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Douce Frankreich

Douce Frankreich: Zwischen den Kulturen

Jörg-Manfred Unger

© Günter Albers, Adobe Stock

15. Dezember 2021

Als Deutscher für immer in Paris? Frank Gröninger, 51, hat sich diesen Traum schon 1993 erfüllt und ein Buch darüber geschrieben – oder besser: zwei.

„Es war Liebe auf den ersten Blick!“: 1979 war der Autor mit Eltern und jüngerem Bruder als Neunjähriger zum ersten Mal in Frankreich: Mit ihnen verbrachte er während der Sommerferien zwei Wochen in Deauville, an die er sich bis heute gut erinnert; gleich nach dem Abitur war er – als Au-pair-Junge – zum ersten Mal längere Zeit (für ein Jahr) im Land.

Nach dem Studienjahr 1993/94, das er mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) an der Université Sorbonne Nouvelle Paris III absolvierte, blieb Frank Gröninger in Paris. Seitdem befindet sich er sich „auf einer Reise, einer Entdeckungsreise durch die französische Kultur“; seit 2019 besitzt er die doppelte Staatsbürgerschaft.

Sein erster Job war der eines Sprachassistenten am renommierten Gymnasium Louis-le-Grand; er arbeitete als Lehrer und Dozent für Deutsch und interkulturelle Beziehungen an den Grandes Écoles Sciences Po und École nationale d‘administration (ENA), im französischen Außenministerium (wo er bis heute auch mit französischen – und deutschen – Spitzenpolitikern zu tun hat) u. v. a. m. – häufig erste Adressen. In der Privatwirtschaft war er u. a. für Air France, BASF France und L’Oréal tätig – und hatte anfangs größte Schwierigkeiten, seine prekären Beschäftigungsverhältnisse zu beenden und einen festen Arbeitsvertrag zu bekommen. Das Unterrichten an einer jüdischen Schule („Wissen Sie, dass Sie der erste Deutsche sind, der seit dem Krieg einen Fuß in unsere Einrichtung setzt?“) hält er nicht durch.

Abenteuer eines Deutschen in Paris

Seine interkulturellen Erfahrungen in fünf Phasen „hinter den Kulissen von Paris“ (der Autor zitiert Mireille Mathieu) – „Entdeckung“, „Annäherungen“, „Es wird ernst“, „100 % France“, „Der große Schritt“ – umfassen auf über 300 Seiten 29 Kapitel, in denen er chronologisch in der Ich-Form (detailliert und mitunter etwas ausufernd) über sein Leben in Paris und mit Französinnen und Franzosen berichtet, über eigene interkulturelle Lernfortschritte beim Unterrichten, (manchmal bestätigte) Vorurteile und Klischees unabhängig von soziokulturellen Unterschieden („Deutsche sind seriös, pünktlich“ etc.), verschlüsselte Sprache, gesellschaftliche Konventionen und unsichtbare Codes – stets Ulrich Wickerts Frankreich die wunderbare Illusion im Kopf („meine kleine Bibel“).

Als Au-pair lernt er Wörter wie menu d’enfant (statt Kinderteller), goûter (die kleine Mahlzeit zwischendurch), putain (für verdammt) und la vache („die Kuh“ als Ausdruck der Verwunderung); der Unterschied von cheveux (Haare) und chevaux (Pferde) ist für ihn ebenso gewöhnungsbedürftig wie die wegen des im Französischen gehauchten h aspiré (la Hongrie statt Ongrie für Ungarn) unerwarteten Schwierigkeiten beim „le petit bac“ (dem „kleinen Abi“, wie Stadt, Land, Fluss in Frankreich heißt, und das er mit den Kindern seiner Gastfamilie spielt).

Anekdoten und Anekdötchen

Zur éducation culturelle von Frank Gröninger gehören 1987 der Frenchpop, der mit Voyage Voyage von Desireless auch in Deutschland in Mode kommt, und Filme mit dem Komiker Louis de Funès (z. B. Die Abenteuer des Rabbi Jacob). Die Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli werfen ernstere Fragen zum Nationalismus auf (der in Frankreich anders bewertet wird als in Deutschland); immer wieder auch ist „Nazideutschland“ Thema, etwa als La Grande Vadrouille im Fernsehen läuft oder er als Filmkomparse mit gemischten Gefühlen einen SS-Mann spielt. Mit den Silbendrehern des Verlan macht er über Claude Zidis Filmkomödie Die Bestechlichen Bekanntschaft (der im Original Les Ripoux heißt statt les pourris, die Verdorbenen); später kommen die Umgangssprache argot und (sprachlich) falsche Freunde, faux amis, hinzu (Beispiel: die Bluse = le chemisier, la blouse = der Kittel).

