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Französische Präsidentschaftswahl

Ein Favorit und schwache Gegner

Martin Vogler

© Adobe Stock

10. April 2022

Anfang März 2022: Die Chancen von Amtsinhaber Emmanuel Macron, im April 2022 erneut zum französischen Staatspräsidenten gewählt zu werden, stehen exzellent. Und das, obwohl sein Glanz des jugendlichen Erneuerers zwischenzeitlich arg verblasst war. Dass er jetzt eine zweite fünfjährige Amtszeit anstreben kann, ist aber nur zum Teil sein Verdienst.

Macron wird beim ersten Wahlgang am 10. April 2022 wohl nicht die absolute Mehrheit bekommen. Laut Umfragen dürften knapp 30 Prozent für ihn stimmen. Doch seine wichtigsten Rivalen, die unglücklich agierende republikanische Herausforderin Valérie Pécresse und die beiden vom rechten Flügel, Marine Le Pen und Eric Zemmour, liegen jeweils nur bei rund 15 Prozent. Die Kernfrage lautet: Wer von diesem Trio wird es zwei Wochen später in die Stichwahl gegen Macron schaffen? Alle anderen Kandidatinnen und Kandidaten sind weit abgeschlagen.

Erneuter Höhenflug

Seinen erneuten Höhenflug verdankt der Präsident – der im Gegensatz zum deutschen Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier und auch im Vergleich zu Bundeskanzler Olaf Scholz enorme Macht hat – drei Phänomenen, die er nicht initiiert hat, aber deren Verlauf er beeinflussen konnte. Dabei geht es um Schwächen, nämlich die seiner politischen Konkurrenz, die Probleme in Europa und nicht zuletzt um die Corona-Krise, die Frankreich stärker zugesetzt hat als Deutschland. Doch die Wahrnehmung im Land scheint eine andere zu sein. Die Menschen reagierten relativ gelassen und nahmen Einschränkungen ihrer Freiheiten, die drastischer als beim rechtsrheinischen Nachbarn ausfielen, mehrheitlich mit ungewöhnlich viel Verständnis hin.

Emmanuel Macron, 2021, © Shutterstock

Deshalb konnten sich Präsident Macron und sein Kabinett als Krisenbewältiger profilieren. Sie erließen klare Regeln, die sich im zentralistischen Frankreich leichter umsetzen ließen als im föderalistischen Deutschland mit seinen 16 Bundesländern. Die Proteste auf den Straßen verliefen vergleichsweise moderat. Zwar kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, aber nicht zum wirklich radikalen Widerstand. Im Gegenteil: Die Gelbwesten-Bewegung, die mit ihrer Unzufriedenheit mit Macrons Sozialpolitik dem Präsidenten hätte gefährlich werden können, ist ein Opfer der Pandemie. Die gilets jaunes scheinen seit Corona in der Bedeutungslosigkeit versunken. Wiedererstarken, etwa bei der verschobenen Rentenreform, könnten sie erst lange nach der Präsidentschaftswahl.

Das zweite Problem, von dem Macron profitiert, heißt Europa. Mit dem Rückzug von Angela Merkel und auch mit dem EU-Austritt Großbritanniens entstand ein Führungs-Vakuum. Dieses nutzte Emmanuel Macron geschickt. Rasch war er für Mächte wie USA und Russland der Hauptansprechpartner in Europa, was sich nicht zuletzt in der Ukraine-Krise zeigte. Erst als es wirklich zum Krieg kam, gewann auch Bundeskanzler Olaf Scholz Profil. Doch Macron punktete insgesamt innenpolitisch, weil es viele Französinnen und Franzosen stolz macht, wenn der Präsident der Grande Nation als Megaplayer der Weltpolitik agiert.

Macron erlaubte es sich – wie auch einige seiner Vorgänger –, mit der Bekanntgabe seiner Kandidatur bis zum letzten Augenblick zu warten. Seine Botschaft: Ich habe so viel Bedeutsames für mein Land und den Rest der Welt zu leisten, dass für einen banalen Wahlkampf keine Zeit ist. Dennoch bereiteten seine Getreuen der – als liberal bezeichneten Partei – La République En Marche (LaREM, die unter dem Kürzel „EM !“ – En Marche – antritt) inoffiziell natürlich seine Kandidatur vor. Macron hatte sogar als erster Bewerber die 500 erforderlichen Unterschriften für seine Kandidatur – „Patenschaften“ (parrainages) von Mandatsträgern – und kann somit zur Wahl antreten. Viele seiner Mitbewerberinnen und Mitbewerber hingegen mussten erbittert dafür kämpfen.

