La Route des Falaises:
Geschichte auf der Klippe

La Route des Falaises: Geschichte auf der Klippe
  • VeröffentlichtJuni 25, 2025
Wegweiser auf der Route des Falaises (Copyright: Hilke Maunder)
Wegweiser auf der Route des Falaises (Copyright: Hilke Maunder)

Die Route des Falaises zählt zu Frankreichs spektakulärsten Küstenstrecken. Auf 58 Kilometern türmen sich zwischen Tréveneuc und der Abtei Beauport bei Paimpol die höchsten Steilklippen der Bretagne bis zu 104 Meter in den Himmel. Doch die zerklüftete Nordküste ist weit mehr als ein Naturschauspiel – sie ist ein Geschichtsbuch aus Stein.

 

Kormorane kreisen über schwarzen Felsen. Wanderfalken nisten in unzugänglichen Felsnischen. Zwischen Ginster und Heide verstecken sich Bunkerruinen des Atlantikwalls. Geheime Tunnel führen zu Stränden, wo einst Résistance-Kämpfer alliierte Piloten retteten. Napoleonische Signalstationen wachen über Buchten, die Schmugglern als Versteck dienten: Schritt für Schritt überrascht die markierte Themenroute des nordbretonischen Departements Côtes-d’Armor. Sie folgt der legendären Grande Randonnée GR34, die heute auf den Pfaden des Sentier des Douaniers einmal die gesamte Küste der Bretagne umrundet.

Was heute Wanderer und Radfahrer begeistert, war einst Patrouillenweg der Zöllner. Im 18. Jahrhundert legten die Behörden diesen Pfad systematisch an, um Schmuggler zu bekämpfen. Besonders während Napoleons Kontinentalsperre ab 1806 blühte der illegale Handel mit britischen Waren. Die Zöllner patrouillierten bei jedem Wetter auf den gefährlichen Klippenwegen. Mehrmals täglich, auch nachts, suchten sie Buchten und Grotten ab. Bewaffnete Schmuggler schreckten vor Gewalt nicht zurück. Salz, Alkohol, Tabak, Textilien, Kaffee und Luxuswaren wechselten heimlich den Besitzer. Ganze Dorfgemeinschaften profitierten vom verbotenen Geschäft.

 

Saint-Quay-Portrieux: Muschelhauptstadt der Bretagne

Im Süden beginnt die markierte Themenroute am Tiefwasserhafen von Saint-Quay-Portrieux, wo 80 Fischerboote den Kai säumen. Bei Ebbe – acht Meter beträgt der Tidenhub – fallen sie trocken und liegen im Watt, das sich sechs Stunden lang in ein Eldorado der Fußfischerei verwandelt. Mit Eimer oder Korb, Schaufel und Messer ziehen dann die Einheimischen hinaus und sammeln bei der pêche à pied (Fußfischerei) topfrisch die Meeresfrüchte für ihr ganz persönliches Plateau de fruits de mer ein. Saint-Quay-Portrieux nennt sich stolz „Muschelhauptstadt der Bretagne“. Von November bis April dreggen Fischer hier jährlich mehr als 6.000 Tonnen Jakobsmuscheln aus der Bucht von Saint-Brieuc.

Pornichet: Pêche à Pied (Sammeln von Muscheln, Schnecken und anderem Meeresgetier zum Privatgebrauch) (Copyright: Hilke Maunder)
Pêche à Pied (Sammeln von Muscheln, Schnecken und anderem Meeresgetier zum Privatgebrauch) (Copyright: Hilke Maunder)

Über dem Ort ragt die Pointe du Sémaphore 100 Meter empor. Bereits die Römer errichteten hier eine Wachtstation. Der 1860 erbaute Leuchtturm bietet 180-Grad-Panorama: vom Cap Fréhel gen Süden bis zum Bréhat-Archipel gen Norden. Eine Orientierungstafel erklärt jeden Küstenabschnitt.

Die Île de la Comtesse lockt bei Ebbe Spaziergänger. Die kleine Insel verdankt ihren Namen herrischen Gräfinnen vergangener Jahrhunderte. Heute gehört sie der Gemeinde – samt Mauerreste, die fälschlicherweise für Festungsanlagen gehalten wurden. In Wahrheit dienten sie einst als Windschutz für einen Garten

 

Tréveneuc: Wo Fischer noch an Pfählen festmachen

Zehn Kilometer westlich wartet Tréveneuc mit einem der letzten Pfahlhäfen Europas. Im Port Goret befestigen Fischer ihre Boote noch immer an Holzpfählen – eine jahrhundertealte Tradition. An der Grève Saint-Marc wird geankert – und die Ladung in Kisten oder flachen Booten, per Hand gezogen, an Land geschleppt. Nicht auf feinem Sand, sondern auf großen Kieseln – denn genau das unterscheidet eine grève von einer plage. Während eine plage nur feinster Sand bedeckt, präsentiert sich eine grève als Bucht mit Kies, Geröll oder anderem groben Untergrund. Und so lockt diese Bucht nicht Badelustige, sondern Genießer. Denn hier verkaufen Les Viviers de Saint Marc topfrische Meeresfrüchte – und servieren sie mittags im hauseigenen Restaurant. In den Wasserbecken warten Hummer mit blauen Panzern, Seespinnen mit versteckten Augen, Langusten mit langen Scheren, flache Austern, schwarzschalige Miesmuscheln, längliche Pfahlmuscheln und runde Venusmuscheln auf Käufer.

