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Mit Napoleon auf Korsika

Der Duft der Macchia

Antje Kahnt

Das Napoleon-Memorial auf der Place d’Austerlitz in Ajaccio, © Evannovostro, Shutterstock

5. Mai 2021

Vor 200 Jahren, am 5. Mai 1821, starb auf der britischen Insel St. Helena mitten im Südatlantik, über 8000 km von Paris entfernt, Napoleon Bonaparte in der Verbannung. Bereits der Schüler Napoleone Buonaparte hatte das Eiland in einem Atlas entdeckt und es wegen seiner Winzigkeit markiert.

Der Mann, der fünfundzwanzig Jahre halb Europa beherrschte und bis heute in Bewunderer und Verächter spaltet, wurde als Insulaner geboren. Auf Korsika findet man vielerorts „Devotionalien“ des Kaisers der Franzosen. Weil er nie Kaiser der Korsen war, begegnet seine Heimat ihm mit leidenschaftlicher Hassliebe.

Das schönste Gebirge im Meer

Um Napoleon zu verstehen, muss man die Geschichte Korsikas kennen, die eine Geschichte von fremden Mächten und dem Drang nach Freiheit ist. In der Antike hatten die Griechen die „schöne Insel“ für sich entdeckt. Kallisté nannten sie sie gar: „Die Schönste!“ Den Römern diente sie, um den in Ungnade gefallen Gelehrten Seneca auszusetzen. Im Mittelalter wurde Korsika zum Zankapfel der Republiken Pisa und Genua, die ihre Sprache und ihre Baukultur hinterließen.

Nur in der kurzen Zeit zwischen 1755 und 1768 war das „Gebirge im Meer“ unter Führung des korsischen Nationalhelden Pasquale Paoli frei, bevor die zurückgedrängten Genueser die Insel im Mai 1768 Frankreich überließen. Mit der Niederlage am Ponte Novu ein Jahr später, nach der Paoli ins englische Exil ging, war das Schicksal der Insulaner als Franzosen besiegelt. Keine 100 Tage später, am 15.August 1769, erblickte Napoleone Buonaparte im 4000 Seelen zählenden Städtchen Ajaccio im Südwesten der Insel das Licht der Welt; erzogen wurde er als Korse.

Erinnerungstafel an Napoleons Geburtshaus, © Antje Kahnt

Ajaccios Zitadelle – Ursprung des Clans

Francesco Buonoparte, der erste seines Clans, wanderte 1490 mit anderen ligurischen Landadligen in Ajaccio ein. Die heute mit rund 70.000 Einwohnern größte Stadt auf Korsika ist politisches Zentrum der Insel. Das erste Domizil der Buonapartes am Ende der Grande Rue (heute rue Roi de Rome) fiel 1555 dem Bau der genuesischen Zitadelle zum Opfer; im 17. Jahrhundert finden sich ihre Spuren an der Rue Malerba (heute Rue Bonaparte), unweit der heutigen Casa Bonaparte.

Das Haus wurde 1764 für die frischvermählten Carlu-Maria Buonaparte und Maria-Letizia Ramolino hergerichtet, beide aus angesehenen und begüterten Familien. Der junge Buonaparte wurde nach juristischen Studien Paolis rechte Hand in Corte, der damaligen Inselhauptstadt in den Bergen. Die Buonapartes zogen zu Letizias Onkel Arrighi de Casanova direkt neben Paolis Palazzu Nazionale, hier kam der älteste Sohn Giuseppe zur Welt.

Nach der Schicksalsschlacht an der Golo-Brücke vor die Wahl Exil oder Gefolgschaft gestellt, entschied sich der Familienvater für Ajaccio, rechtzeitig vor der Geburt des nächsten Kindes. Einer Legende nach rettete sich Letizia vom Gottesdienst zu Maria Himmelfahrt aus der Kathedrale Santa-Maria Assunta kommend den kurzen Weg nach Haus, bevor sie den Zweitältesten, von ihr Nabulio gerufen, zur Welt brachte. Knapp zweijährig wurde er in dem Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert getauft.

Die Maison Bonaparte

Unter dem neuen Gouverneur der Insel, dem Comte de Marbeuf, machte Charles-Marie Bonaparte als Richter und Mitglied im Inselrat schnell Karriere und erreichte 1771 die Anerkennung seines Adelstitels durch Ludwig XV. Letizia bewirtete von nun an die französischen Honoratioren in ihrem Haus. Sie lernte die französische Sprache jedoch nur bruchstückhaft und unterrichtete ihre acht Kinder mit Strenge weiter im Geiste Paolis.