Das französische Frühstücksritual, bei dem ein Stück Baguette (abgebrochen, nicht geschnitten!) mit Konfitüre in eine Schale (bol) voller Milchkaffee getunkt wird, verblüfft ihn wie die in ihrer Sprechstunde Goethe rezitierende Augenärztin; im Französischkurs am Institut Catholique kämpft er mit (für Nichtfrankophone schwer nachvollziehbaren) Feinheiten der französischen Grammatik wie dem passé simple und dem subjonctif. Schnell aber ist das système D (D steht für se débrouiller = sich zu helfen wissen) kein Fremdwort mehr.

Interkulturelles Geben und Nehmen

Als Au-pair führt er deutsche Weihnachtsbräuche wie den Adventskalender in seiner Gastfamilie ein; seinerseits macht er hier Bekanntschaft mit kulinarischen Klassikern Frankreichs wie foie gras (Gänseleberpastete) und huîtres (Austern) – und zum Dreikönigstag mit der galette des rois (einschließlich der in ihrem Blätterteig aus gutem Grund versteckten „Saubohne“, fève).

Nähere Kontakte mit der französischen Literatur (an der Université Sorbonne Nouvelle) überfordern ihn nicht nur sprachlich: „der nouveau roman, Prousts Im Schatten junger Mädchenblüte, Apollinaires Les mamelles de Tirésias, Saint-Exupérys Der kleine Prinz und Zolas L’oeuvre“. Im Kino laufen Germinal und La reine Margot; das Jahr in Frankreich (und damit auch das des Autors) beginnt im September mit der Rückkehr aus dem Sommerurlaub, der rentrée, und endet mit den Sommerferien, den grandes vacances (vorzugsweise nach dem 14. Juli und gerne im eigenen Land).

Es sind keine Kulturschocks, die Frank Gröninger erlebt, eher unterschiedliche Auffassungen etwa von Schönheit und Ästhetik (un bel homme ist in Frankreich positiv konnotiert, ein schöner Mann in Deutschland eher abschätzig gemeint) – bis hin zum Ländervergleich während der Corona-Krise: „In Frankreich wurde uns diktiert: ,Bleiben Sie zu Hause!‘, in Deutschland hieß es: „Wir bleiben zu Hause!“

Der Autor empfindet „zwischen Frankreich und Deutschland (…) eine große Freiheit, die manchmal aber auch von einem Gefühl der Einsamkeit begleitet ist“.

Was fehlt (dem Kapitel „Frankreich von unten, von oben und von der Mitte“ zum Trotz)? Amouröse Abenteuer, die Liebe! Schließlich träumt doch ganz Paris von der Liebe, wie wir seit Caterina Valente wissen. Das Kapitel „L’amour, la bise et le cul“ (die Liebe, das Wangenküsschen und der Sex) handelt nicht wirklich davon (zumal es bei „aimer“ eher um „mögen“ geht). Selbst das Kapitel „Ja, ich will“ ist diesbezüglich eine Enttäuschung: Frank Gröninger beantragt 2017 die französische Staatsbürgerschaft (die er 2019 bekommt) – „eine Art Eheschließung mit Frankreich“. Zudem macht sich in der „Ehe“ eine Art Ernüchterung breit: „Noch heute fühle ich mich zu beiden Ländern, aber zu keinem ganz zugehörig.“

Erlebte Landeskunde

Jemand, der selbst längere Zeit in Frankreich gelebt hat, erinnert sich bei der Lektüre an viele Situationen, die sich so oder so ähnlich zugetragen haben. Für Au-pairs und andere, die einen Langzeitaufenthalt planen oder die bereits im Land sind, sollte das Buch geradezu Pflichtlektüre sein – denn es erklärt so manche kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich, hilft einem Fettnäpfchenführer gleich Fehler zu vermeiden und relativiert zudem begangene Peinlichkeiten.

Für alle anderen handelt es sich um konkrete, bodenständige, erlebte Landeskunde. Französische Leserinnen und Leser (Douce Frankreich ist 2021 im selben Selbstkostenverlag auch auf Französisch erschienen) verstehen dabei so manches deutsch-französische Missverständnis – die Lektüre dürfte sie immer wieder zum Schmunzeln bringen.

Der Rezensent wäre nach einem DAAD-Lektorat an der Université Paris Nanterre ebenfalls gerne in Frankreich geblieben. Allein, es hat nicht sollen sein (wer weiß, wofür es gut war). Hélas !

Frank Gröninger, Douce Frankreich, AlterPublishing, 2021

Dialog Dialogue

1 Kommentare/Commentaires

  1. Das Buch ist sehr amüsant, interessant und flüssig geschrieben. Leider ist es miserabel lektoriert. Fast auf jeder Seite finden sich mehrere grammatikalische Fehler.

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