 

Pfahlhafen auf der Route des Falaises (Copyright: Hilke Maunder)
Pfahlhafen auf der Route des Falaises (Copyright: Hilke Maunder)

 

Auf und ab, mal direkt am Meer, dann wieder etwas landein, kurvt und schlängelt sich die Route des Falaises die Côte du Goëlo entlang nach Nordwesten. An der Pointe du Bec de Vir bei Tréveneuc tauchen bei Ebbe untermeerische Plateaus, Felsinselchen und Riffe auf. Hier nutzte nicht nur die Pêcherie Pors Goret einst das Gezeitenwasser, um Fische zu fangen. Die Methode war ebenso einfach wie wirkungsvoll: Aus Steinen wurde ein gored (bretonisch für Fischfalle) als halbkreisförmige Mauer aufgerichtet, in den die Fische mit der Flut hineinschwammen. Wenn das Wasser bei Ebbe zurückging, blieben die Fische im ummauerten Becken zurück und konnten leicht eingesammelt werden – Fischfang ganz ohne Netze oder Boote.

 

Plouha: Höchste Klippen und geheime Rettungsmissionen

Bei Plouha erreicht die Route ihren sprichwörtlichen Höhepunkt. 104 Meter hoch stürzt die Pointe de Plouha hier senkrecht ins Meer – Rekord für die Bretagne. Gneis und Granit, mehrere hundert Millionen Jahre alt, trotzen Wind und Wellen mit eiserner Beständigkeit. Kormorane, Möwen und Seeschwalben bevölkern die Felswände. Meerfenchel und Felsen-Spergularie behaupten sich gegen Salzgischt und Sturm. Ihre dicken, wasserspeichernden Blätter sind perfekt an die extremen Bedingungen angepasst.

Zwischen goldgelbem Ginster und violetter Besenheide führt ein Pfad zur Anse Cochat. Versteckte Buchten wie diese boten Schmugglern perfekte Tarnung. Lokale Legenden erzählen noch heute von versunkenen Schätzen und nächtlichen Landungen. Heute heißt die Bucht Plage Bonaparte – zu Ehren einer der mutigsten Rettungsaktionen des Zweiten Weltkriegs. Erst 1973 wurde hier als Strandzugang ein Tunnel angelegt. Vorher war die Bucht nahezu unzugänglich. Das machte sie zum perfekten Schauplatz für eine spektakuläre Rettungsaktion der französischen Résistance.

 

Gedenktafel am Plage Bonarparte (Copyright: Hilke Maunder)
Gedenktafel am Plage Bonarparte (Copyright: Hilke Maunder)

 

Von Januar bis Juli 1944 rettete hier das Réseau Shelburn 142 Menschen vor den Nazis: 135 alliierte Piloten und 15 Agenten. In mondlosen Nächten geleiteten Résistance-Kämpfer die Flüchtlinge über verminte Pfade zur Küste. Britische Schnellboote warteten mit dem Morsecode-Signal „B“ wie Bonaparte. Als letzter Unterschlupf diente die Maison d’Alphonse. Von dort liefen die Geretteten zwei Kilometer durch die Dunkelheit – vorbei an deutschen Bunkern. Das Risiko war enorm, der Erfolg legendär. Eine Gedenkstele erinnert an diese Helden ohne Uniform.

 

Plouézec: Vulkanfeuer und Austernparks

Westlich von Plouha verändert sich die Geologie dramatisch. Die Pointe de Bilfot und Pointe de Minard bestehen aus vulkanischen Gesteinen. Dunkle Kissenlaven zeugen von urzeitlichen Ausbrüchen. Diese schwarzen Felsen unterscheiden sich markant vom hellen Granit der östlichen Küste.

 

La Pointe de Minard (Copyright: Hilke Maunder)
La Pointe de Minard (Copyright: Hilke Maunder)

 

Die Pointe de Bilfot beherbergte im Zweiten Weltkrieg einen deutschen Stützpunkt mit Code PO24. Kasematte Typ 612 und MG-Nester sind noch erkennbar. Heute eröffnen sich vom 104 Meter hohen Aussichtspunkt Bilderbuch-Panoramen über die Bucht von Paimpol und den Bréhat-Archipel mit ihren zahlreichen Buchten und Inseln aus rotem Felsen – Vorboten der berühmten Côte du Granit Rose bei Trégastel. Hier heißt die wilde Küste noch Côte du Goëlo. Einst drehten sich unzählige Windmühlen auf den Klippen. Als letzter Zeuge erzählt davon der Moulin de Craca. 60 Meter hoch thront die 1844 erbaute Windmühle über dem Meer und diente nicht nur dem Müller zum Mahlen des Korns, sondern auch den Schiffen als Navigationshilfe. Nach ihrem Verfall kaufte die Gemeinde 1993 die Ruine. Zwischen 1994 und 2001 entstand eine perfekte Rekonstruktion mit funktionsfähigem Mahlwerk.

