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Welche Rolle für Deutschland und Frankreich in Europa?

Bedingt führungsfähig? Eine Stimme aus den Niederlanden

René Cuperus

Blick auf das Parlamentsgebäude in Den Haag (Copyright: Depositphotos)

23. Mai 2024

In Folge 8 unserer Reihe „Bedingt führungsfähig“ gibt René Cuperus die niederländische Perspektive wieder. Er schreibt: Deutschland und Frankreich sind und bleiben der Motor, die treibende Kraft für Europa. Die Frage ist nur: Wie viel Benzin ist noch im Tank?

Aus niederländischer Sicht hat der deutsch-französische Motor schon mal besser funktioniert als jetzt. Es ist bekannt, dass die Chemie zwischen Olaf Scholz und Emmanuel Macron nicht stimmt, was stark mit den innenpolitischen Sorgen beider Länder zu tun haben mag.

Durch den Krieg in der Ukraine ist Deutschland ziemlich aus den Fugen geraten. Viele Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten der Nachkriegszeit wurden in Frage gestellt. Fest steht: Die „Ampelkoalition“ ist keine starke Einheit in geopolitisch herausfordernden Zeiten, und Scholz wächst nicht wirklich über sich hinaus. Auch in Frankreich gibt es derzeit starke politische Turbulenzen, Spaltung und Polarisierung. Marine Le Pen steht in den Startlöchern; bei den Europawahlen wird der Rassemblement National, so die Umfragen, sehr gut abschneiden. Ein klares und eindeutiges europapolitisches Mandat für die Politikgestaltung in Brüssel setzt Stabilität auf nationaler Ebene voraus. Die gibt es zurzeit aber weder in Deutschland noch in Frankreich: Das führt dazu, dass der deutsch-französische Motor nur noch auf Sparflamme läuft.

Unterschiedliche Strukturen

Macron hielt Ende April (erneut) eine Rede an der Sorbonne-Universität in Paris. Darin sprach er sich für den Aufbau eines starken geopolitischen Europas aus, als Gegengewicht zu China, Russland und den USA. Wenn wir das nicht täten, so Macron etwas zu dramatisch, „könne Europa sterben“. Und dann stellt man fest: Aus Deutschland kommt keine substantielle Reaktion.

Beim deutsch-französischen Motor wird immer wieder offenbar, dass die beiden Länder unterschiedliche staatliche Strukturen haben. Frankreich ist ein stark hierarchisch strukturiertes, ein zentralstaatliches Land, wo der Präsident viel Macht und Gestaltungsspielraum hat. Deutschland dagegen ist ein vor allem föderal geprägtes Land. Scholz ist zwar Bundeskanzler, aber er hat nicht die Allmacht eines französischen Staatspräsidenten. Er muss sich mit seiner Koalition einigen, und auch die Bundesländer haben ein hohes Maß an politischer Mitbestimmung. Deutschland kann nicht so einfach mit einer starken Stimme in Europa sprechen wie Frankreich.

Von Geld und Ideen

René Cuperus (Copyright: René Cuperus)

Dennoch bleibt die deutsch-französische Zusammenarbeit für die EU von entscheidender Bedeutung. Das Geheimnis dieser Achse besteht vielleicht auch darin, dass Frankreich mehr oder weniger stark den Süden Europas und Deutschland den Norden repräsentiert. Die Idee ist folgende: Wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind, dann sind Nord und Süd miteinander „versöhnt“. Erst dann ist Bewegung in Brüssel möglich. Ein Land wie die Niederlande kann z.B. deutschen Vorschlägen zustimmen, während Länder wie Spanien oder Italien sich in der französischen Position wiederfinden.

Vereinfacht gesagt, kommen die großen Ideale und Geschichten aus Frankreich und das Geld aus Deutschland, wo nicht zufällig auch die Europäische Zentralbank ihren Sitz hat. Deutschland ist traditionell der wirtschaftliche Riese in Europa, während Frankreich eher der politische und militärisch-strategische Teil des Motorblocks ist.

Zum eigenen Vorteil?

In kleineren Ländern wie den Niederlanden gibt es bisweilen die Befürchtung, der deutsch-französische Motor arbeite zu sehr zum eigenen Vorteil. Das ist an sich eine komplizierte Frage. So manche EU-Fördergelder fließen überproportional in französische und deutsche Unternehmen. Und man hört auch oft, dass viele Deutsche in der EU-Verwaltung auf einflussreichen Posten sitzen. Nicht umsonst spielt die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen als Deutsche und Mitglied der großen Partei CDU eine so dominante Rolle. Das Bewerbungsverfahren, das niederländische Beamte für eine Stelle in der EU-Verwaltung durchlaufen müssen, ist stark an das französische Bildungssystem angelehnt. Die Franzosen kennen es also gut, sind daran gewöhnt und können bestens damit umgehen, die Niederländer haben nicht selten ihre Schwierigkeiten damit.

Zuweilen fließt den großen Ländern etwas zu viel Macht zu (sie werden oft verschont, wenn sie gegen Haushaltsregeln verstoßen), aber manchmal haben große Länder auch erschreckend wenig Mitspracherecht. Deutschland z.B. hat nur einen Sitz in der Europäischen Zentralbank, obwohl es finanziell den größten Beitrag zur Union leistet. Würde die EU jetzt ohne Reformen um die Länder des westlichen Balkans erweitert, hätten die Länder des ehemaligen Jugoslawiens am Ende sieben Kommissare in der Europäischen Kommission. Dort säßen sie dann einem französischen und einem deutschen Kommissar gegenüber. So hätten die großen Länder unverhältnismäßig wenig Macht. Darum muss sorgfältig auf die Machtverhältnisse zwischen großen und kleinen Ländern geachtet werden. Die Unterstützung Frankreichs und Deutschlands für das europäische Projekt darf nicht untergraben werden, genauso wie die kleinen Länder wahrgenommen und respektiert werden müssen.

Was kleinere Länder tun können

Wie dem auch sei, unabhängig von der Lage sind und bleiben Deutschland und Frankreich der Motor, die treibende Kraft für Europa. Die Frage ist nur: Wie viel Benzin ist noch im Tank? Wer sitzt am Steuer? Geht es schnell genug? Es ist wichtig, dass die kleineren Länder diesen Motor mit guten Ideen und Analysen beeinflussen. Aber Frankreich und Deutschland sind der dynamische Dreh- und Angelpunkt, um den herum Europa seine geopolitische Stärke in einer zunehmend orientierungslosen Welt entwickeln muss.

Übersetzung: Norbert Heikamp

Der Autor

René Cuperus ist Senior Research Fellow „EU & Global Affairs“ am Clingendael Institute, dem niederländischen Institut für Internationale Beziehungen. Er publiziert über Geopolitik, die Erweiterung und Reform der EU, das Aufkommen des Populismus und die Erosion des politischen Zentrums. Er ist zudem Visiting Scholar am Deutschen Institut der Universität Amsterdam. René Cuperus sitzt auch im Vorstand der niederländischen Atlantikkommission.

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