Meymac 1944:
Als 46 Soldaten und eine Frau im Wald verschwanden

Meymac 1944: Als 46 Soldaten und eine Frau im Wald verschwanden
  • VeröffentlichtMai 15, 2025
Copyright: David Crozat
Copyright: David Crozat

Zwei Jahre nach dem Beginn der Affäre von Meymac in der Corrèze und den ersten Enthüllungen eines ehemaligen Widerstandskämpfers, der das Schweigen über die Erschießung von 46 deutschen Soldaten und einer Frau im Jahr 1944 brach, befasst sich ein Buch nun mit diesem brisanten Dossier.

 

Es war eine epochale Aussage. Am 16. Mai 2023 trat Edmond Réveil, ein 98-jähriger ehemaliger Widerstandskämpfer der FTP (Franc-tireur et partisan), vor die Presse. In den Spalten der Zeitungen La Montagne und Le Parisien brach er ein Tabu: Er enthüllte, unter welchen Umständen 46 Wehrmachtssoldaten, die während der Schlacht von Tulle am 7. und 8. Juni 1944 in Gefangenschaft geraten waren, sowie eine Frau auf den Höhen von Meymac in der Corrèze hingerichtet wurden. Der ehemalige Widerstandskämpfer kam 80 Jahre nach den Ereignissen zu der Erkenntnis, die deutschen Familien hätten „das Recht zu erfahren, was dort geschah“. Darum war er bereit zu sprechen, weil er sich für Humanismus und „Pazifismus“ einsetzte. Die plötzliche Bekanntmachung dieser schmerzhaften Vergangenheit löste heftige Polemiken aus. „Man will das Image der Résistance beflecken“, befürchteten die Gedenkvereine. In den Wochen nach den Offenbarungen von Edmond Réveil drängte sich die lokale, nationale und sogar internationale Presse in der kleinen Gemeinde mit 2300 Einwohnern und verfolgte die Exhumierung der sterblichen Überreste der Erschossenen. Dies war der Ausgangspunkt für die Affäre von Meymac.

 

Zwei Blickwinkel, ein Ziel: Verstehen

Zwei Jahre später, fast auf den Tag genau nach dieser Enthüllung, erschien das Buch Meymac, les ombres du bois d’Encaux (Meymac, die Schatten des Waldes von Encaux), das die Schockwelle dieser Affäre noch einmal rekapituliert. Pierre Vignaud, ein Journalist, der für die Zeitung La Montagne über den Fall berichtet hatte, und Hervé Dupuy, ein Historiker mit Schwerpunkt auf der Geschichte der Résistance in der Haute-Corrèze kreuzten ihren Blick auf diese Ereignisse, die in den letzten 80 Jahren mehrere Wendungen erfahren hatten: „Der Journalist agiert im Hier und Jetzt, während der Historiker das Ereignis in einem längeren Zeitraum denkt und es systematisch kontextualisiert. Der Journalist kann einer kontrollierten Form von Subjektivität freien Lauf lassen, den einen oder anderen Aspekt des Ereignisses hervorheben. Der Historiker muss bei seiner Behandlung unparteiisch und objektiv sein. Sie gehen also unterschiedlich an das Thema heran. Aber in diesem Fall, in dem die Vergangenheit auf die Gegenwart trifft, sind ihre Ansätze keineswegs gegensätzlich, sondern verbinden sich miteinander. Beide sind von demselben Wunsch beseelt, ‚zu verstehen und zu vermitteln‘“, erklären die Autoren.

 

Den Fall kontextualisieren

In dieser Ich-Erzählung versuchen der Erzähler, ein Journalist, und sein Kollege, ein Historiker, die Ereignisse zu verstehen, die im Juni 1944 begannen, in einem Monat, in dem im Limousin – einer Region, die die Nazis „Kleinrussland“ nannten – die Gewalt ihren Höhepunkt erreichte. Sie versuchen, die vielen Fragen zu beantworten, die durch „diese Enthüllungen“ aufgeworfen wurden: Wer waren diese Deutschen? Wer war die Frau, die mit den Gefangenen hingerichtet wurde? Wie wurde die Entscheidung getroffen, 46 Gefangene hinzurichten und andere zu verschonen?

Der Leser verliert sich mit ihnen in den Mäandern der historischen Forschung mit all ihren Erfolgen und Enttäuschungen. Wie bei den Exhumierungen, die von den französischen und deutschen Behörden nicht ohne Schwierigkeiten durchgeführt wurden, stoßen sie auf bleiernes Schweigen. Und auch der Suche nach Leichen im Wald von Encaux durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) kämpfen sie mit dem Fehlen offizieller Archive, die ihre Untersuchungen hätten leiten und erleichtern können, sowie mit der Tatsache, dass viele Unterlagen noch Jahre unter Verschluss sein sollten.

