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Filmlegende

Der König ist tot, es lebe der König…

Inga Balaklav

Alain Delon in "Rocco und seinen Brüdern" (Copyright: Wikimedia Commons)

5. September 2024

Ist mit dem Tod von Alain Delon die Ära des klassischen französischen Films endgültig zu Ende? Oder ist sie nicht schon lange vorbei?

Eigentlich wollte ich eine andere Überschrift für meinen Artikel wählen. Zum Beispiel: „Zurück in die Vergangenheit oder warum ich alte Filme schaue.“ Oder: „Warum der französische Film mich nicht mehr zum Träumen bringt…“

Aber die Zeilen, die ich am 18. August, einem Sonntag, las, änderten alles.
Alain Delon ist von uns gegangen. Eine Legende des Kinos, le dernier monstre sacré du cinéma.
Eine Nachricht, die mich nur traurig machen konnte.
Dieser blauäugige, charismatische Schauspieler war zwar nie mein Idol, aber er wurde ein Teil meines Lebens – dort, wo ich aufgewachsen bin und dann auch später in Deutschland. Er war immer da, immer präsent in meinem Geist.

Alain Delon debütierte brillant bei Visconti in „Rocco und seine Brüder“, glänzte in „Der Leopard“, spielte in vielen mehr oder weniger populären Kriminalfilmen, darunter der legendäre „Samouraï“ von Jean-Pierre Melville.
Unvergessen bleibt er in „Der Swimminpool“ mit der wunderbaren Romy Schneider.
Er versuchte auch, seine Spuren im „Großen Film“ zu hinterlassen: „Monsieur Klein“ von Joseph Losey, „Eine Liebe von Swann“ von Volker Schlöndorff, „Geschichte eines Lächelns“ von Bertrand Blier, für den er sogar den César als bester Schauspieler erhielt.

Er hat in fast 100 Filmen mitgespielt. Viele davon wurden Kult.

Die Filmkritiker waren hart zu ihm, das Publikum vergötterte ihn.

Alain Delon ist Symbol für die goldenen Ära des französischen Films geworden. Nachdem er zum Idol mehrerer Generationen geworden war und viele durchschlagende Erfolge gefeiert hatte, verließ er das Kino – mit der gewichtigen Behauptung, dass es für ihn gestorben sei. Dass es ihn schon lange nicht mehr träumen ließ, dass er überhaupt keine Rollen für sich selbst sehe, dass er im modernen Kino keinen Platz mehr finde…
Und im Allgemeinen akzeptierte Delon diese Epoche nicht.

Diese Aussage bringt mich zu meiner ursprünglichen Idee für diesen Artikel zurück. Nämlich meine Beobachtung, dass auch mich seit mehr als zwei Jahrzehnten das „moderne“ französische Kino nicht mehr begeistert, wie es mich früher begeistert hat.

Immer wieder sehe ich mir die „alten“ Filme an.
„Die Alten“, so nenne ich sie auch, und damit meine ich die Werke von den 1960er bis Ende der 1990er Jahre. Und irgendwann um das Jahr 2003 herum endet für mich die „goldene Ära“ des französischen Kinos. Blitzartig.

Die Filme wie „La Femme d’à côté“, „Camille Claudel“, „La Reine Margot“, „Nelly et Monsieur Arnaud“, „Trois couleurs (Bleu/Blanc/Rouge)“ von Krzysztof Kieslowski….
Die Liste ist lang.
Filme von Regisseuren wie François Truffaut, Claude Sautet, Patrice Chéreau begeistern mich immer wieder. Der besondere Chic, die Filmsprache, der Stil, jeder dieser Regisseure hat mich dazu gezwungen, sein Werk peinlich genau zu studieren.

Entzückende Schauspielerinnen wie Michele Mercier – als unbezähmbare Angelique; Isabelle Adjani, die schönste Königin Margot und geniale Camille Claudel; die feurige Fanny Ardant und Emmanuelle Béart, la femme française par excellence, haben mich seit meiner Jugend verzaubert.
Wunderbare Schauspieler wie Maurice Ronet, Patrick Dewaere oder Jean-Hugues Anglade haben mich fasziniert.

Die magische Musik, die in diesen Jahren für das französische Kino geschaffen wurde, ist zu meiner Lieblingsmusik geworden. Hier nur einige Namen: Phillipe Sarde, Michel Magne, Michel Legrand, Francis Ley…
Filme wie „La Reine Margot“ haben mich zum Träumen gebracht. Jede Einstellung, die Kostüme, die Musik, die zauberhafte Atmosphäre. Diese Filme wurden mit Liebe und Aufmerksamkeit für das kleinste Detail gemacht: Das Ergebnis war ein Ereignis und für mich ein wahres Kunstwerk.
Meine Lieblingsfilme habe ich Dutzende Male gesehen. Sie haben mich in Momenten der Verzweiflung gerettet, meine Moral gestärkt, mir Mut und Lebenslust gegeben. Sie waren wie treue Freunde: immer da.

Aber heute kann ich nur die Worte von Alain Delon wiederholen:
„Das französische Kino ist für mich gestorben!“ Es lässt tatsächlich auch mein Herz nicht mehr schlagen. Unter den zeitgenössischen Regisseuren und Schauspielern kann ich keinen nennen, deren Filme oder deren Spielkunst mich beeindruckt, Gefühle hervorruft und mich intensiv nachdenken lässt.

Wo liegt das Problem? Wo sind all die begabten Künstler geblieben?
Ist es die Kommerzialisierung, die Amerikanisierung des Kinos, der Mangel an Talenten oder neuen Ideen?
Wird die Ästhetik, das Ziel, durch Schönheit zu berühren, dem bloßen Effekt untergeordnet?

Es ist auch möglich, dass die technische Revolution die romantischen Seiten des Menschen, die ihn früher zur Kreativität inspiriert haben, nicht mehr zulässt. Nicht auszuschließen.

Ohne den französischen Film im Sinne der „Alten“ wäre das Leben ärmer und viel, sehr viel trauriger.

Das weiß ich ganz genau…

Mit Alain Delon ist eine ganze Kinoepoche zu Ende gegangen.

Aber ich bin sicher, dass noch mehrere Generationen seine Filme entdecken werden. Und der Zauber des französischen Kinos wird damit noch weiterleben.

Wenn auch nur in unserer Erinnerung…

Die Autorin

Inga Balaklav (Copyright: Inga Balaklav)

Inga Balaklav wurde im April 1980 in Moldawien geboren. Sie wuchs in einer Künstlerfamilie auf und kam schon früh mit Film, Musik und Malerei in Berührung. Sie hat Architektur und Design studiert. Nach dem Studium ging sie nach Deutschland, wo sie Grafikdesign lernte. Inga Balaklav lebt heute in Leipzig.

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