Trotz der gesellschaftlichen Anerkennung war das Leben der Bonapartes nicht mondän. Von ihrem Haus, heute ein Museum, bewohnte die immer größer werdende Familie anfänglich nur vier Zimmer der ersten Etage, das darüberliegende Geschoss war an befreundete Clans vergeben. Dazu zählten auch die Pozzo di Borgo. deren Sohn Carlo Andrea ein Spielkamerad der beiden älteren Bonaparte-Söhne war.

Die Maison Bonaparte in Ajaccio © Derk Micke

Casone

Über Napoleons Kindheitsjahre auf der Insel gibt es ohnehin nur Legenden, ausgeschmückt und veröffentlicht in Reisebeschreibungen nach seinem Tod. So hält sich eisern die Geschichte, dass er in einer Grotte oberhalb der Stadt gespielt oder sich lesend dort zurückgezogen haben soll. Heute gilt dies als unwahrscheinlich, da das verwilderte Areal seinerzeit den Jesuiten gehörte. Der Orden scheiterte daran, dort ein „Casone“ (großes Haus) zu errichten.

1797 ging das Gelände in den Familienbesitz der Bonapartes über, die ersten handfesten Baupläne reiften jedoch erst zu Napoleons 100. Todestag. Die Grotte an der heutigen Place d’Austerlitz wurde zum Nationalmonument deklariert und Granit für ein riesiges Monument beschafft. Die Einweihung der Napoleon-Figur, das Original steht im Innenhof des Pariser Hôtel des Invalides, fand erst 1938 statt.

Lehrjahre auf dem Kontinent

Nachdem sich Napoleons Vater an einer Investition in Maulbeerbäume für die Seidenraupenzucht verspekuliert hatte, kümmerte sich Gouverneur Marbeuf um Stipendien für die beiden ältesten Söhne. Neunjährig bestieg Napoleon im Hafen von Ajaccio ein Schiff, das ihn ans französische Festland bringen sollte. Nach einem Französisch-Kurs in Autun ging es für den Stipendiaten auf die Kadettenschule nach Brienne. Schmächtig, mit starkem Akzent und aus „der falschen Kaste“ wurde er von den französischen Offizierssöhnen gemobbt, als „paille-au-nez“, Nasenpopel, verhöhnt.

Doch Napoleon kultivierte seine korsische Außenseiterrolle, las wie ein Besessener und fiel mit besonderer mathematischer Begabung auf. Die brachte ihm die Zulassung für die Pariser Militärakademie, die er als Artillerist bereits nach einem Jahr vorzeitig beendete. Die ersten praktischen Sporen verdiente sich der sechzehnjährige Unterleutnant in Valence bei seiner ersten Garnison.

Place Foch, Ajaccio, © Derk Micke

Kein zweiter Paoli

Nach dem Tod seines Vaters zum neuen Familienoberhaupt auserkoren, nutzte Napoleon jede Möglichkeit, seine Truppe zu verlassen. Er kam zwischen 1786 und 1793 fünfmal für längere Zeit in die Heimat, um Familienangelegenheiten zu regeln und seiner Familie politischen Einfluss auf der Insel zu sichern. Mit geringem Einsatz machte er sich zwischenzeitlich beim Militär unverzichtbar und wurde bis zum Hauptmann befördert. In diese Zeit fielen das Ende des Ancien Régime und die turbulenten Jahre der Revolution.

Pasquale Paoli konnte im Juli 1790 nach Korsika zurückkehren. Im Herbst trat der Inselrat inmitten der Kastanienwälder der Castagniccia im verlassenen Franziskanerkonvent von Orezza zusammen. Dort wurde Paoli zum Präsidenten des Generalrats und zum Inselkommandeur bestimmt. Ebenfalls zugegen, diente sich Napoleon seinem Idol an. Wie Paoli war er gleichermaßen der Republik Frankreich verpflichtet und hatte insgeheim ein freies Korsika im Sinn, er träumte sogar davon, ein zweiter Paoli zu werden.

Paoli hatte jedoch wenig Interesse, noch einmal einen Buonaparte an seiner Seite zu wissen, stattdessen band er ausgerechnet Pozzo di Borgo stärker an sich, was zum Bruch zwischen den einst befreundeten Familien führte. Napoleons Ernennung zu einem der beiden Kommandeure eines Freiwilligenheeres konnte Paoli indes nicht verhindern.

