Weimarer Dreieck:
Auf dem Weg zur Renaissance?


Mit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus drohen Spannungen in der NATO und eine Abschwächung der Unterstützung für die Ukraine. Welche Rolle kann das Weimarer Dreieck in dieser Situation übernehmen?
Das 1991 ins Leben gerufene Weimarer Dreieck galt über viele Jahre eher als Problemfall denn als Impulsgeber in Europa. Besonders mit der PiS-Regierung ab 2015 kühlten die Beziehungen zwischen Berlin, Paris und Warschau spürbar ab. Schon in den Jahren zuvor hatte das Format mit Legitimationsschwierigkeiten zu kämpfen, hatte es doch mit dem EU-Beitritt Polens (2004) seine ursprüngliche Raison d’être verloren. Dreier-Treffen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs fanden nicht mehr statt, lediglich auf Ministerebene kam es hin und wieder zu Gesprächen im Weimarer Format.
Neue Impulse
2022 kam das Weimarer Dreieck wieder in Schwung. Dazu trug vor allem der Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine bei. Bereits kurz zuvor (8. Februar 2022) hatten sich Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Andrzej Duda in Berlin getroffen, um sich abzustimmen. In den Monaten danach folgten weitere Treffen, in deutlich erhöhter Frequenz gegenüber den Vorjahren. In einigen Themen förderte diese verstärkte Abstimmung auch tatsächlich eine neue Dynamik zu Tage. Ein gutes Beispiel dafür ist die EU-Erweiterungspolitik, in der sich die zuvor weit auseinander gehenden Positionen Deutschlands, Frankreichs und Polens deutlich annäherten.
Ein weiteres Fenster zu verbesserter Kooperation eröffnete im Dezember 2023 die erneute Wahl Donald Tusks zum Ministerpräsidenten. Mit Tusk kam ein Regierungschef zurück ins Amt, der deutlich pro-europäischer und auch freundlicher gegenüber Deutschland und Frankreich eingestellt ist als die Vertreter der PiS-Regierung zuvor. Tusk und seine Regierungsmannschaft konnten zwar bei weitem noch nicht alle Uneinigkeiten der vergangenen Jahre beiseite räumen. Auch befindet sich Tusk in der Außen- wie auch in der Innenpolitik im Widerstreit mit dem PiS-nahen Andrzej Duda, der weiterhin das Präsidentenamt innehält.

Grenzen der Zusammenarbeit
Trotz einer zunächst positiven Dynamik wurden rasch die Grenzen der Zusammenarbeit im Rahmen des Weimarer Dreiecks deutlich. Erstens änderte der neue Enthusiasmus nichts daran, dass Berlin, Paris und Warschau mit Blick auf die großen Themen unserer Zeit weiterhin sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen. Am deutlichsten wurde dies immer wieder in der Ukraine-Politik, dem auch im Weimar-Format deutlich dominierenden Thema der letzten Jahre. Während Polen die Ukraine nahezu uneingeschränkt unterstützte, erschien Deutschland immer wieder wankelmütig – besonders bei militärischer Hilfe. Nach anfänglichem Zögern bei der Lieferung kriegsrelevanter Militärtechnologien (Marschflugkörper, Haubitzen, Schützenpanzer) zeigte sich Frankreich als Vorreiter. Einen Wendepunkt markierte dahingehend Macrons Rede am 31. Mai 2023 in Bratislava, in der er sich klar zur Unterstützung der Ukraine bekannte und zum ersten Mal von der Notwendigkeit „klarer und konkreter Sicherheitsgarantien“ für das Land sprach.
In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik fand zwar eine gewisse Annäherung statt. Auch hier gehen die Vorstellungen insbesondere mit Blick auf die Frage, wie stark Europa zu einem eigenständigen Akteur und unabhängiger von den USA werden solle, weiter stark auseinander. Während Frankreich für eine größere „strategische Autonomie“ der EU plädiert, sind Deutschland und insbesondere Polen deutlich stärker transatlantisch ausgerichtet; sie sehen die NATO weiter als wichtigstes Verteidigungsbündnis in Europa. Auch in einzelnen Rüstungsprojekten stimmen die Vorstellungen der Drei nicht überein, wie die Weigerung Frankreichs, sich der von Deutschland vorgeschlagene European Sky Shield Initiative anzuschließen, gezeigt hat. Polen seinerseits ist dabei.
Zweitens führten die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen in Deutschland und Frankreich dazu, dass die beiden Staaten auf derzeit außenpolitisch nur eingeschränkt handlungsfähig sind, was entscheidende Initiativen verlangsamt bzw. ganz verhindert und eine effektive Abstimmung zwischen den Akteuren noch schwieriger macht. Seit der Ankündigung von Bundeskanzler Scholz vom 6. November 2024, die Vertrauensfrage zu stellen und damit vorgezogene Bundestagswahlen zu ermöglichen, ist Deutschland der stärkste Bremsklotz des Dreier-Gespanns.
Drittens trat das Weimarer Dreieck auch in multi- oder minilateralen Formaten nicht immer geschlossen auf, was seine Rolle als außenpolitischer Motor Europas schmälerte. Für Diskussionsstoff sorgte z.B. die Nicht-Einladung Polens zum QUAD-Treffen (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA) aus Anlass des Abschiedsbesuchs von Joe Biden am 18. Oktober. Der polnische Ministerpräsident Tusk beschwerte sich zwar nicht explizit über seine Nicht-Einladung. Dass er kurz darauf bilaterale Treffen u.a. mit Macron, dem britischen Premierminister Keir Starmer, NATO-Generalsekretär Mark Rutte aber nicht Olaf Scholz führte, wurde jedoch als subtile Antwort darauf gewertet.

