Deutsch-Französische Brigade:
Es braucht mehr als gemeinsame Paraden


Die Deutsch-Französische Brigade war bei ihrer Gründung 1989 ein revolutionäres Projekt: Zum ersten Mal in der europäischen Geschichte dienten Soldaten zweier ehemals verfeindeter Staaten dauerhaft unter gemeinsamer Führung – auch in Friedenszeiten. Heute gilt die Brigade als Symbol europäischer Integration, aber auch als Spiegelbild ihrer Widersprüche.
Die Entstehung der Brigade geht zurück auf ein Gipfeltreffen von Helmut Kohl und François Mitterrand 1987 in Karlsruhe. Vor dem Hintergrund globaler Umbrüche – insbesondere der Abrüstungsgespräche zwischen den USA und der Sowjetunion und wachsender Unsicherheit über die künftige Rolle Amerikas in Europa – suchten Deutschland und Frankreich nach einer gemeinsamen sicherheitspolitischen Antwort. Die Gründung einer gemeinsamen Brigade war dabei nicht nur ein militärischer Schritt, sondern vor allem ein politischer: Sie sollte die strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich vertiefen und als Nukleus für eine europäische Verteidigung dienen. Die Brigade wurde 1989 aufgestellt und ein Jahr später feierlich in Dienst gestellt. Der Wahlspruch – „Dem Besten verpflichtet / Devoir d’excellence“ – zeigte den Anspruch, Vorbild für ein neues Kapitel europäischer Zusammenarbeit zu sein. Doch schon bald wurde klar: Der Alltag binationaler Kooperation ist komplizierter als jedes Protokoll.
Anspruch und Realität im Einsatz
Die Einheit nahm an mehreren Auslandseinsätzen teil, etwa in Bosnien-Herzegowina (SFOR), im Kosovo (KFOR) und später in Afghanistan (ISAF). Auch an der EU-Ausbildungsmission EUTM sowie MINUSMA in Mali beteiligten sich Kräfte der Brigade. Es zeigte sich aber schnell: In der praktischen Einsatzrealität erwies sich ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen Deutschlands und Frankreichs als Ausnahmefall. Dies lag nicht an fehlender Einsatzbereitschaft, sondern an strukturellen Hürden. Frankreich und Deutschland unterscheiden sich stark in ihrer sicherheitspolitischen Kultur. Frankreich handelt rascher, eigenständiger, strategischer und mit robusterem Mandat. Deutschland dagegen war und ist durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz stärker gebunden, Entscheidungsprozesse sind komplexer und langsamer. Im Ergebnis führte dies dazu, dass die Brigade zwar auf dem Papier gemeinsam agierte, in der Realität aber oft getrennt eingesetzt wurde.
Es kam alles in allem lediglich in zwei Fällen zu einem gemeinsamen Einsatz der Brigade: erstmals ab 1997 in Bosnien-Herzegowina sowie 2004 in Afghanistan. Der gemeinsame Einsatz in Kabul währte jedoch nur für die Dauer eines einzigen Kontingents. Bereits danach trennten sich die Wege: Frankreich verlegte seine Truppen unter ISAF-Mandat in den Osten Afghanistans, während deutsche Kräfte in den Norden, nach Mazar-e-Sharif, entsandt wurden.
Im Gegensatz dazu handelte es sich bei den Einsätzen im Kosovo und in Mali nicht um gemeinsam geführte Operationen. Besonders im Fall des Kosovo, so erinnerte Generalmajor a.D. Walter Spindler, ehemaliger Kommandeur der Deutsch-Französischen Brigade, sei die Trennung von Anfang an politisch intendiert gewesen: „Man hat nebeneinander, nicht miteinander geplant“. Auch die Einsätze in Mali spiegelten diese strukturelle Divergenz wider: Während Frankreich im Rahmen der Operation Barkhane Kampfeinsätze durchführte, beschränkte sich das deutsche Engagement auf Unterstützungs- und Ausbildungsmissionen ohne direkte Gefechtsbeteiligung.
Alltag zwischen Integration und Parallelität
Auch im Alltag der Brigade zeigte sich, wie anspruchsvoll echte Integration im militärischen Kontext ist. Unterschiede im Selbstverständnis, in der Ausbildung, bei den Laufbahnsystemen sowie im disziplinarischen und sozialen Gefüge führten dazu, dass deutsche und französische Soldaten häufig nebeneinander, aber nicht miteinander dienten. Der Sprachgebrauch spiegelt diese Parallelität deutlich wider: In der Anfangszeit wurde in den Stäben ausschließlich Deutsch und Französisch gesprochen. Erst durch die zunehmende Einbindung der Brigade in multinationale Strukturen – etwa im Rahmen des Eurokorps – setzte sich dort schrittweise Englisch als Arbeitssprache durch.