Valérie Pécresse, 2021, © Shutterstock

Madame Tristesse

In dieser Hinsicht keine Sorgen machen muss sich Valérie Pécresse der konservativen Les Républicains, die bei der Zahl der Unterschriften noch vor Macron liegt. Allerdings ist es ihr nicht gelungen, ihre eigene Partei hinter sich zu vereinen. Zwar war sie im Kabinett von Nicolas Sarkozy von 2007 bis 2011 Bildungsministerin, konnte sich aber schon in dieser Funktion kaum profilieren. Und: Obwohl der Ruf Sarkozys nach der Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe gelitten hat, ist sein Urteil für viele Wählerinnen und Wähler weiterhin wichtig. Insofern ist es bemerkenswert, dass der Ex-Präsident sich nicht klar zur Kandidatin seiner Partei bekennt. Beobachter sagen Sarkozy eine erstaunliche Nähe zu Macron nach, bis hin zu heimlichen Absprachen für die bereits im Juni 2022 anstehenden Parlamentswahlen. Dass weitere hochrangige Republikaner sich für den aktuellen Präsidenten ausgesprochen haben, macht es für Pécresse nicht leichter.

Für sie ist diese mangelnde Begeisterung bei den eigenen Leuten das größte Problem – ein Kritiker nannte sie gar Madame Tristesse. Die meisten jedenfalls können sich nicht vorstellen, dass die Kandidatin als Staatspräsidentin plötzlich Charisma und diplomatisches Geschick entwickelt. Dabei stünden ihre Chancen gegenüber Macron eigentlich besser als die der anderen, falls sie in die Stichwahl am 24. April 2022 käme: Als Kandidatin des bürgerlichen Lagers ist sie für viele wählbarer als die beiden Rechten Marine Le Pen und Éric Zemmour.

Marine Le Pen, 2021, © Shutterstock

Marine Le Pen und Éric Zemmour

Die rechten Kandidaten indes schaden sich gegenseitig. Zum einen Marine Le Pen mit ihrer Partei Rassemblement National, die vor fünf Jahren mit 34 Prozent erst in der Stichwahl an Macron scheiterte. Sie ist mit ihrem Versuch, den von ihrem Vater geprägten Front National mit neuem Namen und Profil ins bürgerlichere Lager zu transferieren, ohne Fortune. In der bürgerlichen Mitte gewinnt sie kaum Stimmen hinzu.

Das Vakuum rechts von ihr hat zum anderen geschickt der islamfeindliche Éric Zemmour besetzt. Der jüdischstämmige Sohn von aus Algerien eingewanderten Eltern wurde vor allem als Journalist bekannt, der vorzugsweise ausgerechnet gegen Juden, Migranten und Journalisten polemisiert. Doch der Populist genießt laut Umfragen gleich viel Zustimmung wie seine Konkurrentin Le Pen. Die Probleme, die es mit sich bringt, wenn zwei fast gleichstarke rechte Kandidaten antreten, zeigten sich bereits im Vorfeld. Beide mussten bis drei Tage vor dem Schlusstermin um die erforderlichen 500 parrainages kämpfen.

Éric Zemmour, 2021, © Shutterstock

Zerstrittene Linke

Noch hoffnungsloser als bei der politischen Rechten ist die Situation im völlig zerstrittenen linken Lager. Zu viele Kandidatinnen und Kandidaten nehmen sich gegenseitig die Stimmen weg. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo etwa schaffte es nicht, ihre Popularität in gute Umfragewerte umzuwandeln. Auch der Versuch, das linke Lager auf einen Namen festzulegen, scheiterte: Aus einer inoffiziellen Vorwahl ging Christiane Taubira, eine engagierte Kämpferin für Minderheiten, als Siegerin hervor. Die anderen linken Bewerberinnen und Bewerber erkannten das Ergebnis jedoch nicht an. Taubira zog schließlich ihre Kandidatur frustriert zurück, auch weil sie nur 181 Unterstützer fand.