Schlüsseljahr 2025
Vor diesem Hintergrund dürfte das Jahr 2025 ein Schlüsseljahr für das Weimarer Dreieck werden. Einerseits zeigt die Dynamik der Jahre 2022-2023 in die richtige Richtung. Andererseits haben die Entwicklungen der letzten Monate gezeigt, wie schwierig eine effektive Zusammenarbeit unter den gegebenen Voraussetzungen ist. Mit der Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten haben sich die so oder so herausfordernden internationalen Rahmenbedingungen dabei zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt noch einmal verschlechtert. Um den zu erwartenden Veränderungen in der US-Außenpolitik unter Trump effektiv zu begegnen, müssen Deutschland, Frankreich und Polen fest zusammenstehen.
Dabei gilt es zunächst einmal, dass sich die Spitzen der drei Staaten möglichst schnell sortieren und auch zu außenpolitischer Schlagkraft zurückfinden. In einem Best-Case-Szenario könnte die schnelle Bildung einer Bundesregierung nach den für den 23. Februar 2025 geplanten Bundestagswahlen zu neuen Impulsen im Rahmen des Weimarer Dreiecks führen. CDU-Chef Friedrich Merz, der derzeit aussichtsreichster Kanzlerkandidat, hat bereits mehrfach betont, dass er eine bessere Kooperation zwischen den europäischen Staaten für wichtig erachtet.
Doch selbst wenn in den innenpolitischen Konstellationen nicht alles optimal läuft, sind Deutschland, Frankreich und Polen gezwungen, in den entscheidenden Streitthemen schnell Kompromisse zu finden. Mit Blick auf die Ukraine wird ein gemeinsames Auftreten notwendig sein, denn der neue US-Präsident Trump hat angekündigt, die Unterstützung der USA für das Land zurückfahren zu wollen. Egal wie weit er diese Ankündigung umsetzt, ist davon auszugehen, dass Europa deutlich mehr Verantwortung für die Ukraine tragen muss wird. Gleiches gilt für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Es darf nicht mehr vorkommen, dass ein oder zwei der drei Staats- oder Regierungschefs in mini- oder multilateralen Formaten Alleingänge unternehmen denn in der kommenden Zeit wird gemeinsame Führung gefragt sein. Ein gutes Signal war dahingehend der „Weimar plus“-Gipfel der Außenminister*innen der drei Staaten sowie der Chefdiplomat*innen aus Italien, Spanien, Großbritannien und der neuen EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am 19. November 2024 in Warschau.
Das Weimarer Dreieck hat nun die Chance, sich als Stabilitätsanker Europas neu zu definieren. Der Weg dorthin ist zweifelsohne lang. Die Zeiten für eine Neudefinition der Rolle des Dreiecks sind jedoch günstig und der internationale Handlungsdruck so hoch wie seit langem nicht mehr.
Der Autor

Tobias Koepf ist seit 2015 Projektleiter im Bereich „Europäischer Dialog – Europa politisch denken“ der Stiftung Genshagen. Zuvor arbeitete der promovierte Politikwissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin sowie als Transatlantic Post-Doc Fellow for International Relations and Security (TAPIR) am Institut français des relations internationales (Ifri) in Paris, dem United States Institute of Peace (USIP) in Washington DC und dem EU Institute for Security Studies (EUISS) in Paris und Brüssel. Von Juli 2014 bis Juni 2015 war er Associate Fellow im Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).