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Zeitungssterben

Kampf ums Überleben

Martin Vogler

© iStock

16. August 2022

Tageszeitungen in Deutschland und Frankreich unterscheiden sich erheblich. Vor allem bei den regionalen Titeln wirken sich andere journalistische und verlegerische Konzepte, gegensätzliche Finanzierungsmodelle und große Differenzen bei den Druckauflagen aus.

Während in Deutschland laut Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) täglich noch knapp 15 Millionen Zeitungen – davon 83 Prozent in gedruckter Form – verkauft werden, liegt die Zahl in Frankreich bei weniger als der Hälfte (Alliance de la presse et des Médias). Als Folge der Digitalisierung sinken speziell die Druckauflagen in beiden Ländern seit der Jahrtausendwende, oft haben sie sich halbiert.

Die Verlage versuchen mit einer Mischung aus Verzweiflung und Euphorie gegenzusteuern, indem sie digitale Vertriebsmöglichkeiten für ihren Content – von Inhalten zu sprechen gilt seit Jahren als altmodisch – suchen. Das können E-Paper, also im Idealfall aktualisierbare und teils mit Zusatzelementen wie Videos angereicherte Abbilder des gedruckten Layouts sein, oder auch zunehmend kostenpflichtige Webangebote, die mit hohem Aufwand permanent aktualisiert werden. Die Verlage brauchen diese inhaltsbezogenen Erlöse. Denn mit gedruckter Werbung lässt sich anders als im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr viel verdienen.

Reißerische Titel

In beiden Ländern sind die Abonnements- bzw. Verkaufseinnahmen deshalb wichtiger geworden. Doch es gibt einen großen Unterschied: Abgesehen von den Boulevardmedien verkaufen deutsche Zeitungen den Großteil ihrer Auflage im Abonnement. Ein Abo-Anteil von 90 % ist keine Seltenheit, was stabile Einnahmen sichert. Allerdings haben die Verlage, um die sinkenden Werbeerlöse zu kompensieren, deutlich an der Preisschraube gedreht.

Ein Träger-Monats-Abo einer gedruckten Regionalzeitung kostet – mit regionalen Schwankungen – fast immer mehr als 40 Euro, einige haben die 50-Euro-Grenze überschritten. Bei überregionalen Titeln sind es oft mehr als 70 Euro. Auf diese berechenbaren Einnahmen können französische Zeitungen nicht bauen, weil sie sehr selten über ein Trägernetz, also Zusteller, verfügen. Die Leser kaufen das Druckprodukt folglich überwiegend am Kiosk oder in einem Geschäft, was täglich eine neue Kaufentscheidung bedeutet. Entsprechend groß ist die Versuchung für die Redaktion, mit reißerischen Titelgeschichten den Anreiz zu verstärken.

Wer in Frankreich abonnieren will, kann das natürlich trotzdem. Eine ungewohnte Lösung erlebt man gelegentlich in Geschäften, wenn jemand Tag für Tag seine vorbestellte Zeitung abholt. Einen Vertrieb bis an die Haustüre gibt es schwerpunktmäßig vor allem im Großraum Paris und im Elsass. Verlage müssen dafür schwierige und teure Vereinbarungen mit einer nationalen Vertriebsorganisation führen. Überregionale Titel nutzen auch die Post zum Verteilen, was der Aktualität schadet. Deutsche, die es gewohnt sind, ihre Tageszeitung um sechs Uhr morgens aus dem Briefkasten zu holen, hätten dafür wenig Verständnis.

