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Menschen in Paris

Zwischen Passion und Profession

Stephan Gabriel

Im Aquarium de Paris, © Stephan Gabriel

5. Februar 2021

Paris bietet Raum für viele ausgefallene Ideen und lässt Lebensträume Wirklichkeit werden. Hier leben Menschen mit besonderen Geschäftsmodellen, die für ihre Leidenschaft brennen.

Auf den Dächern von Paris

Imker Nicolas Géant, © Stephan Gabriel

Nicolas Géant ist seit mehr als 30 Jahren Imker aus Leidenschaft. Seine Honigbienen sind auf dem Dach des legendären Sterne-Restaurant La Tour d’Argent beheimatet. Miel béton – Beton-Honig – nennt man seinen cremigen Brotaufstrich in der französischen Hauptstadt ganz unromantisch. Seit 2010 arbeitet Chocolatier Patrick Roger mit Imker Nicolas zusammen. Er ist überzeugt von der Reinheit des Naturproduktes, das auf dem Dach des traditionsreichen Restaurants entsteht – sein Ziel war stets, eigenen Honig für seine Schokoladenträume zu verwenden.

Patrick Roger mit seinem Konfekt Abeille (Biene), © Stephan Gabriel

Mit rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern produziert er in seiner Manufaktur unermüdlich nicht nur ein Konfekt namens Abeille (Biene), ein schwarz-gelbes, halbrundes Honigpraliné mit dem süßen Saft vom Dachgarten: Ihre Ganache au miel du jardin (Gartenhonig-Ganache) ist eine köstliche Komposition aus Schokolade, Sahne und Honig.

Tante Emmas Boutique

„Tante Emma“ Gudrun Même, © Stephan Gabriel

Inmitten der Gourmet-Stadt Paris betreibt die aus Oldenburg stammende Gudrun Même ein Lebensmittelgeschäft mit deutschen Spezialitäten. Einen echten „Tante-Emma-Laden“, den einzigen an der Seine und wahrscheinlich in ganz Frankreich. Im 10. Arrondissement, wo Paris noch ursprünglich ist, und zwar in der Markthalle des Marché de la Porte Saint Martin, umgeben von französischer Konkurrenz und kleinen Restaurants.

Deutschland ist kein Land, das Franzosen zum Träumen bringt, schon gar nicht kulinarisch. Mit ihrem Laden will sie das Gegenteil beweisen. La Boutique de Tante Emma bietet ein großes Sortiment an Lebensmitteln: von Zwieback bis Räucheraal, von Frikadellen bis Schwarzbrot. Aber: „Franzosen kaufen bei uns vor allem Bier“, sagt Gudrun Même, denn „deutsches Bier hat in Frankreich sogar Fanclubs!“

Frankreichs erste Barbière

Barbière Sarah Daniel-Hamizi, © Stephan Gabriel

Im Alter von neun Jahren kam Sarah Daniel-Hamizi mit ihren Eltern von Algerien nach Paris. Ihr Vater ist Kaufmann und arbeitet in der Gastronomie. Aufgewachsen an der Seine machte sie eine Ausbildung als Damen- und Herrenfriseurin, und in der Rue Condorcet im 9. Arrondissement eröffnete sie 2000 ihren ersten Salon: La Barbière de Paris. Sie machte aus dem männlichen Begriff barbier kurzerhand eine weibliche barbière. Schnell folgten Salon Nummer zwei, drei und vier. Inzwischen besteht ihr Team aus 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Termine sind auf Wochen ausgebucht.

Waxen bis die Tränen kommen, © Stephan Gabriel

„Vor einer Behandlung ist immer eine genaue ,Diagnose‘ erforderlich“, betont die barbière. Sarah Daniel-Hamizi ist eine energische, durchsetzungsstarke Frau. Schmunzelnd verrät sie noch ein Berufsgeheimnis: „Alle, wirklich alle Männer in meinem Salon weinen beim Bart-Waxing.“

Concierge aus Leidenschaft

Concierge Natalia Syed, © Stephan Gabriel

Es gibt sie noch, die klassische Concierge. Die offizielle Berufsbezeichnung ist gardien beziehungsweise gardienne (Wächter bzw. Wächterin). Sie gehört zu Frankreich wie Bistro, Käse und Baguette. An ihr kommt niemand unbemerkt vorbei.