Das Kloster wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Heute ist der Name mit der benachbarten eisenhaltigen Quelle verbunden, die die Insel mit Mineralwasser, eau gazeuse, versorgt

Hafen und Zitadelle von Bonifacio, © Antje Kahnt

Auf verlorenem Posten

1793 sah Napoleon noch einmal eine Chance, als Paoli den Befehl aus Paris bekam, das revolutionsfeindliche Sardinien anzugreifen. In Bonifacio, in der Straße der zwei Kaiser – auch Kaiser Karl V. machte hier Station – bereitete sich Napoleon vor. Bevor er mit seinen dürftig ausgestatteten Freiwilligen in See stach, musste er im Hafen des pittoresken Städtchens an Korsikas Südzipfel eine Meuterei unterbinden, da sich die Insulaner seit jeher ihren Nachbarn verbunden fühlen. Die absehbare peinliche Niederlage hatte Paolis Neffe Cesari als Oberkommandeur zu verantworten.

Das Scheitern vor Sardinien brachte sowohl Paoli als auch Napoleon in Bedrängnis. Paoli und Pozzo di Borgo wurden in Paris angeklagt, Napoleon kurz darauf von wütenden Paolisten im Bergdorf Boccognano gefangen genommen, konnte aber fliehen. Seine Fluchthelfer bedachte er später in seinem Testament. 1796 soll der in Italien erfolgreiche General Napoleon in Bocognano seinen einzigen Bau auf der Insel beauftragt haben, um in guten Tagen den Sommer dort mit seinen Freunden zu verbringen. Den Palazzo di Nabulio, in dem heute ein kleines Museum eingerichtet ist, hat er jedoch nie gesehen.

Von Calvi aus ins Exil

Nachdem Napoleons jüngerer Bruder Lucien Paoli den Revolutionären gegenüber des Verrats bezichtigt hatte, drängte Napoleon zur Eile. Hals über Kopf verließ Letizia mit den jüngsten Kindern das Haus in Ajaccio. Eine Nacht fanden sie noch Zuflucht im Tour de Capitello (auf Höhe des Flughafens, der Napoleons Namen trägt), bevor sie sich nach Calvi im Nordwesten der Insel aufmachten.

Place St-Nicolas, Bastia © Antje Kahnt

Napoleon selbst hatte sich nach Bastia, in die nördliche Schaltzentrale der Insel, durchgeschlagen. Sein Aufenthaltsort ist nicht überliefert. Jeder Reisende wird jedoch heute durch eine Statue auf der Place St-Nicolas, Korsikas größtem Platz, empfangen: Das Napoleon-Denkmal, das ihn in der Tradition der antiken Kaiser zeigt, hatte seine Schwester Elisa ursprünglich für ihren Palast in Lucca beauftragt. Erst 1853 wurde das Monument in Bastia eingeweiht.

Von Bastia aus unternahm Napoleon einen letzten, erfolglosen Versuch, die Zitadelle von Ajaccio einzunehmen und den enteigneten Besitz zu verteidigen. Kurz darauf erreichte er Calvi, von wo aus er am 11. Juni 1793 mit seiner Familie ins Exil nach Marseille aufbrach. In Korsika nicht mehr willkommen, war Napoleons Marsch nach Paris besiegelt. Kurz vor seinem Staatsstreich 1799, auf dem Rückweg von Ägypten, ankerte er erneut vor der Insel. Bedrängt von seinen Offizieren betrat der General noch einmal heimatlichen Boden. In Milelli, einem olivenbestandenen Grundstück aus Familienbesitz oberhalb von Ajaccio verbrachte er seine letzten Stunden auf Korsika.

Napoleon ist in Ajaccio allgegenwärtig. © Antje Kahnt

Napoleon-Kult

Obwohl er als Kaiser keinen Fuß mehr auf die Insel setze, blieb er hier präsent. Der Halbbruder von Napoleons Mutter Letizia, Kardinal Fesch, beauftragte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein klassizistisches Palais, das allerdings erst 1839 vollendet wurde. Heute können die reichen Kunstsammlungen des Kardinals, darunter auch ein Porträt Napoleons im Krönungsornat, besichtigt werden. Im Testament bestimmte der Kardinal, den Komplex um eine kaiserliche Grablege zu erweitern. 1857 wurde der Grundstein zur Chapelle impériale gelegt, drei Jahre später ließ Napoleon III. die Gebeine des Kardinals und seiner Schwester „Madame Mère“ hierher verbringen. 1951 wurde auch Napoleons Vater in die Familiengruft umgebettet.