Im Sortiment französischer Kioske sind Presseprodukte seit Jahren rückläufig. © Adobe Stock

Erhebliche Qualitätsunterschiede

Kräftig umstellen müssten sich Deutsche auch, wenn sie regelmäßig in Frankreich Regionalzeitungen lesen. Denn obwohl Le Figaro, Le Monde und andere überregionale Titel, die alle aus Paris kommen, qualitativ im Vergleich zu Frankfurter Allgemeiner ZeitungSüddeutscher Zeitung & Co. durchaus ebenbürtig sind, sieht das im lokalen Bereich anders aus. Während in Deutschland Regionalzeitungen zumindest den Anspruch erheben, auch überregional im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich eine wichtige Stimme zu sein, scheint dies den französischen Verlagen in der französischen Provinz – die überwiegend im Besitz von Großkonzernen sind – unwichtig zu sein. Nationale Inhalte wirken oft wie Pflichtprogramme, und international wird noch weniger geboten. Selbst der Auflagen-Spitzenreiter Ouest-France aus Rennes, der täglich weiterhin mehr als 600.000 Zeitungen in 14 Departements Westfrankreichs verkauft und als einer der wenigen Titel 2021 eine positive Auflagenentwicklung schaffte, scheint sich als rein regionaler Titel zu verstehen.

Recherche vs. Chronistenpflicht

Im Lokalteil zeigt sich in den vergangenen Jahren – wie teilweise auch in Deutschland – der Trend, Druckausgaben zusammenzulegen. Der Leser bekommt also Informationen aus immer mehr Nachbarstädten und Nachbarregionen. Dafür schrumpft das Angebot aus dem direkten Umfeld. Diese Strategie ist nicht leserfreundlich, spart aber den Verlagen, die alle unter Kostendruck stehen, viel Geld.

Zudem sieht die lokale Berichterstattung in französischen Regionalzeitungen meist anders als in Deutschland aus. Gute deutsche Redaktionen versuchen, mit eigenen Reportagen, Enthüllungen, Hintergrundstücken und Kommentaren Akzente zu setzen. In Frankreich überwiegt häufig die sogenannte Chronistenpflicht: Vereinsberichterstattung, Ehrungen, Scheckübergaben, offizielle Einweihung einer neuen Straße – zudem mit langweiligen Fotos – dominieren diese Terminberichterstattung.

Festmachen lassen sich solche Unterschiede prägnant am Umgang mit Gemeinderatssitzungen. Engagierte deutsche Redaktionen wollen schon vor der Sitzung wichtige Themen und deren Auswirkungen erklären. Bei der Nach-Berichterstattung fragen sie nach der Relevanz für den Alltag und greifen sich Wichtiges für eigene Artikel heraus, die sie mit Recherchen anreichern. In Frankreich hingegen liest man immer noch sehr oft eine Art protokollarische Berichterstattung aus dem Kommunalparlament. Der Verdacht, dass hier nebenberufliche, preiswerte Korrespondenten tätig sind, liegt nahe.

Wobei es natürlich auch in Deutschland Lokalredaktionen gibt, die lieblos und unter wachsendem Zeitdruck unkritisch und langweilig berichten. Und auch in Frankreich gibt es natürlich durchaus redaktionelle Qualitätsunterschiede. Ein positives Beispiel war stets der Nice-Matin aus Nizza, bei dem jahrelang das Ringen um gute überregionale und lokale Angebote spürbar war. Dennoch hat das Blatt, zu dem Var-Matin und Monaco-Matin gehören, erhebliche wirtschaftliche Turbulenzen und mehrere Eigentümerwechsel inklusive juristischer Auseinandersetzungen hinter sich. Die Mehrheit an der Korsika-Ausgabe Corse-Matin musste gar verkauft werden. Auch eine Genossenschaft der Mitarbeiter versuchte vergebens ihr Glück, die frankreichweit agierende Mediengruppe Hersant mischte eine Zeitlang mit. Derzeit hält der Millionär Xavier Niel, der sein Geld in der IT-Branche verdiente und auch Miteigentümer der Le-Monde-Gruppe ist, die Mehrheit am Nice-Matin.  Da Niel am benachbarten La Provence in Marseille beteiligt ist, erwarten Beobachter, dass er Synergieeffekte ausschöpfen wird.