5000 Kastanienholzschindeln bedecken die elf Meter hohe Mühle. 16,50 Meter breit spannen sich ihre Flügel – und folgen am drehbaren Dach dem Wind. Jedes Jahr im August feiert Noz Ar Vilin bretonische Musik und Tradition rund um das Wahrzeichen.

Die Pointe de Bilfot gilt als einer der schönsten Gleitschirmflug-Spots der Côtes-d’Armor. Thermik und Dynamik ermöglichen spektakuläre Flüge über die Bucht von Paimpol. Weitere beliebte Startplätze sind Bréhec zwischen Plouha und Plouézec sowie die Croix des Veuves bei Paimpol.

Bei Port Lazo erstreckt sich einer der größten Austernparks Frankreichs. Auf rund 500 Hektar im Meer reifen Austern-Larven aus der Charente-Maritime und der Vendée hier zur köstlichen huîtres creuses heran – 7000 Tonnen Hohlraumaustern, und damit fünf Prozent der französischen Gesamtproduktion, produzieren hier die 90 Unternehmen der örtlichen Austernwirtschaft.

 

Paimpol: Heimathafen der Islandfischer

Dann reckt sich die Pointe de Guilben weit in die Bucht. Vulkanische Kissenlaven prägen die Landspitze, die bei Ebbe riesige Sandflächen freigibt.

Wenig weiter erhebt sich imposant eine berühmte Abtei zwischen Meer und Sumpf. Beauport – schöner Hafen – nannten sie die Prämonstraten, die sie ab 1202 in anglo-normannischer Gotik aus Granit, Sandstein und Schiefer errichteten. Ihr Name war Programm. Die Mönche handelten über das Meer, bewirtschafteten große Ländereien und nahmen England-Pilger auf dem Jakobsweg auf. Zur Abtei führt – auf den Pfaden der Route des Falaises – auch bis heute der Tro Breiz, der bretonische Pilgerwegs zu den sieben Gründervätern der Bretagne. Auch unterwegs bezeugen bei der Klippenfahrt Kirchen und Kapellen die tiefe Religiosität der Bretonen. In Lanloup bewahrt eine boîte à chef die Schädel bedeutender Gemeindemitglieder – ein seltener Brauch aus der Zeit nach dem Verbot der Kirchenbestattungen.

 

Abtei von Beauport in Paimpol (Copyright: Hilke Maunder)
Abtei von Beauport in Paimpol (Copyright: Hilke Maunder)

 

Nach der Französischen Revolution erwarb 1797 Louis Morand, ein Islandfischer aus Paimpol, Teile des Anwesens. Paimpol war einst die legendäre Hafenstadt der Islandfischer. Von 1852 bis 1935 liefen hier 80 Schoner zu den Kabeljaugründen vor Island und Neufundland aus. Pierre Lotis Roman „Die Islandfischer“ (1886) verewigte das harte Leben der Seeleute. Mehr als 2000 Fischer verloren bei diesen gefährlichen Fahrten ihr Leben.

Das Musée Municipal de la Mer dokumentiert das Schicksal der Fischerfamilien. Seemannslieder und Weltmusik erklingen beim jährlichen Festival du Chant de Marin, das alljährlich im September mit Shanties aus aller Welt an die große Zeit des legendären Hafens erinnert.

Heute haben längst die Caféterrassen die Kais erobert, und Hunderte Segeljachten und sowie eine Handvoll farbiger Nostalgiekutter bilden die Kulisse zum Apéro. Hier verabschiedet sich die Route des Falaises, die viel mehr ist als eine Themenroute für Wanderer, Radfahrer und Ausflügler mit eigenem Gefährt. Sie ist eine Zeitreise durch die bewegte Geschichte der Bretagne, wo sich Natur und Kultur zu einem einzigartigen Erlebnis verweben.

 

Die Autorin

Hilke Maunder
Hilke Maunder (Copyright: Lara Maunder)

Hilke Maunder, 1961 in Hamburg geboren, kam nach ihrem Anglistikstudium und Volontariat 1989 als Redakteurin zu den Lübecker Nachrichten in Mecklenburg, ging als Korrespondentin nach China, Vietnam, ins Baltikum und nach Australien und berichtet seit 2010 aus Frankreich. 2014 wurde sie für ihre Arbeit und ihren Blog „Mein Frankreich“ mit der Médaille de Tourisme ausgezeichnet, 2023 mit dem Gutedelpreis.

 

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