Zwar gibt es gemeinsame Übungen, multinationale Dienstposten und vereinzelt auch Versuche, eine gemeinsame Identität zu fördern, etwa durch bilaterale Veranstaltungen oder gemischte Formationen. Doch diese Maßnahmen blieben punktuell. Ein korpsübergreifendes Zugehörigkeitsgefühl – im Sinne einer gemeinsamen Identifikation über nationale Grenzen hinweg – entwickelte sich nur vereinzelt, meist abhängig vom persönlichen Engagement einzelner Führungskräfte. Eine grenzüberschreitende Militärkultur entstand allenfalls in Ansätzen – nicht als Ergebnis institutioneller Steuerung, sondern durch gewachsene Erfahrung und Zusammenarbeit im Einsatz.
Politischer Wille? Uneindeutig
Diese Schwierigkeiten wurzeln jedoch tiefer. Die Brigade wurde stets zwischen politischem Anspruch und militärischer Praxis zerrieben. Frankreich betrachtet die Brigade als Instrument strategischer Handlungsfähigkeit – als potenziellen operativen Großverband mit europäischer Perspektive. Deutschland hingegen betonte lange vor allem die symbolische und ausbildungsorientierte Dimension. Diese Differenz trat zuletzt im Januar 2025 erneut zutage: Nach einem Treffen der Verteidigungsminister Boris Pistorius und Sébastien Lecornu unterzeichneten beide Regierungen eine neue Absichtserklärung, in der die Deutsch-Französische Brigade für drei Jahre dem Multinationalen Korps Nordost in Stettin unter NATO-Führung unterstellt wird. Auffällig war dabei, in welch unterschiedlichem Licht die Brigade in den jeweiligen nationalen Fassungen der Erklärung erschien: Während Paris von einer einsatzfähigen, operativen Brigade sprach, rückte Berlin vorrangig ihren Ausbildungs- und Übungscharakter in den Vordergrund. Auf Ebene der Brigade und ihrer Soldaten ist der Wille zu echter Einsatzfähigkeit vorhanden, um als geschlossenes Element eingesetzt zu werden. Doch auf dem Weg dorthin stehen Ministerien, Abstimmungsprozesse, nationale Mandate – und ein Mangel an politischer Entschlossenheit.

Mein Gespräch mit der Brigadeführung im Mai 2025 zeigt: Der Wunsch nach echter Einsatzfähigkeit ist vorhanden. Die Kommandeure würden die Brigade gern als geschlossenes Element in internationale Einsätze schicken. Doch auf dem Weg dorthin stehen Ministerien, Abstimmungsprozesse, nationale Mandate – und ein Mangel an politischer Entschlossenheit. Darüber hinaus fehlt der Brigade eine klare strategische Zielrichtung. Soll sie ein Vorbild für künftige europäische Truppenverbände sein – oder bleibt sie ein diplomatisches Relikt, das hauptsächlich symbolisch wirkt? Gerade in Zeiten zunehmender geopolitischer Unsicherheit – etwa durch Russlands Krieg gegen die Ukraine oder wachsenden Druck im indopazifischen Raum – wäre ein handlungsfähiger europäischer Großverband von großem Wert. Doch solange sich Frankreich und Deutschland nicht auf ein gemeinsames Verständnis einigen, bleibt die Brigade strategisch orientierungslos.
Zeitenwende als Chance?
Die seit 2022 ausgerufene „Zeitenwende“ in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, sowie der mögliche geopolitische Rückzug der USA aus Europa lassen die Frage nach einer eigenständigen europäischen Sicherheitsarchitektur dringlicher erscheinen als jemals zuvor. Vor diesem Hintergrund rückt die Brigade wieder stärker in den Fokus – nicht nur als Übungsplattform, sondern als operativer Vorreiter für eine europäisch gedachte Verteidigung. Dazu muss sich jedoch auch die politische Rahmung ändern. Wenn die Brigade über symbolische Existenz hinauswachsen soll, müssen strukturelle Fragen geklärt werden: Eine stärkere Mandatsangleichung, gemeinsame Einsatzdoktrinen und echte Führungsgemeinschaften wären erste Schritte. Es braucht aber eine Klarheit des politischen Willens, der über wohlformulierte Absichtserklärungen hinausgeht. Wenn die Brigade ein operativer Großverband sein soll, muss sie als solcher eingesetzt werden.
Die Brigade ist ein Spiegel europäischer Ambitionen und ihrer Grenzen. Wenn Europa sicherheitspolitisch ernst genommen werden will, braucht es mehr als gemeinsame Paraden. Es braucht Strukturen, Verlässlichkeit, Klarheit. Die Brigade kann das leisten. Aber nur, wenn sie politisch gewollt ist. Der Ball liegt nicht bei den Soldaten. Er liegt bei den politischen Verantwortlichen.
Der Autor

Benjamin Pfannes, M.A., studierte Geschichte und Französisch sowie Neuere und Neueste Geschichte in Mainz und Dijon. Während seines Studiums arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Zeitgeschichte und am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschen und französischen Geschichte des 20. Jahrhunderts – mit einem besonderen Fokus auf den Nationalsozialismus – sowie in der deutsch-französischen Außen- und Sicherheitspolitik des 20. und 21. Jahrhunderts. Derzeit promoviert er bei Sönke Neitzel an der Universität Potsdam zur Rolle der Deutsch-Französischen Brigade in der bilateralen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich.
Dieser Beitrag wurde am 8. März 2025 im Rahmen eines Workshops für französische und deutsche Doktoranden vorgestellt, der gemeinsam vom Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Universität Bonn) und dem Centre d’Excellence Jean Monnet (Universität Straßburg) organisiert wurde.
Mit Unterstützung der Deutsch-Französischen Hochschule und der Deutschen Sparkassenstiftung für internationale Kooperation e.V.