Kapitel für Kapitel widmet man sich den Lebensläufen einer Reihe von Personen, die diese Gegend und diese Zeit geprägt haben. Darunter befinden sich einige Widerstandskämpfer wie „Papillon“, das Pseudonym von Edmond Réveil im Untergrund (Maquis), oder „Hannibal“, der charismatische FTP-Führer, der für die ordnungsgemäße Umsetzung des Hinrichtungsbefehls zu sorgen hatte. Dieser kaum zu greifende FTP-Verantwortliche war selbst Elsässer und soll angeblich mit jedem Gefangenen einige Minuten vor ihrer Hinrichtung gesprochen haben. Papillon, damals 19 Jahre junger Verbindungsagent bei den FTP, trat in die Fußstapfen seines Chefs und war stets bereit, Nachrichten, Befehle und Gegenbefehle zu transportieren. Er erzählt, dass dieser Mann, ein ehemaliger Jurastudent mit einem tiefen Gerechtigkeitssinn, am Tag der Hinrichtung – dem 12. Juni 1944 – „wie ein Baby weinte“. Wie sind diese Tränen zu deuten? Zu der Personengruppe gehörte auch Johannes Niewels, ein Gefreiter der Besatzungsarmee und Gefangener im Wald von Encaux. Er kehrte nie zurück. Sein Tod blieb lange Zeit ein Rätsel.

 

Ein emotionales Treffen

Die Autoren versuchen, die Reaktionen der heutigen Zeit wiederzugeben, indem sie die Aussagen der Nachkommen der Akteure sammeln. Auch diese Erben versuchen, die aus der Vergangenheit ausgegrabenen Ereignisse zu verstehen und geben ihre Familiengeschichten preis, die bisher unter dem Deckmantel des Schweigens begraben lagen.

 

Edmond Réveil im Gespräch mit La Montagne, Mai 2023 © Stéphanie Para
Edmond Réveil im Gespräch mit La Montagne, Mai 2023 © Stéphanie Para

 

Zu ihnen gehört Birgit Mertens, die Enkelin von Johannes Niewels, die dank der gemeinsamen Arbeit der beiden Autoren und der deutschen Journalistin Tanja Stelzer, Redakteurin der Wochenzeitung Die Zeit, gefunden wurde. Anhand einer Liste mit den Identitäten der Häftlinge, deren Körper 1969 exhumiert worden waren (das Datum ist umstritten), war es der deutschen Journalistin gelungen, diese Nachfahrin ausfindig zu machen. Für sie und ihre Familie war der Tod ihres Großvaters über die Jahrzehnte hinweg sowohl rätselhaft als auch leidvoll gewesen. Die Kriegskorrespondenz zwischen ihren Großeltern und die getrockneten Blumen, die der Soldat aus Frankreich schickte, konnte Birgit bis nach Meymac mitnehmen, als sie „Papillon“, den letzten noch lebenden Widerstandskämpfer, dort traf. Die Begegnung mit Birgit Mertens war mehr als nur symbolisch: Sie verlieh Edmond Réveils mutigem Schritt einen tieferen Sinn. „Über diese Hinrichtung deutscher Gefangener zu schreiben, bedeutet natürlich, über den Widerstand und die Widerstandskämpfer zu sprechen. Aber es bedeutet auch, die Frage nach der Bedeutung der Geschichte und der Erinnerung für unser Leben zu stellen. Dieses Buch ist den Ereignissen und Akteuren der damaligen Zeit ebenso gewidmet wie denjenigen, die sich wie wir auf den Weg gemacht haben, sie zu verstehen“, erklären Pierre Vignaud und Hervé Dupuy in ihrem Vorwort.

Durch das ständige Hin- und Herspringen zwischen zwei Epochen ermessen die Autoren auch das Trauma, das die deutsche Armee während der Besatzungszeit hinterlassen hat. Meymac, les ombres du bois d’Encaux ist wie eine Ermittlung angelegt und gehorcht dem Bedürfnis, die Ereignisse zu kontextualisieren. Der Fall dieser deutschen Soldaten fällt in den Juni 1944, der durch die Massaker von Tulle (99 Erhängte), Oradour-sur-Glane (643 Opfer) und Ussel (47 von der deutschen Armee getötete FTP) geprägt ist. Diese extreme Gewalt kontrastiert selbstredend mit dem beiderseitigen Willen der Franzosen und der Deutschen, die 80 Jahre nach den Ereignissen versuchen, ihren früheren Hass gemeinsam zu überwinden: „Wenn man die Umstände dieser Hinrichtung (…) bedenkt, dann verweisen sie in gewisser Weise auf die aktuellen Ereignisse in der Ukraine: Auch dort wird man in einigen Jahrzehnten unter Umständen erkennen, dass das Leben der Soldaten nicht viel wert war“, bezeugt Philippe Brugère, Bürgermeister von Meymac. „Es wird einem klar, wie grausam der Krieg ist. Aber einige Jahrzehnte, nachdem man gegenseitig aufeinander geschossen hatte, wurden die Toten exhumiert und es entwickelte sich eine echte Brüderlichkeit zwischen Franzosen und Deutschen“.

 

Übersetzung: Norbert Heikamp

This site is registered on wpml.org as a development site. Switch to a production site key to remove this banner.