Jean-Luc Mélenchon, 2021, © Shutterstock

Am besten steht noch der Alt-Linke Jean-Luc Mélenchon da, der es 2017 mit 19,54 Prozent der Stimmen fast in die Stichwahl geschafft hätte. Diesmal wird es den Umfragen zufolge jedoch allenfalls für rund zehn Prozent reichen.

Linktipp
Der französische Präsidentschaftswahlkampf 2022 in den sozialen Medien

Update am 11. April 2022

Das Ergebnis der französischen Präsidentschaftswahl vom 10. April 2022 (amtliches Endergebnis vom 11. April 2022): Emmanuel Macron (27,85 %), Marine Le Pen (23,15 %), Jean-Luc Mélenchon (21,65 %), Éric Zemmour (7,07 %); Valérie Pécresse (4,78 %) scheiterte wie die weiteren Kandidatinnen und Kandidaten Yannick Jadot (4,63 %), Jean Lassalle (3,13 %), Fabien Roussel (2,28 %), Nicolas Dupont-Aignan (2,06 %), Anne Hidalgo (1,75 %), Philippe Poutou (0,77 %) und Nathalie Arthaud (0,56 %) an der 5-Prozent-Hürde – sie erhalten daher keine staatliche Erstattung ihrer Wahlkampfkosten.

Da keine Kandidatin und kein Kandidat über die absolute Mehrheit verfügt, kommt es am 24. April 2022 wie bereits 2017 zu einer Stichwahl (second tour) zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen, bei der es um die einfache Mehrheit geht.

48,7 Millionen Wahlberechtigte waren zur Wahl aufgerufen; die Wahlbeteiligung betrug 73,69 %; auch Corona-Infizierte hatten Zugang zu den Wahllokalen (da es in Frankreich keine Briefwahl gibt, allerdings kann man sein Wahlrecht delegieren) – sie sollten lediglich eine Schutzmaske tragen. (JMU)

Parrainages

Als hohe – und umstrittene – Hürde auf dem Weg zur Präsidentschaft erweist sich die Regel, dass für eine Kandidatur mindestens 500 Unterschriften von Amts- oder Mandatsträgern benötigt werden. Mit der parrainage, eine öffentliche Patenschaft oder Bürgschaft, unterstützen sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten ihrer Wahl. 2022 lief die Frist bis zum 4. März, um 18 Uhr; bis zu diesem Zeitpunkt hatten zwölf Kandidatinnen und Kandidaten die erforderliche Anzahl an Unterschriften.

Mehrheitlich handelt es sich bei den parrains um Bürgermeister (maires). Auch Parlamentarier dürfen, von den Regionalparlamenten bis zum Europaparlament, unterschreiben – aber nur einmal; auch muss die Gruppe der jeweiligen Unterstützer nach strengen Regeln regional gestreut sein. Insgesamt kommen rund 42.000 Mandatsträger für eine Unterschrift in Frage kommen.

Trotz dieser Zahl tun sich auch bekannte Kandidaten vom politischen Rand schwer, die 500 Unterschriften zu bekommen. Denn für Bürgermeister, die allen Bürgern dienen wollen (und sollen), ist es problematisch, sich für einen extremen Kandidaten auszusprechen. So wundert es nicht, dass die schärfste Kritik an der Parrainage-Regelung von links (Jean-Luc Mélanchon) und von rechts (Marine Le Pen und Eric Zemmour) kommt, die an der 500er-Grenze zu scheitern drohten.

Aber auch nicht Betroffene sehen die seit Beginn der fünften Republik bestehende Regel kritisch: Es sei demokratiefeindlich, wenn aussichtsreiche Bewerber auf diese Weise gar nicht erst zur Wahl antreten dürfen oder politische Spielchen ermöglicht würden. So unterschrieb der republikanische Bürgermeister von Cannes, David Lisnard, demonstrativ nicht für seine Parteifreundin Valérie Pécresse sondern für den Linken Mélenchon. Was insofern bemerkenswert ist, weil er auch Präsident der Vereinigung der französischen Bürgermeister Association des maires de France (AMF) ist und entsprechenden Einfluss hat.

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