucht und heutige Migrationsdebatte

In vielen weiteren deutschen Orten war die Ansiedlung von Hugenotten entscheidend für die Entwicklung von Gemeinde und Umland. Doch Französisch Buchholz ist der einzige Ort in Deutschland, dessen Name das Adjektiv „französisch“ enthält. Es liegt nahe, das Phänomen der Hugenottenflucht im 17. Jahrhundert mit der heutigen Migrationspolitik im 21. Jahrhundert zu vergleichen – doch ein solcher Vergleich hinkt: Die Hugenotten suchten aus religiösen Gründen Zuflucht, oft in Regionen, die vom Dreißigjährigen Krieg zerstört waren und wo alles neu aufgebaut werden musste. Der calvinistisch geprägte preußische Herrscher, der lange in den Niederlanden gelebt hatte, erbte ein vom Krieg gezeichnetes Land, bedroht von Polen und besetzt von schwedischen Truppen. Im Rahmen einer umfassenden Wirtschaftsreform gewährte er mit dem Edikt von Potsdam 1685 französischen Hugenotten Asyl – auch in Französisch Buchholz – um Berlin und Brandenburg zu stärken.

 

Allemagne-en-Provence, Dorfeingang (Copyright: Wikimedia Commons)
Allemagne-en-Provence, Dorfeingang (Copyright: Wikimedia Commons)

 

Dass heute ein deutsches Dorf im Namen auf Frankreich verweist, ist westlich des Rheins ohne Beispiel. Abgesehen von Allemagne-en-Provence (in den französischen Alpen), tragen viele Orte, Weiler und Flurnamen in Frankreich die Bezeichnung les Allemands oder les Allemans. Diese gehen jedoch eher auf die Alamannen zurück, ein germanischer Stamm, der ab dem 3. Jahrhundert nach Christus das heutige Frankreich besiedelte – wie auch andere sogenannte „barbarische“ oder „germanische“ Stämme wie die Goten, Burgunder oder Vandalen. In vielen Fällen hat der Ortsname nichts mit diesen Völkern zu tun – und dennoch haben nur wenige Gemeinden später ihren Namen geändert, um Missverständnisse zu vermeiden. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass die oft behauptete Germanophobie der Franzosen doch nicht so tief verwurzelt ist.

 

Der Autor

Gérard Foussier (Copyright: privat)

Gérard Foussier schloss 1969 sein Studium der Germanistik an der Universität seiner Heimatstadt Orléans ab und entdeckte seine Leidenschaft für die deutsch-französischen Beziehungen durch die Städtepartnerschaft mit Münster in Westfalen. Nach seiner Ausbildung zum Journalisten bei den Westfälischen Nachrichten arbeitete er drei Jahrzehnte lang für den deutschen Rundfunk Deutsche Welle in Köln und dann in Bonn, bevor er 2005 zum Präsidenten des Bureau International de Liaison et de Documentation (B.I.L.D.) gewählt wurde. Er war 13 Jahre lang Chefredakteur der zweisprachigen Zeitschrift Dokumente/Documents und ist Autor mehrerer Bücher. Sein letztes Buch, Allemanderies, wurde im Januar 2023 veröffentlicht. Er besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes.

 

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