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Rap aus Frankreich

Rap aus Frankreich: Aus den Banlieues in die Welt

Nicolás Alejandro Bech

Einsam an der Spitze: das Rap-Duo PNL auf dem Eiffelturm, © QLF Records

23. September 2019

Das Rap-Duo PNL brach 2019 mit seinem dritten Album „Deux Frères“ in Frankreich sämtliche Rekorde. Auf den Deutschrap hat der französische Rap enormen Einfluss.

Frankreich besitzt neben den USA die weltweit größte Rap-Kultur. Der rap und hip-hop français ist tief in der französischen Jugendkultur verankert. Die Wurzeln liegen in den Banlieues und bieten noch heute den Nährboden für neue Produktionen.

Den Startschuss gaben Rap-Gruppen wie IAM oder Suprême NTM in den 1990er Jahren, in einer Zeit, in der der französische Rap noch sehr lyrisch und von Texten über den Lebensalltag in den Banlieues geprägt war. Die Lyrics setzten sich thematisch mit Arbeitslosigkeit, Gewalt, Zurückweisung, Perspektivlosigkeit oder der Aufarbeitung der französischen Kolonialgeschichte auseinander. Die Texte spiegelten die Unzufriedenheit und Verzweiflung einer ganzen Generation wider und entwickelten sich damit zum Sprachrohr der Banlieues. Mit steigender Unzufriedenheit wurde der Protest immer lauter, was sich im Rap-Stil manifestierte.

Auf die harte Tour

Die 2005 aufkeimenden Unruhen in vielen französischen Vororten waren der traurige Höhepunkt von jahrelanger Nichtbeachtung der Banlieues seitens der Politik. Die erhöhte Gewaltbereitschaft und Wut auf das Establishment zeigte sich gerade auch im Rap. Mit Künstlern wie Kaaris etablierte sich der Straßen- oder Hardcore-Rap, der politisch viel Aufmerksamkeit erregte. Inspiriert vom US-amerikanischem Rap-Stil Trap wurden die Texte und beats zunehmender aggressiver, lauter und beleidigender.

Erstmals setzte sich nun auch die französische Regierung mit dem Rap aus den Vororten auseinander. Der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy wollte den Hardcore-Rap zum Sündenbock machen. Folglich wurden mehrere Rapper angezeigt und Gesetze auf den Weg gebracht, die eine Zensur der Texte vorsahen – eine Kampagne, die letztlich scheiterte; der rap français konnte sich weiter entfalten.

Vorbild für deutsche Rapper: Booba, © picture alliance / DALLE APRF

Quelle der Inspiration

Auf musikalischer Ebene trat der Straßen-Rap aus Frankreich eine Welle los, die bis nach Deutschland schwappte. Der frankophone Rapper Booba war einer der ersten in Europa, der den Straßenslang auch in seinen Texten einsetzte und damit stilistisch den europäischen Rap prägte. Davon inspiriert ließen in Deutschland die ersten Rap-Texte mit arabischen, türkischen oder kurdischen Einflüssen nicht lange auf sich warten.

Der erste deutsche Künstler, der schon Anfang der 2000er auf der Welle mitsurfte war Bushido, der mit 1,4 Millionen verkauften Alben einer der erfolgreichsten deutschen Rapper überhaupt ist. Von da an dominierte der Straßen-Rap die deutsche Rap-Landschaft. Es war die Zeit von Rappern wie Haftbefehl, Nimo oder Celo und Abdi. Diese Rapper und noch viele weitere haben eines gemein: Sie alle nannten französische Rapper als Inspirationsquelle für ihre Musik.

Rhythmik statt Hektik

In den letzten Jahren flachte die laute und aggressive Straßen-Rap-Welle immer mehr ab und der französische Rap zeigte sich nun von einer anderen Seite: Es traten Newcomer wie Lala &ce oder Shay auf, die musikalisch stark auf Melodie, Harmonie und Rhythmik setzten. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist jedoch MHD. Der aus dem 19. Pariser Arrondissement stammende Musiker vermischt westafrikanische Rhythmen und Instrumente mit tiefen Bässen und Rap und nennt diesen Musikstil Afro-Trap. Seine Musikvideoreihe Afro Trap Part. 1-10 auf YouTube wurde prompt zum Erfolg und hundert Millionen Male angeklickt.

MHD live, © picture alliance / Photoshot

Nun kamen auch deutschsprachige Rapper an Afro-Trap nicht mehr vorbei. Die Rapper Bonez MC und RAF Camora aus Hamburg und Wien mussten sich sogar Plagiatsvorwürfe gefallen lassen – was den Erfolg der beiden Rapper nicht schmälerte: Sie sind zum Teil erfolgreicher als ihre französischen Vorbilder. Die beiden Freunde verkauften in Deutschland ca. 11 Millionen Tonträger, darunter Palmen aus Plastik.

„La misère est si belle“

Die beiden französischen Künstler, di­­­e problemlos mithalten können, sind die Brüder Tarik und Nabil aus Les Tarterêts. Zusammen bilden sie das Rap-Duo PNL; sie schweben zurzeit über allem, was die Rap-Welt je zum Vorschein brachte – nicht nur wegen ihres Albums „Deux Frères“.

Das Cover des Albums „Deux Frères“ von PNL, © QLF Records

Ihr Musikstil ist unnachahmlich, geprägt von sphärischen, düsteren und traurigen Sounds. Ihre Stimmen sind teils bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und werden mehr als Instrument als zum Ausdruck von Wörtern genutzt. Trotzdem hört man in den Liedern eine Verzweiflung und Wut heraus, die sich auch in Ihren Texten über das Leben in ihrem Heimatort wiederfinden lassen. „La misère est si belle“ (Das Elend ist so schön) besingen sie in einem Ihrer Songs und beschreiben damit perfekt, wie sie es geschafft haben, die harte Realität ihres Lebens in eine musikalische Tiefe zu verpacken, die berührt.

Die globale Bühne

Der musikalische Einfluss von PNL, MHD oder Booba hat den europäischen Rahmen längst gesprengt. PNL und MHD sind einige der wenigen aus Europa, die zu einem der prestigereichsten Musikfestivals in das kalifornische Coachella Valley eingeladen wurden. Auch Booba lebt mittlerweile in Miami und arbeitet mit weltberühmten US-Rappern, wie Future oder 2 Chainz zusammen. Für sie zählt vor allem, ihre Herkunft auf globaler Bühne zu repräsentieren: Kinder und Jugendliche aus den französischen Banlieues, die weltweit gehört und deren Videos millionenfach gesehen werden. Ihr Rap ist damit die stärkste Waffe im Kampf gegen Segregation, Isolation und Stigmatisierung.

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