In einem Pariser Wohnblock im 11. Arrondissement betreut Natalia Syed rund 70 Wohnparteien. Nur wenige Meter entfernt liegt das Bataclan, jener Musikclub, der durch die Anschläge vom 13. November 2015 traurige Berühmtheit erlangte; drei Attentäter töteten 90 Menschen und verletzten Hunderte. Natalia Syed merkte damals schnell, dass etwas nicht stimmte, und reagierte geistesgegenwärtig, indem sie etlichen verängstigten Menschen Zugang gewährte. Sie ließ fast 80 Verletzte und Verängstigte in den Innenhof des Gebäudes und in ihre eigene Wohnung, um sie notdürftig mit Verbandsmaterial und Getränken zu versorgen.

Dafür und für die Unterstützung der Rettungskräfte wurde sie von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit der Anges-Gardiens-Medaille („Engels-Hausmeister-Medaille“) ausgezeichnet. Natalia Syed sieht sich im Übrigen nicht nur als Hausmeisterin, sondern oft genug auch in der Funktion einer Psychologin und Vermittlerin, etwa wenn es einen Streit zwischen Wohnparteien zu schlichten gibt.

Die Meerjungfrau im Aquarium von Paris

Sirene Claire Baudet, © Stephan Gabriel

Gespannt warten die vielen Kinder im Saal auf die „Meerjungfrau“ im Bassin des Aquarium de Paris. Die märchenhafte Show von Claire la Sirène basiert auf der Sage des weiblichen, jungfräulichen Wassergeistes Undine aus Christian Andersens Märchen-Klassiker Die kleine Meerjungfrau (1837).

Claire Baudet, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, war seit der Kindheit von den halb weiblichen und halb fischartigen Wesen Sirenen fasziniert. Für ihre Show taucht sie für eine außergewöhnliche Wasserperformance 20 Minuten lang in das Becken eines Aquariums, das sich unter dem Trocadero befindet. Eine nicht nur künstlerische, sondern auch sportliche Herausforderung, da die Meerjungfrau ihr Spektakel im Apnoetauchen, dem „Freitauchen“ mit Atemstillstand präsentiert – was ein strenges und konzentriertes Training erfordert: Sie kann dadurch ohne Sauerstoff bis zu vier Minuten lang die Luft anhalten.

Claire taucht auch ohne Maske zwischen Haien, Rochen und Zackenbarschen. Ihre langen blonden Haare glänzen im Wasser des Aquariums; die vielen Kinder im Publikum träumen mit großen Augen und zweifelnden Blicken: Ob es sich wirklich um eine „echte Meerjungfrau“ handelt?

Im Moulin Rouge

Tänzerin Nora Mogalle, © Stephan Gabriel

Nora Mogalle sitzt in ihrer kleinen Garderobe, um sich für den Bühnenauftritt vorzubereiten. Im Schrank hängen ihre Kostüme für die Show. In ihrem Fundus: Federboas in leuchtenden Farben, traumhaft schöne Colliers aus Strass Schmuck, bestückt mit Kristallen und Perlen. Verschiedenes Make-up, Lippenstifte, Pinsel, Bürsten liegen auf dem Tisch bereit, Haarteile hängen an der Wand. Die 39-Jährige ist der Star und die einzige deutsche Tänzerin im berühmtesten Revuetheater der Welt, dem Moulin Rouge in Paris.

„Wenn das Publikum im dunklen Saal Luft holt, sobald wir nach vorne kommen, ist dies etwas, was einen auf der Bühne erreicht. Da geht bei mir das Licht an. Ja, ich bin hier für euch und ich tanze für euch“, sagt die gebürtige Berlinerin, die schon mit fünf Jahren Ballettunterricht an der Deutschen Oper in Berlin bekam und eine klassische Tanzausbildung absolviert hat; in Hamburg schloss sie zusätzlich ein Medizinstudium mit dem zweiten Staatsexamen ab.

In der Garderobe, © Stephan Gabriel

Arbeitsbeginn für Nora ist um 19:30 Uhr. Für das tägliche Warm-up genügen fünfzehn Minuten. Zweimal an jedem Abend tanzt die „danseuse soliste“ vor fast 1000 Zuschauern pro Show und führt die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne an. Bis zu dreizehn Mal erfolgt ein Kostümwechsel aus dem großen bereitstehenden Fundus für den rund zweistündigen Tanzmarathon.

„Die zehn Minuten beim Schminken vor der Show sind die entspannendsten Momente meines Tages“, sagt sie. Auch nach mehr als 500 Auftritten schießt noch immer das Adrenalin durch ihren Körper, wenn die Lautsprecherstimme auf die Bühne ruft. „Aber wenn am Ende jeder Show der Vorhang zugeht, die Zuschauer applaudieren und Zugaben wollen, weiß ich, warum ich diesen Job mache“, sagt Nora Mogalle voller Stolz.

Buchtipp:
Stephan Gabriel, Menschen in Paris, Lebenswege zwischen Passion und Profession, BoD 2020

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