Journées Napoléoniennes, © Derk Micke

An der Place Foch wurde 1836 das Hôtel de Ville eingeweiht, in dem in der Beletage der Salon napoléonien Besucher mit Gemälden, Skulpturen und Medaillen aus dem Besitz beider Kaiser erwartet. Die alljährlich im August stattfindenden Journées Napoléoniennes finden am Monument des Premier Consul vis-à-vis ihren Höhepunkt, bei dem stets auch das heutige Familienoberhaupt, Charles Napoléon, erwartet wird.

An den Küsten des Mittelmeerraumes wird zu Maria Himmelfahrt traditionell gefeiert. In Ajaccio ist das übliche Feuerwerk jedoch dem Geburtstag Napoleon gewidmet. Besonders gut kann man es am Strand unterhalb der Zitadelle oder vom „Diamantplatz“ (place Charles de Gaulle) aus sehen; eine Statue Napoleons, umgeben von seinen Brüdern, schmückt seit 1865 das palmengesäumte Geviert. Für Konzeption und Sockelgestaltung war Viollet-le-Duc, der Hausarchitekt von Kaiserin Eugénie, verpflichtet worden.

In Ajaccio findet an Napoleons Geburtstag alljährlich ein Feuerwerk statt. © Antje Kahnt

Epilog

Mancher Napoleon-Verehrer lässt sich nur zu gern mit Glanz, Ruhm und Ehre über das vergossene Blut Europas hinwegtäuschen. Obwohl er fast seine ganze Regierungszeit auf dem Schlachtfeld verbrachte, werden ihm u. a. weitblickende Reformen in Recht (Code civil) und Finanzwesen (Gründung der Banque de France) zu Gute gehalten.

In seinen letzten Tagen im Atlantik haderte der abgedankte Kaiser damit, nicht mehr für die Insel getan zu haben, die ihn verschmähte – und sinnierte darüber, dass sie der einzige Ort auf der Welt wäre, die der Weitgereiste mit geschlossenen Augen am Duft erkennen könne. Wenn im Mai die Macchia ihren würzig-süßen Duft verströmt, kann man ihn verstehen – und niemand würde ihm widersprechen.

Linktipp:
Napoleons Niederlagen

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4 Kommentare/Commentaires

  1. Gut recherchierter und toll geschriebener Artikel! Wer sich über die Zeit Pascal Paolis intensiver informieren will, sollte zu dem berühmten Reisebericht von James Boswell greifen. Ich habe ihn vor langer Zeit modernisiert übersetzt und zeitgenössisch illustriert. Leider vergriffen, aber über die einschlägigen Internet-Antiquariate immer noch zu erhalten:

    James Boswell, Corsica, überarbeitet, illustriert und eingeleitet von Dirk Gerdes (nach der dtsch. Ausgabe Leipzig 1769). Elster Verlag, Moos/Baden-Baden, 1986

    Über den korsischen Regionalismus der Gegenwart informiert meine Habilitationsschrift Regionalismus als soziale Bewegung: Westeuropa, Frankreich, Korsika. Vom Vergleich zur Kontextanalyse. Campus Verlag, Frankfurt a. M., 1985

    Ich konnte auf Korsika seinerzeit die erste große Umfrage im Comité Central der Autonomisten (UPC) durchführen und für meine Habil. auswerten.

  2. Ich habe den Artikel von Antje Kahnt über ihre Reise gewissermaßen auf den Spuren der Erinnerungsorte Napoleons auf Korsika mit wahrem Genuss gelesen. Man bekommt richtig Lust, wenn denn endlich die zwingenden Reisegründe in den nächsten Wochen hoffentlich gänzlich aufgehoben werden, auch unser Eiland Réunion endlich mal wieder zu verlassen, das ja kurz mal den Namen „Île Bonaparte“ geführt hat (1809/1810).

  3. Als Historiker habe ich den Artikel mit Interesse gelesen. Eine gelungene Mischung aus historischen Fakten, unterhaltsamen Anekdoten und touristischen Tipps. So macht Geschichte Spaß!

  4. Antje hat wieder einmal ihr Talent unter Beweis gestellt! Ein sehr schön geschriebener Artikel! Glückwunsch! Freue mich auf mehr. Kann Ihre Führungen nur empfehlen.

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