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Emmanuel Macron in der Corona-Pandemie

Der Präsident erfindet sich neu

Birgit Holzer

Der französische Staatspräsident am 25. März 2020 beim Besuch eines Feldlazaretts für an Covid-19 Erkrankte im elsässischen Mulhouse, © picture alliance / abaca

11. Mai 2020

Rhetorik, Regierungsziele, Prioritäten – vieles hat der amtierende französische Staatspräsident Emmanuel Macron im Laufe der Corona-Pandemie verändert. Er selbst stellt die Krise als einen Wendepunkt in seiner Amtszeit dar. Der Ausgang ist offen.

„Der Moment, den wir erleben, ist eine persönliche und kollektive Erschütterung. Er erinnert uns daran, dass wir verletzbar sind, was wir sicherlich vergessen haben. (…) Lassen Sie uns in diesem Moment die ausgetretenen Pfade, die Ideologien verlassen, uns neu erfinden – und ich als allererster.“ Als Emmanuel Macron Mitte April diese Worte im französischen Fernsehen sprach, herrschte im Land bereits seit vier Wochen eine Ausgangssperre, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen. Der Präsident kündigte ihre Verlängerung um weitere vier Wochen an, gab aber auch einen Ausblick für die Zeit danach. Und er sprach diese Worte von der „Neuerfindung“, die auch und gerade ihn betreffe.

Macrons Markenzeichen

Überraschend sind solche Töne aus dem Mund des 42-Jährigen nicht. Er hat in der Vergangenheit bereits eine „Renaissance“ Europas und die „Neuerfindung“ der EU beworben, sein programmatisches Wahlkampf-Buch nannte er Revolution und bei seinem Amtsantritt versprach er, mit dem überkommenen politischen System zu brechen. Grundsätzliche, weit ausholende Reden sind Macrons Markenzeichen.

Reformen auf Eis

Dennoch dürfte die Pandemie einen echten Wendepunkt in seiner Amtszeit darstellen. Zwei Jahre verbleiben noch bis zur nächsten Wahl. Viele seiner ursprünglich gesetzten Ziele erscheinen gefährdet, dabei befand er sich auf einem guten Weg: Die Arbeitslosigkeit war zuletzt erkennbar gesunken und das Wirtschaftswachstum befand sich in einer positiven Dynamik. In der Wirtschaftswelt hatten Macrons Reformen für Vertrauen und einen Zuwachs an neuen Investitionen gesorgt. Entschlossen betrieb er auch heikle Vorhaben wie jene, das Rentensystem und die Arbeitslosenversicherung zu reformieren. Beide Projekte liegen nun auf Eis und ihre Zukunft ist ungewiss. Gilles Le Gendre, Fraktionsvorsitzender der Präsidentenpartei LREM in der Nationalversammlung, ließ durchklingen, dass die so hart umkämpfte Rentenreform abgesagt werden könnte, sollte es keinen Konsens zwischen den politischen Parteien, den lokalen Amtsträgern, Gewerkschaften, Vereinen und Bürgern geben.

Mäßiger Vertrauensbeweis

War Macron als Präsident angetreten, der versprochen hatte, den Staat zu verschlanken und zu modernisieren, so fällt nun der Fokus auf die Aufgabe, Frankreich aus der schwersten Krise seiner jüngeren Geschichten zu führen. Diese betrifft nicht nur die Wirtschaft und das Gesundheitssystem, sondern auch den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Regierung, das sich gerade auch in der Pandemie als deutlich geringer herausstellte als anderswo. Laut Umfragen trauen nur rund 40 Prozent der französischen Bürgerinnen und Bürger den politisch Verantwortlichen in der Regierung ein effizientes Krisenmanagement zu– in Deutschland waren es etwa doppelt so viele.

Konsolidierung von Rhetorik und Maßnahmen

Macrons Prioritäten werden sich verschieben und allen voran dürfte die Konsolidierung in vielerlei Hinsicht stehen. Dies ließ sich bereits im Verlauf seiner Reden zum Umgang mit dem Coronavirus erkennen: Wählte er zunächst eine martialische Rhetorik, um die Bevölkerung auf den „Krieg“ gegen die Pandemie einzustimmen, so wurde er mit der Zeit zunehmend einfühlsamer, sprach die Schwierigkeiten der Schwächsten in der Gesellschaft durch die zwei Monate andauernde Ausgangssperre an und räumte sogar Fehler und Versäumnisse ein. Hatte er zuvor seine Landsleute öffentlich als „widerspenstige Gallier“ verspottet, so lobte er nun den Bürgersinn seiner Landleute, die die Regeln überwiegend respektierten. Die Regierung beschloss nicht nur umfangreiche Nothilfe-Pläne für Unternehmen und Selbstständige, sondern auch Prämien von 500 bis 1500 Euro für Krankenschwestern und -pfleger sowie finanzielle Hilfen für vier Millionen sozial schwache Haushalte.

Die „Neuerfindung“ des Präsidenten

Angetreten war Macron 2017 mit dem Versprechen, sich auf der politischen Skala in der Mitte zu positionieren, er sei „sowohl links als auch rechts“ – doch angesichts von Abgaben-Erleichterungen für Unternehmen oder der weitgehenden Abschaffung der Reichensteuer wurde seine Politik zunehmend als liberal-konservativ empfunden. Lange vor der Corona-Krise hatte Krankenhauspersonal wegen schlechter Arbeitsbedingungen gestreikt; erst in der Krise finden sie bei ihrem Präsidenten Gehör.
Noch ist es zu früh, um einzuschätzen, inwiefern Emmanuel Macron sich tatsächlich „neu erfinden“ wird – denn von den Reden bis zu Taten ist es oft ein langer Weg. Doch ausgerechnet Macron, der stets die Vorzüge der Globalisierung und eines offenen Marktes hervorgehoben hatte, bewarb nun in einer französischen Schutzmaskenfabrik das „Made in France“. Hatten ihm seine Gegner einen Rückzug des Staates vorgeworfen, so griff dieser nun massiv in die Wirtschaft ein, auch durch Kurzarbeitsregelungen, um die Krise (nach deutschem Vorbild?) zu überstehen. Selbst Staatsbeteiligungen schloss Wirtschaftsminister Bruno Le Maire nun nicht mehr aus, der Air France versprach er massive Unterstützung.

Deutsch-französische Spannungen

Auch für die deutsch-französischen Beziehungen erwies sich die Pandemie als Belastungsprobe und deckte Risse auf. Bislang hatte Macron in allen wichtigen Reden den deutschen Partner explizit erwähnt – nicht aber in denen zur Corona-Krise. In einem Interview warf er der Bundesregierung hinsichtlich der Debatten um europäische Finanzierungsmittel zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Krise und im Streit um „Corona-Bonds“ unverhohlen mangelnde Solidarität vor. Die unmittelbaren Grenzschließungen Deutschlands im deutsch-französischen Grenzgebiet zu Beginn der Krise sorgten für Irritationen. Positiver, neuer Schwung für die Achse Paris-Berlin scheint dringend notwendig.

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