Noch ist die Presselandschaft in Deutschland vielfältig. © Adobe Stock

Wirtschaftlicher Überlebenskampf

Auch anderen Regionalzeitungen geht es wirtschaftlich nicht gut, weil die Verkaufserlöse relativ niedrig sind. Das Druckexemplar kostet im Geschäft oft wenig mehr als ein Euro. Nur an Tagen mit umfangreichen Beilagen steigt der Preis. In Deutschland hingegen hat sich weitgehend ein Einzelverkaufspreis von zwei Euro und mehr durchgesetzt. Dass die meisten Titel in Frankreich siebenmal pro Woche erscheinen, erhöht zwar die Einnahmen, aber im Gegenzug auch die Produktionskosten. Immerhin sieht der Anzeigenmarkt bei vielen französischen Zeitungen besser als in Deutschland aus, zumindest wenn man dies nur aus Lesersicht analysiert. Es gibt oft noch sehr umfangreiche sogenannte Rubrikenmärkte, mit Inseraten für Immobilien, freien Stellen oder Autos. Wobei dieser Eindruck wenig darüber aussagt, wie viele Einnahmen im Einzelfall dahinterstehen, wenn zum Beispiel Online-Anzeigen kostenlos oder für geringe Vergütung einfach gedruckt werden.

Zumindest in größeren Städten macht zudem das – in Deutschland wieder verschwundene – Phänomen einer täglichen Gratiszeitung den kostenpflichtigen Zeitungen zu schaffen. 20 minutes erscheint seit zwei Jahrzehnten laut Verlagsangaben außer in Ferienzeiten an allen Arbeitstagen und richtet sich vor allem an Pendler. Das kleinformatige Blatt gilt mit mehr als vier Millionen täglichen Lesern als die meistgelesene Zeitung Frankreichs. Das Anzeigenaufkommen ist trotz eines Rückgangs wegen der Pademie weiterhin beachtlich und das Blatt bietet Lokalinhalte in mehr als zehn großen Städten. Auch Online spielt 20 minutes in der Spitzengruppe mit. Interessanterweise ist die Zeitungsgruppe Ouest-France beteiligt. Besonders leidet unter dem Gratisangebot Le Parisien, der im Rest Frankreichs als Aujourd’hui erscheint und allein in vier Jahren ein Drittel seiner Auflage einbüßte, die nun bei rund 250.000 Exemplaren lieget.

Staatliche Subventionen

Überleben können französische Zeitungen nur, weil sie erhebliche staatliche Hilfen erhalten, was seit dem 19. Jahrhundert Tradition hat. Der Staat sieht dies als Daseinsvorsorge, will dank eines extrem komplizierten Systems die mediale Vielfalt sichern. Die Fördersumme variiert ja nach Berechnungsmethode stark. Die Angaben beginnen bei 250 Millionen Euro im Jahr und enden bei unglaublichen 1,8 Milliarden für 2019 und 411 Titel, wenn alle indirekten Subventionen einbezogen werden. Zum direkten Weg zählt ein Förderprogramm, bei dem der Verlag nachweisen muss, dass er nur einen geringen Anteil seiner Einnahmen durch Werbung erzielt. Für die Vergabe zuständig ist die Direction générale des medias et des industries culturelles (DGMIC); sie ist direkt beim Kulturministerium angesiedelt.

Subventionen gibt es zudem für große Investitionen, etwa beim Erwerb einer Druckmaschine. Auch gelten für journalistische Leistungen reduzierte Steuer- und Sozialabgabensätze. Zu diesen indirekten Subventionen zählen die Reduzierungen bei Postgebühren oder der Mehrwertsteuer, die nur 2,1 Prozent beträgt. Die großen überregionalen Zeitungen können mit jeweils rund fünf Millionen Euro jährlich rechnen. Besonders üppig versorgt wird die kommunistische L’Humanite, bei der 2019 (aktuellere Zahlen liegen nicht vor) laut DGMIC in jedem Druckexemplar 34 Cent Zuschuss steckte – beim Figaro waren es 5,7 Cent. Aber auch Regionalzeitungen erhalten reichlich Förderung: Der Ouest-France etwa bekam 2019 2,6 Mio. Euro, der Sud Ouest (Bordeaux) 1,37 Mio. und der L’Est Republicain (Nancy) 464.000 Euro. Verlage in Deutschland lehnen aufgrund ihres Anspruchs, unabhängig vom Staat zu sein, zumindest direkte Subventionen ab.  

Linktipp:
Tageszeitungen in Frankreich

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